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Sprache, Entmenschlichung, Tod. Es ist Teil der Entmenschlichung, von ertrunkenen "Migranten" statt von Menschen zu sprechen. Nicht nur, dass Flucht & Migration unterschiedlich sind, es reduziert all diese Menschen, ihre Geschichte und ihren Wert auf eine einzige Eigenschaft. (1)
Während Migration lediglich den Prozess des Migrierens von A nach B beschreibt und erstmal nichts über die Gründe aussagt, ist Flucht(migration) ein erzwungener Prozess. Von "Migranten" zu sprechen negiert also schon semantisch die Realität von Flucht und Vertreibung. (2)
Menschen setzen sich nicht einfach so auf ein hoffnungslos überladenes Boot mit 500 anderen Menschen, sondern weil ihnen die Realität des Vertriebenwordenseins auf der einen Seite und die Realität der Festung Europa, die Abschottung jedes erdenklichen legalen Weges, auf der (3)
anderen Seite, keine Wahl ließen. Ein "Zurück" kann es nicht geben, also wird, trotz des Bewusstseins über die Tödlichkeit dieser tödlichsten Fluchtroute der Welt, dieser Weg in Kauf genommen. Das ist Flucht.

Der Grund, warum trotzdem von "Migranten" gesprochen wird, ist (4)
derselbe, warum nicht von Menschen gesprochen wird: Es geht um die Markierung einer vermeintlich zentralen Eigenschaft. Diese Eigenschaft ist interessanterweise gleichzeitig die Rechtfertigung für die Politik, die zum Tod dieser Menschen führt. Die Verkennung und Negierung (5)
der Tatsache, dass es sich um fliehende Menschen handelt. Das ist auch die Logik des EU-Rats-Beschlusses zur Neuordnung der #GEAS. Wer das Pech hat, aus einem Land X zu kommen, dessen Schutzquote unter 20% liegt, fliegt raus. Diesem Menschen wird die Realität seiner (6)
Fluchtgründe aberkannt. Sie wird negiert. Dass das nicht einmal mathematisch hinhaut, denn selbst wenn die Schutzquote 19% beträgt, bedeutet das ja, dass in 19% der Fälle ein Schutzstatus anerkannt wird, ist egal. Die Negierung der Realität von Flucht hat Methode. Diese (7)
Negierung ist gleichzeit der Einstieg in die Negierung des Menschseins überhaupt - der Entmenschlichung.

Dort, genau dort, ist der bürgerliche Diskurs längst angekommen. Ein Boot ist ein "Flüchtlingsboot", als würde der gewählte Präfix die Tragik und den Verlust dieser (8)
Menschen mit einem Warnhinweis versehen wollen: Achtung, es waren "Illegale"! Illegales Leben? Der Grat zum "wertlosen" Leben, dessen Verlust keinen Tränenkanal mehr rührt, ist sehr schmal.

Die Chiffre vom "Bootsunglück" ist dann noch das I-Tüpfelchen auf dem Leichenberg (9)
der kognitiven Dissonanz. Ein "Unglück" ist ein zufälliges, nicht oder nur schwer zu verhinderndes tragisches Ereignis, das hin und wieder vorkommt, also zur menschlichen Existenz gehört.

Diese Boote kentern aber nicht zufällig und auch nicht ohne die Möglichkeit, das zu (10)
verhindern. Das Mittelmeer ist allein durch EUROSUR bestens überwacht. Die EU weiß über die allermeisten Bewegungen im Mittelmeer und an den anderen europäischen Grenzverteidigungsanlagen bestens Bescheid. FRONTEX erhält diese Informationen. Die nationalen "Küstenwachen" (11)
werden informiert. Zivile Seenotrettungsorganisationen informieren ebenfalls. Trotzdem wird in vielen Fällen nicht gehandelt.

Es ist kein "naturgegebener" Teil der menschlichen Existenz, sich politisch dazu zu verabreden, dass es egal ist, dass massenhaft Menschen im Meer (12)
ertrinken, ob mit oder ohne aktive Beihilfe - wobei das Nichteingreifen bereits Bestandteil aktiver Beihilfe ist.
Es ist nicht "natürlich", die politischen Rahmenbedigungen dafür, dass noch mehr Menschen sterben, stetig auszubauen, obwohl alle wissen, dass dadurch noch (13)
mehr Menschen sterben.

Wenigstens von kritischen Journalist*innen und Medienhäusern könnte man erwarten, bei dieser Entmenschlichungs-Maschinerie nicht mitzumachen. Es bleiben Menschen. Es sind keine Unglücke. Sie ertrinken, weil es politisch so gewollt ist. (14)
Menschen, die bei dieser ganzen Scheiße nicht mitmachen und stattdessen Menschen bleiben wollen. Ευχαριστώ .
Ein passendes Beispiel für die Sprache der Entmenschlichung: Den angeblichen "Lerneffekt" zu betonen, den die größtmögliche Grausamkeit habe. Als habe es die über 26.000 Ertrunkenen seit 2014 nicht gegeben. Ihm ist es egal. Der "Lerneffekt" ist wichtiger.

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