Johannes Hillje Profile picture
Politik- & Kommunikationsberater. Autor “Propaganda 4.0" & “Plattform Europa”. Kolumnist. Wahlkampfmanager a.D. Fellow @DPZ_Berlin. LSE Alumnus. Dr. rer. pol.

May 31, 2023, 11 tweets

Über das Umfragehoch der #AfD sind einige einseitige, teils abwegige Deutungen im Umlauf („Die Ampel ist schuld!“, „Die Union ist schuld!“, „Wokeness ist schuld!“), manche davon spielen der AfD direkt in die Karten. Ein Versuch, den (multikausalen) Zuspruch zur AfD zu sortieren🧵

1. Der größte Sprung in den Umfragen (+5) gelang der AfD nicht (!) in den letzten Wochen, sondern ab Juli 2022 im Verunsicherungskontext von Inflation, Energieknappheit und Wirtschaftsabschwung. Die AfD profitierte, weil sie Ängste in Wut aufs "Establishment" verwandeln konnte.

2. Der derzeitige, moderate Aufstieg (+2) ereignet sich im Zuge der aktuellen Migrationsdebatte, in der AfD-Positionen (Zäune, Asylrecht beschneiden) etwa von Union & FDP z.T. legitimiert werden, sowie der Heizungsdebatte, die ökonomische und materielle Verunsicherung produziert.

3. Ursache für die Verunsicherung beim #Heizungsgesetz ist u.a., dass anfangs die Belastung sehr konkret (und überfordernd) bekannt wurde und die Entlastung (Förderung) bis heute unklar ist - verstärkt durch (Verlust-)Angstmache von der BILD („Wir haben Angst um unser Zuhause!“).

4. Der Ampel gelang es nicht soziale Ängste aufzufangen. Die Opposition hingegen kulturalisiert Veränderungsängste zusätzlich mit der Reproduktion rechtspopulistischer Alltagskultur-Narrative, z.B. "Woke-Wahn" (Söder) oder zuletzt "Energie-Stasi"

5. Der AfD gelingt also eine angststiftende & antagonistische Kulturalisierung ökonomischer Themen, wenn es an einer ausreichenden Materialisierung sozialer Fragen durch die Regierung mangelt und die Opposition den kulturellen Diskurs mit den Schlüsselbegriffen der AfD befeuert.

6. Und wo kommen die hinzugewonnenen Umfragepunkte der AfD her? Dazu kann man nur informiert spekulieren: 1. Die AfD verlor 2021 (im Vergleich zu 2017) ca. 810.000 Wähler ans Lager der Nicht-Wähler. Einige davon wird sie im jetzigen Verunsicherungskontext wieder aktivieren können

7. Zweitens verlor die AfD 2021 auch viele Wähler an die FDP, von denen sie in den letzten Monaten einige zurückgewonnen haben könnte. Bei FDP-Wählern hat die AfD ohnehin noch am ehesten ein Potenzial (vgl. kas.de/de/monitor/det…). Das deckt sich mit aktuellen INSA-Daten.

8. Allein von "Protest" bei AfD-Anhängern zu reden war noch nie richtig. Die AfD-Klientel ist eindeutig rechtspopulistisch eingestellt (siehe z.B. home.uni-leipzig.de/decker/wahlpra…). In der Bevölkerung sind laut Mitte-Studie 13,5% rechtspopulistisch und 33,3% teilweise derart eingestellt:

9. Am meisten beunruhigen sollte die gesellschaftliche Normalisierung der sich radikalisierenden AfD. Hierzu tragen u.a. Gewöhnungseffekte, Kooperation anderer Parteien mit der AfD auf Landes- & Kommunalebene und Übernahme rechtspopulistischer Rhetorik im politischen Diskurs bei.

10. Abschließend: Von den anderen Parteien hängt auch ab, wie glaubwürdig das Ziel der AfD der (indirekten) Regierungsbeteiligung nach den Landtagswahlen 2024 in Ostdeutschland ist ➡️
derhauptstadtbrief.de/was-wenn-der-w…

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