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Mar 26, 2020 19 tweets 5 min read Read on X
Ich möchte kurz etwas zu Herbert Woratschek sagen, der sich auf einem Blog der Uni Bayreuth zu dem offenen Brief geäußert hat, der kürzlich ein #Nichtsemester in der Lehre forderte. unibloggt.hypotheses.org/3949 Woratschek lehnt das Nicht-Semester ab - seine Antwort ist symptomatisch.
Sehr unangenehm ist vor allem Woratscheks latent durchklingende Haltung, man müsse lediglich die Arschbacken zusammenkneifen und dann ginge das alles schon gut. Lösungen findet man in dem Beitrag nicht einmal im Ansatz. Wozu also solch einen Beitrag schreiben?
Meine Hauptkritik an der Äußerung von Woratschek ist, dass er nicht wirklich erkennt, dass nicht das Personal unter Zugzwang steht, sondern die Unis als Institution. Man gewinnt den Eindruck, dass er nicht alle Implikationen eines Regelsemesters in #COVID19 Zeiten durchdacht hat.
Die Unis sind in der Pflicht die Lehre gemäß den vereinbarten Studienordnungen durchzuführen. Vollkommen unbelassen der Experimentierfreude des Personals: Das können sie aktuell vermutlich datenschutzrechtlich gar nicht ohne weiteres, denn Telestudium ist so gar nicht vorgesehen.
Es mag da Vorreiterunis geben, aber mal eben ein Tool außerhalb des Bestandsinstrumentariums verwenden - wie Woratschek es vorschlägt - ohne dass das Verfahren personal- und datenschutzrechtlich geklärt ist, geht formaltechnisch nicht - das müssen die Unis erst einmal wuppen.
Kann man jetzt kleinlich finden - ich persönlich denke auch, dass wir angesichts der Lage jetzt pragmatische Lösungen an den Regelwegen vorbei (sagen wir es offen: Mauscheleien) finden müssen und es ist klasse, wenn wir das schaffen. ABER: das ist Kulanz seitens des Personals.
Wenn Universitätsleitungen jetzt also so wie Woratschek täten als sei es Pflicht des Personals klar zu kommen, obwohl die Universitäten als Verwaltung jahrelang verschlafen haben, die Digitalisierung entsprechend voran zu treiben, kann man dem nur eine klare Absage erteilen.
Um nicht missverstanden zu werden: ich bin ein großer Verfechter der #Digitalisierung. De facto profitiere ich gerade durch #COVID19, weil ich für #changemanagement im Bereich der Digitalisierung jetzt unglaublich viel Verständnis und Interesse entgegen gebracht bekomme.
#COVID2019 hat enormes Innovationspotenzial & ja, das gilt es zu nutzen. Aber wir nutzen es nicht, indem wir so tun, als ob das alles ein Klacks wäre. Nein, wir müssen die Herausforderung genau anschauen, um produktiv damit umgehen zu können. Wegschauen hat gegenteiligen Effekt.
Woratschek zeigt an mehreren Stellen des Beitrags mit dem Finger auf andere Gesellschaftsbereiche, in denen die Belastung höher sei als in F&L. Zweifelsfrei trifft das für einige der von ihm genannten Fälle zu - aber derlei whataboutism ist weder hilfreich noch erhellend.
Die Unis sind keine Notaufnahme - Punkt. Dennoch ist auch hier die Belastung einzigartig. Mit der Argumentation daher zu kommen "Was bedeutet dies schon angesichts von XYZ?" ist ignorant, es ist aber vor allem nutzlos, weil es exakt gar nichts zur Lösung beiträgt.
Gleichzeitig beschwert sich Woratschek darüber, dass die Unterstützer*innen des offenen Briefes Forderungen stellten, "anstatt vorrangig an den Herausforderungen im Zusammenhang mit der CoronaKrise zu arbeiten". Was denkt Woratschek eigentlich, was diese Leute VORRANGIG machen?
Das Personal ist absolut vorrangig genau damit beschäftigt. GENAU DESWEGEN solch ein Brief. An den meisten Standorten gibt es keine klaren Regelungen wie das Semester ablaufen wird - gleichzeitig drücken Lehrverpflichtungen, Credits & BAföG Einschnitte.
Und dann dieses pathostriefende "Mir treibt es Schamröte ins Gesicht..." weil in dem Brief von „Zusätzlicher Aufwand für Lehrende und Verwaltung“ gesprochen wird (was ja objektiv gesehen eine vollkommen zutreffende Beschreibungen ist)... Das ist lächerlich.
Aber um noch einmal zusammenfassend in die Zukunft zu schauen: natürlich hat ein #Nichtsemester (was ja im Übrigen nicht - wie Woratschek suggeriert - heißt, dass nicht gearbeitet wird) auch erhebliche ökon. Konsequenzen, weil wir ab dem Folgesemester eine doppelte Kohorte hätten
Ich denke auch, dass wir um jeden Preis verhindern müssen, dass das so passiert, aber die Lösung dieses Problems liegt tatsächlich nicht bei den Kolleg*innen, die Woratschek mit Schamesröte im Gesicht kritisiert - sie liegt bei der Universitätsverwaltung.
Dass Lehrende und Studierende in der Zwischenzeit kreativ nach Lösungen suchen ist super! Aber das ist alles keine Grundlage auf der man einfach so weiter machen kann - noch mehr trifft das natürlich auf Schulen zu.
Die Ziele für dieses Semester müssen mMn andere sein:
1. Studienordnungen schaffen, die 100% digitale Forschung & Lehre zulassen.
2. Rahmenbedingungen zu schaffen wie Studierende möglichst viel Leistungsnachweise erbringen können - im Zweifelsfall über neue Formen der LNW.
3. die positiven Vibes ganz weit oben halten - denn die werden wir brauchen, um die notwendigen Veränderungsprozesse, die wir im nächsten Semester anschieben müssen, zu tragen. Wütende und - wie ich finde - vollkommen unproduktive "Weitermachen!" Pepblogs bringen gar nichts.

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