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Sep 23, 2022, 19 tweets

Einen „Essay in vier Thesen über das Ende des pädagogisch-kultusbürokratischen Komplexes“ nennt der Bildungsjournalist @ciffi – einst bekannt geworden durch schonungslose Analysen nach dem „PISA-Schock“ – seinen neuen Text auf @Bildung_Table_

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Ich wünsche mir, dass @ciffi|s Thesen zum völligen Versagen des föderal organisierten KMK-Systems breit diskutiert werden, denn es muss ein Ende mit Weiterwursteln in den Schulen haben.
Nachfolgend deshalb einige Kerngedanken von Füller und meine Kommentierungen dazu.
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#twlz

Füllers Ausgangspunkt ist ein Papier zur digitalen Bildung, verfasst von der „Ständigen Wissenschaftlichen Kommission“ (#SWK) der Kultusminister:innen, das zwar „klug und kompliziert“ sei, aber zugleich wenig innovativ & insofern unzureichend - symptomatisch für #KMK-Papiere.
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KMK-Papier ist extrem geduldig, doch Füller schließt hieran nun seine Fundamentalkritik an:
„Der pädagogisch-kultusbürokratische Komplex, gegründet 1947, noch bevor das Grundgesetz entstand, scheint am Ende: Er hat das deutsche Schulsystem in eine prekäre Lage manövriert.“
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Die Belang- & Folgenlosigkeit solcher #KMK-Papiere wie dem über digitale Bildung habe System, meint @ciffi, denn die SWK „gegründet inmitten von #Corona, war von Anfang an eine Brandmauer für die Kultusminister. Es ging darum, sich kritische Erkenntnisse vom Leibe zu halten.“
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Letztlich strebe so der „pädagogisch-kultusbürokratische Komplex“ vor allem nach Verteidigung seiner Pfründe statt nach substantieller Reformen oder Innovationen im deutschen Bildungssystem.
Eine hartes Urteil, für das @ciffi aber schlüssige Belege anführt.
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So habe sich in der Pandemie die KMK der #Luftfilter-Frage „teils durch Schwindelei“ entledigt – schlicht um Geld zu sparen.
Ähnlich habe man das Thema des psychischen Wohlbefindens der Schüler nur verbal aufgegriffen, um es dann gleich der SWK zur Begutachtung zuzuschieben.
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Auch das "plötzlich" akute Thema Lehrermangel ist @ciffi zufolge strukturell hausgemacht. Man habe „über 20 Jahre zu wenig junge & neue Lehrkräfte eingestellt. Jeder Personalchef weiß: Wer so lange keinen Nachwuchs integriert, der ruiniert sein Produkt. Und sein Unternehmen."
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.@ciffi zum Digitalpakt-Flop: „Die Crux dieses Digitalpakts ist nicht etwa, dass finstere Zeitgenossen ihn durch Tricks und Gemeinheiten verzögerten. Nein, er funktioniert dann nicht, wenn sich alle an die Regeln halten. Das bedeutet: Das System ist kaputt.“
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Das größte Versagen sieht PISA-Versteher @ciffi in der Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem: „Vor 20 Jahren bekam das deutsche Schulsystem mit Pisa ein miserables Zeugnis ausgestellt: wenig leistungsfähig, produziert massenhaft Bildungsarmut, total ungerecht.“
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.@ciffi weiter zur fehlenden Chancengleichheit: „Zwischendurch wurde es besser. Aber jetzt, im Jahr 2022, sind wir keinen Schritt weiter. […] Ein Viertel der Schüler wird abgehängt. […] In anderen Staaten müssen failed schools schließen. Die deutsche Schule aber ist so."
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Füllers Fazit: „Die deutsche Schulpolitik steht [...] vor einem Scherbenhaufen." Daran seien die amtierenden Kultusminister zwar nicht allein schuld, aber sie hätten "spät gehandelt, zu spät. Viel schwerer wiegt freilich, dass die Kultusminister strukturell versagt haben."
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Am Beispiel des weitgehend verpufften Digitalisierungspaktes legt Füller so in seinem neuen Text in @Bildung_Table_ grundlegend die Dysfunktionalität des föderal strukturierten, über die KMK-Bürokratie aber zugleich lähmend verflochtenen deutschen Bildungssystems dar.
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Denn einerseits gönnen wir uns einen Bildungsföderalismus, der in Zeiten wachsender Mobilität schon länger nicht mehr zeitgemäß war und im Zuge des europäischen Einigungsprozesses völlig anachronistisch erscheint.
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Zurecht beklagen so Familien, dass der Umzug innerhalb Deutschlands jeweils einen Wechsel in ein ländereigenes neues Schulsystem nach sich zieht. Auch bei der Vergabe begehrter Studienplätze begünstigt der Bildungsföderalismus alljährlich Ungerechtigkeiten.
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Andererseits führt die Verflechtung der Länder im KMK-System dazu, dass ein ernsthafter Wettbewerb der Länder im Bildungsbereich unterbleibt.
Bildung degeneriert zum Länder-Prestigeobjekt („Bildung ist Ländersache“), bei dem aber kein Bundesland ernsthafte Reformen wagt.
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In der KMK besteht so die fatale Neigung, sich auf Formelkompromisse zu einigen, die de facto nichts bedeuten.
Aufgrund der "Kulturhohheit" will kein Länderfürst dem anderen zu sehr dreinreden. Jeder darf ein bissel sein eigen Ding machen, solange es den anderen nicht stört.
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Diesem dysfunktionalen System eines anachronistischen Bildungsföderalismus, der sich in der KMK-Bürokratie selbst gefesselt hat, verdanken wir die nicht nur von Christian Füller zurecht beklagte Reformunfähigkeit des deutschen Bildungswesens.
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Die Coronakrise legt in krasser Weise diese Dysfunktionalität offen. Es wird Zeit, dass über „das Ende des pädagogisch-kultusbürokratischen Komplexes“ nicht nur kluge @ciffi-Texte erscheinen.
Die deutsche Bildungspolitik muss den Systemwechsels endlich einleiten.
19/19

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