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Als ich bei der Berufsberatung in der 12. Klasse sagte, ich würde gerne Autorin werden, war der Berater ziemlich ratlos. Ob ich denn jemanden kenne, der mir bei einem Verlag ein Praktikum beschaffen könne? Oder sonst Vitamin B hätte? Nein?
Dann vielleicht doch lieber Lehrerin.
Wie also wird man Autorin, ohne Verlagskontakte und anderes Vitamin B? Ich habe mir überlegt, in den nächsten Tagen hier ein bisschen was über meinen persönlichen Weg dahin zu erzählen, anhand der Bücher, die ich in den vergangenen zehn Jahren geschrieben habe.
Erster Stopp: Die Zeitschrift ELTERN. Da bewarb ich mich 2006 um mein erstes und einziges journalistisches Praktikum. Weil ich schreiben wollte und weil mich das Thema interessierte. Ich wollte nämlich selbst bald Kinder haben. Ich bekam den Praktikumsplatz und war überglücklich.
Was ich also empfehlen kann: Sich eine Nische suchen, die mich interessiert und die eine bestimmte Publikumszeitschrift bedient, die aber nicht so mit Praktikumsanfragen überhäuft wird wie die ganz großen Tages- und Wochenzeitungen, wo alle hinwollen.
Als mein Praktikum anfing, war ich mit meinem ersten Kind im 6. Monat schwanger. Talk to me about perfektes Timing! Ich war Autorin und Zielgruppe zugleich, das war natürlich großartig. Alles, worüber ich schrieb, interessierte mich selbst. Brennend!
Und weil ich mit meiner Begeisterung fürs Thema, meinen Ideen und meinen Texten in der Redaktion einen guten Eindruck hinterlassen hatte, durfte ich nach Praktikumsende und der Geburt meiner ersten Tochter weiter als freie Autorin für die ELTERN schreiben. Was großartig war.
In den folgenden Jahren schrieb ich hunderte journalistische Texte zu Familienthemen. Führte Experteninterviews, las Fachbücher, studierte wissenschaftliche Studien. Bekam mein zweites Kind. Und verband in meinen Artikeln mein Wissen mit meiner wertschätzenden Haltung.
Journalistin zu sein, macht mir Spaß. Doch mein Traum, vom Bücherschreiben leben zu können, und dabei frei meine eigenen Themenschwerpunkte setzen zu können, fühlt sich immer noch unerreichbar fern an.
Ich habe nach wie vor keinen Agenten, keine Verlagskontakte, keinen Fuß in der Tür irgendwo. Ich schreibe und schreibe, aber kaum jemand kennt meinen Namen, meine Themen, mein Gesicht.
Trotzdem entwerfe ich ein Exposé für ein Buch. Es soll um das erste Jahr mit Baby gehen, und aus explizit liebevoller, bindungsorientierter Perspektive geschrieben sein. Kein Verlag hat Interesse. Wir schreiben das Jahr 2010, da gilt das alles im Mainstream als viel zu abwegig.
Ein Verlag - GU - hält meine Buchidee zwar auch für zu gewagt, hat aber immerhin an mir als Autorin Interesse. Ob ich mir vorstellen könne, eine verlagsintern bereits entwickelte Idee umzusetzen? Ein Ratgeber über die Basics, die junge Eltern wissen müssen. Titel: Crashkurs Baby.
Ich bin im 7. Himmel. Ich darf ein Buch schreiben, ein richtiges Buch. Stolz unterschreibe ich den Vertrag, der mir geschickt wird, und lege los. Um meine kleine Fangemeinde, die ich mir mittlerweile erschrieben habe, auf dem Laufenden zu halten, führe ich parallel einen Blog.
2011 erscheint mein erstes Buch. 'Crashkurs Baby. Anleitung für Ungeübte'. Weder Titel noch Untertitel sind von mir, aber egal. Der Inhalt ist es, und das zählt für mich. Ich bin stolz und glücklich. Vor allem, weil ich dem Buch trotz aller Vorgaben meine Haltung mitgeben konnte.
