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Sep 29, 2023 27 tweets 4 min read Read on X
CN Krankheit, Covid
Heute vor zwei Wochen bin ich aus der #Reha zurückgekommen. Es geht mir deutlich schlechter als vorher – und das, obwohl die Reha speziell auf #MECFS ausgerichtet ist. Wie kann das sein? Ich bin echt wütend. Ein Thread 1/26
Seit 17 Monaten habe ich #LongCovid, vor einem halben Jahr wurde bei mir #MECFS diagnostiziert. Ich wurde in die CSF_Care-Studie der @ChariteBerlin aufgenommen, in der ein umfassendes Versorgungskonzept von #MECFS-Patient*innen geprüft wird. Dazu gehört auch eine Reha. 2/26
Diese Reha war für mich (und die anderen aus meiner Gruppe) so anstrengend, dass sich mein Zustand stark verschlechtert hat. Vorher konnte ich noch einmal am Tag das Haus verlassen, allein einkaufen, einigermaßen meinen Haushalt führen. Das geht jetzt kaum noch. 3/26
Und das, obwohl das Konzept extra auf ME/CFS-Patient*innen zugeschnitten ist. Hier ein paar Eindrücke, warum das aus meiner Sicht trotzdem nicht funktionieren kann: 4/26
Das Scheitern lag nicht an den behandelnden Ärzt*innen und Therapeut*innen vor Ort. Alle waren sehr gut geschult, hatten ein breites Wissen über die Krankheit und waren unterstützend. Woran liegt es dann? 5/26
Der gesamte Rahmen einer Reha passt nicht zu dieser Krankheit: Alles ist viel zu laut, viel zu viele Reize, Menschen und Termine. Alles ist zu anstrengend. Das Kardinalsymptom ist PEM, eine schwere Belastungsintoleranz, wo jedes „zuviel“ alle Symptome verschlechtern kann. 6/26
Das beginnt bei der Anreise: Die muss auf eigene Faust organisiert werden. Zu dem Zeitpunkt war niemand in Berlin, der mich mal eben einen halben Tag durch Deutschland fahren konnte – deswegen musste ich mit der Bahn anreisen. Was (Überraschung!) viel zu anstrengend war 7/26
Direkt nach der Anreise gab es (ohne nennenswerte Pause) einen Covidtest (was ja grundsätzlich begrüßenswert ist) und das Aufnahmegespräch mit der Stationsärztin, bei dem ich und andere aus meiner Gruppe fast vom Stuhl gekippt wären vor Erschöpfung. 8/26
Dann der Lärm: Viele Menschen mit #MECFS haben eine starke Geräuschempfindlichkeit. Gegenüber der Klinik rauschte eine Lüftungsanlage, von der wir jede Nacht geweckt wurden. Vor unseren Fenstern fuhren nachts Lieferant*innen und Securitypersonal an und ab. 9/26
Das Klinikgelände liegt neben einer viel befahrenen Straße. Ab 6 Uhr (wenn viele von uns gerade wieder eingeschlafen waren) polterte das Reinigungspersonal im Flur. Und, zu allem Übel, war direkt vor den Fenstern ein Helikopter-Landeplatz 🤯10/26
Wir mussten dreimal am Tag in einem riesigen Speisesaal essen, in dem auch die anderen Rehabilitant*innen dinierten. Das bedeutete eine Reizüberflutung, die mich auch ohne weiteres Programm überfordert hätte. 11/26
Zudem war der Infektionsschutz echt mangelhaft. Es gab keine Möglichkeit, im Speisesaal separiert oder draußen zu essen. Wir waren im Saal mit 100 Leuten ständig in Gefahr, uns anzustecken. Das bedeutete zusätzlichen Stress 12/26
Ich saß, um mich zu schützen, am offenen Fenster, habe bis zum Essen Maske getragen, hatte einen mobilen Luftfilter vor mir stehen und habe antivirales Nasenspray genutzt. Wieso hat sich da niemand von der Studie um so etwas gekümmert? 13/26
Das Programm war krass voll. Wir hatten zwar jederzeit die Möglichkeit (anders als bei „normalen“ Rehas), Termine abzusagen – aber auch Absagen bedeutet Stress, und ich habe etwas gebraucht, um radikal auszusortieren. Und da war es zu spät, da war ich schon im Crash 14/26
Die Pausen zwischen den Therapien waren teilweise viel zu kurz, manche nicht mal 15 min. Viele Termine fingen früh morgens an. Die meisten von uns haben Schlafstörungen und müssen morgens noch mal schlafen, um überhaupt durch den Tag zu kommen 15/26
Vieles von den Infos, die wir (in teilweise langen Vorträgen) bekommen haben, kannte ich schon, das meiste von Twitter. Das wäre zu Beginn der Krankheit sinnvoll gewesen, aber nach anderthalb Jahren … war das einfach nur anstrengend. 16/26
Ich wurde arbeitsunfähig entlassen, mit Empfehlung, Anträge auf Schwerbehinderung, Pflegegrad und EM-Rente zu stellen. Vorher war ich freie Journalistin, jetzt muss ich Grundsicherung beantragen, denn von der Rente werde ich nicht leben können. Es ist zum Heulen. 17/26
Ich weiß, dass mich das nicht als Mensch definiert, aber es ist alles ganz schön krass. 18/26
Trotz allem: Es gab auch Gutes. Ich hatte die nettesten und lustigsten Menschen überhaupt in meiner Gruppe. Wir haben uns unterstützt so gut es ging und sind noch immer in Kontakt 19/26
Die Leute in der Klinik waren ultranett und gut informiert. Das macht echt Hoffnung. Viele haben uns signalisiert, dass sie von uns Patient*innen lernen wollen. Allerdings: 20/26
Aus meiner Sicht muss die @die_rente das gesamte Konzept Reha vor Rente bei #MECFS über Bord werfen. Es kann nicht sein, dass eine Reha (und zwar auch eine angepasste!) bei so vielen Menschen eine Zustandsverschlechterung auslöst. 21/26
Am Schlimmsten war für mich die permanente Reizüberflutung und Fremdbestimmung. Hier zuhause lege ich mir maximal einen Termin in den Tag, sei es ein wichtiges Telefonat, Besuch bei einer Ärzt*in, ein Einkauf. 22/26
Dieser eine Termin wäre in Rahmen der Reha ein einziges gemeinsames Essen gewesen. Und den Rest des Tages: Ruhe, bitte. 23/26
Vielleicht könnte eine ambulante Reha mit viel Telemedizin und Hausbesuchen eine Lösung sein, ich weiß es auch nicht. Aber so, wie ich es erlebt habe, geht es nicht. 24/26
Hier ist übrigens ein sehr gutes Feature zum Thema Reha bei #LongCovid. Nur ganz am Schluss, beim Interview mit @C_Scheibenbogen zu genau dieser Studie – da musste ich schlucken. Aber hört selbst: 25/26
deutschlandfunkkultur.de/behandlung-von…
@C_Scheibenbogen Ach so, eins noch: In genau der gleichen Klinik waren auf der Psychosomatik mindestens vier weitere #LongCovid- oder #MECFS-Betroffene. Die mussten das gesamte Programm mitmachen, inklusive Sporttherapie und wussten nicht mehr weiter. Unfassbar. 26/26
@C_Scheibenbogen Nachtrag: @martinruecker hat meinen Thread für diesen Text aufgegriffen, vielen Dank dafür!

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