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Historiker mit Schwerpunkt auf sowjetischer und deutscher Zeitgeschichte sowie Architekturgeschichte. Forsche (noch) zu „Kyjiw im Krieg. 1937-1947“

Dec 25, 2022, 16 tweets

Dass Rolf #Mützenich weit davon entfernt ist, seine innere #Zeitenwende zu vollziehen, zeigen seine Aussagen im Interview mit der @tazgezwitscher. Sie zeugen von verzerrten Wahrnehmungen, die #Russland ausnutzt, um seinen #Angriffskrieg zu führen
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Problematisch und vielsagend schon der Einstieg. Er habe nicht gedacht, so Mützenich über diesen Krieg, „dass sich Menschen das hier noch gegenseitig antun“.
Diese abstrahierende Sprache verschleiert die Verbrechen der Russen und die eindeutige Antwort auf die Schuldfrage.
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Überaus effektiv, so führt Mützenich vor, ist Putins Mad-Man-Strategie: Je monströser die Drohungen, desto größer die Furcht im Westen, zum direkten Kriegsbeteiligten zu werden.
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Bezeichnend auch, dass er auf Fragen antwortet, die nicht gestellt wurden. Der atomare Schutzschirm gilt eben nicht für die Ukraine. AKK hat deshalb nicht über mehr Atomwaffen geredet, sondern über die Aufrüstung der UA vor dem 24.2. Dann hätte Putin neu kalkulieren müssen.
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Es darf natürlich nicht das Mantra „Aber die Amis!“ fehlen. Denn wen außer ein paar Neocons kann Mützenich meinen, wenn er über „siegesbesoffene“ Politiker spricht? So lässt sich gut von eigenen Illusionen ablenken, die deutlich langlebiger waren (bzw. sind).

Zentral für ein Segment der Sozialdemokratie ist das vulgär realpolitischen Argument, nicht zu „moralisch“ zu agieren. Das ist ein Strohmann: Es geht in erster Linie um Regeln der IB (Du sollst deinen Nachbarn nicht überfallen).
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Besonders lustig ist, wie Mützenich die Angstobsession vor einem Atombomben-Einsatz durch Russland zum Element einer „Scholz-Doktrin“ stilisiert. Ihm ist vermutlich nicht aufgefallen, dass Deutschland der wichtigste Resonanzboden für diese Drohungen Putins ist.
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Ja, und was soll man von der außenpolitischen Kompetenz eines Mannes halten, der störrisch an seinen Illusionen festhält und dazu Kalendersprüche von Egon Bahr zitiert, der 2014 zu den wichtigsten Apologeten des russischen Angriffes auf die Ukraine zählte?
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Typisch ist der komplette Blackout, wenn es darum geht, wie ein Waffenstillstand erreicht werden soll, bei dem auch die territoriale Integrität der Ukraine gesichert bleibt. Denn Mützenich weiß ja, dass Putin die Gebiete nicht freiwillig hergeben wird.
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„Ich hoffe“, „ich wünsche“, „gut wäre es“ - wohlgemerkt: wir lesen hier das Interview mit dem Fraktionsvorsitzenden der Kanzlerfraktion. Der sich von der Realität weder seine Illusionen noch seine außenpolitischen Modelle kaputtmachen lassen möchte.
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Und was meint er hinsichtlich der Ukraine damit, er hoffe, dass sich „die Kriegsparteien sich gleichzeitig über Maßnahmen verständigen, um diesen Krieg weniger grausam zu machen“? Soll sie weniger Invasoren töten, auf deren hohe Opferzahl er explizit hinweist?
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Wenn es ein „reflexhaftes“ Verhalten gibt, dann die Forderung nach diplomatischen Gesprächen, ohne dass konkretisiert wird, worüber denn verhandelt werden soll. Dummerweise gibt es aus diesem Krieg nur zwei Ausgänge:
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Entweder der vollständige Rückzugs Russlands oder das Signal, dass Eroberungskriege im 21. Jh. erfolgreich sein können. Dann können wir davon ausgehen, dass Russland sich zu neuen Kriegszügen ermuntert fühlen wird. Und vielleicht wird dereinst gefragt „Mourir pour Tallinn?“
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Mützenichs vorletzte Antwort läßt besonders tief blicken - offenbart sie doch eine Unkenntnis der Ukraine, die er durch wenige Reisen hätte korrigieren können. Stattdessen dominierte bei ihm bis zum Februar anscheinend das Bild von der zerrissenen Ukraine.
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Und die letzte Antwort wieder: Hoffnung… Für einen führenden Politiker, der sich offensichtlich lieber vom Schicksal führen läßt, erscheint mir das ein bisschen wenig. Welche konkreten Ideen er hat - der langjährige außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion - Fehlanzeige.
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P.S.: So empörend und (vorsichtig formuliert) wenig durchdacht ich die meisten Aussagen von Mützenich in diesem Interview ich übrigens auch finde, meine ich dennoch, dass man in der Sache hart argumentieren kann, ohne ausfallend zu werden.

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