So werden beispielsweise Schlafen im eigenen Bettchen und sicheres Schlafen im Familienbett als gleichberechtigte gute Optionen vorgestellt.
Babys werden ganz selbstverständlich nicht nur geschoben, sondern gerne auch getragen.
Und gute Mütter erkennt man nicht daran, welche Milch ihr Baby bekommt.
Das Buch wird in bedürfnisorientierten Kreisen als eine Art Geheimtipp gehandelt, kann die Verkaufserwartungen des Verlags aber nicht erfüllen. Nach knapp zwei Jahren wird es aus dem Programm genommen.
Allerdings hat unsere Zusammenarbeit beim Crashkurs GU davon überzeugt, sich mein Exposé noch einmal anzuschauen und sich schließlich dafür zu entscheiden, mich das erste explizit bindungsorientierte Elternbuch überhaupt für einen deutschen Mainstream-Verlag schreiben zu lassen.
2013 kommt also mein zweites Buch auf den Markt. 'Das Geheimnis zufriedener Babys'. Ich bin so stolz. Und so glücklich.
Ich werde zu allerersten Lesungen eingeladen. @gewuenschkind rezensiert mein Buch und spricht eine dicke Empfehlung aus. Ich denke: Jetzt kommt er langsam, der Erfolg.

gewuenschtestes-wunschkind.de/2014/04/das-ge…
Doch auch dieses Buch wird die Verkaufserwartungen des Verlags nie erfüllen. Es kommt nie zu einer zweiten Auflage, und das Buch wird sang- und klanglos wieder vom Markt genommen. Ich bin sehr traurig.
In diesem Jahr bin ich auf der Buchmesse. Als ich am Stand 'meines' Verlags vorbeikomme, ist keins meiner Bücher mehr da. Als hätte ich sie nie geschrieben. Niemand kennt mich hier. Ich starre auf zigtausend Bücher in den Messehallen und frage mich, ob es welche von mir braucht.
Soll ich überhaupt noch einmal ein Buch schreiben? Mitten in diese Überlegungen hinein platzt eine E-Mail aus dem Beltz Verlag. Ob ich mir vorstellen könne, ein Buch über die besondere Dynamik von Kinderfreundschaften zu schreiben.

Ich fühle mich gesehen. Und sehr geehrt.
2014 erscheint 'Freundschaft. Wie Kinder sie erleben und Eltern sie stärken können.' Ein wirklich schönes Buch, bei dessen Entstehung ich selbst viel lerne.

Die Verkaufszahlen sind trotzdem mehr als bescheiden.
Ich habe mittlerweile 3 Bücher geschrieben, die allesamt nicht einmal in die Nähe einer zweiten Auflage gekommen sind. Und das, obwohl mich durchaus dankbare Zuschriften erreichen. Aber die Verkaufszahlen sind und bleiben zu niedrig, um auch nur ansatzweise davon leben zu können.
Trotzdem bleibe ich mit GU im Gespräch. Eine neue Idee steht im Raum: Wäre es nicht Zeit für das erste bindungsorientierte Schlafbuch in einem großen deutschen Ratgeberverlag?

Ich sage, dass ich mir das allein nicht zutraue. Und mache mich auf die Suche nach einem Co-Autor.
Ich schreibe Herbert Renz-Polster, mit dem ich seit einem ELTERN-Interview Jahre zuvor in gutem kollegialen Kontakt stehe. Wir tauschen uns darüber aus, wie so ein Schlafbuch von uns beiden aussehen könnte. Und beschließen: Das machen wir!
Herbert hat zu diesem Zeitpunkt - ganz im Gegensatz zu mir - schon mehrere Bestseller veröffentlicht. Und tritt bei unseren Vertragsverhandlungen entsprechend selbstbewusst auf. Ich staune und lerne. Was alles möglich ist!
Unser Autoren-Team 💙
'Schlaf gut, Baby!' erscheint im Frühjahr 2016. Ich traue mich kaum, mein Herz daran zu hängen, weil ich so Sorge habe, dass es auf dem Markt nicht besteht. Doch diesmal kommt es anders: Unser liebevolles Schlafbuch kann sich als neues Standardwerk etablieren. Was für ein Glück!
Kurz nach 'Schlaf gut, Baby!' erscheint noch ein weiteres Buch von mir: 'Das Geburtsbuch'. Ein Herzblut-Projekt sondersgleichen. Mir ist es schon lange ein großes Anliegen, wertschätzend und fachkundig über die verschiedenen Wege, ein Kind zur Welt zu bringen, zu schreiben.
Das Geburtsbuch ist ein großes, wichtiges Buch, wie es es bisher nicht gab. Beltz platziert es als Spitzentitel im Frühjahrsprogramm. Ich gebe viele Interviews zum Thema. Ich will mit diesem Buch nicht weniger als einen Paradigmenwechsel erreichen, eine neue Sicht auf das Thema.
Doch die Verkaufszahlen sind ernüchternd und bleiben weit hinter allen Erwartungen zurück. Das Buch, das ich so gerne gelesen hätte in meinen Schwangerschaften und von dessen Wichtigkeit ich so überzeugt bin, schafft es nicht, ein großes Publikum zu erreichen.
Ich bin so stolz auf dieses Buch, trotz allem. Darauf, dass es keinen Geburtsweg über den anderen stellt. Kaiserschnitte nicht als Geburten zweiter Klasse dastehen lässt. Auch Fehl- und Totgeburten respektvoll und offen thematisiert. Und die Geburtsverarbeitung behandelt.
Noch immer erreichen mich berührende Briefe von Eltern, denen es sehr geholfen hat. Deshalb bereue ich auch nicht, es geschrieben haben. Trotzdem schmerzt es bis heute, dass ich mit diesem Buch nicht mehr Menschen erreichen konnte.
Drei Monate später, im Spätsommer 2016, erscheint mein 6. Buch: 'Mein kompetentes Baby'. Mein erstes Buch im Kösel-Verlag. Ich habe es während der Schwangerschaft mit meinem dritten Kind geschrieben, beseelt von dem Gedanken, den defizitorientierten Blick auf Babys zu verändern.
Ich bin sehr glücklich mit meinem Buch-Baby. Es ist nicht nur inhaltlich eine ganz neue Herangehensweise an das Thema, auch optisch ist das Buch ganz besonders schön gestaltet. Also, wenn das kein Zeug zum Bestseller hat ...
Hat es nicht. Zumindest: zunächst nicht. Sein Erscheinen schlägt keine großen Wellen. Andere Babybücher dominieren nach wie vor den Markt. Meins bleibt eine Art Geheimtipp.
Nach fünf Jahren als Buchautorin ziehe ich ein ernüchtertes Fazit: Keins meiner Bücher hat bisher je eine zweite Auflage bekommen. Mit keinem habe ich über den Vorschuss hinaus Geld verdient. Im Gegenteil: Jede Tantiemenabrechnung zeigt mir, wie weit ich davon entfernt bin.
Und das einzige meiner Bücher, das man zu diesem Zeitpunkt wirklich als Erfolg bezeichnen kann, habe ich nicht allein geschrieben, sondern mit einem Bestellerautor als Co-Autor. Da liegt es nahe, zu denken: Dass dieses Buch erfolgreich ist, liegt sicher an ihm, nicht an mir.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Mir geht es trotzdem zu diesem Zeitpunkt sehr gut. Ich habe drei großartige Kinder und als Journalistin einen Job, den ich liebe. Ich bekomme viele spannende Aufträge für Artikel, halte Vorträge, habe eine wunderbare Community im Netz.
Ich kann nur nicht vom Bücherschreiben leben. Das ist alles. Also beschließe ich, mich erstmal auf anderes zu konzentrieren. Baue meine Website und meine Präsenzen in den sozialen Netzwerken aus, engagiere mich in einem Expert*innengremium zur Stillförderung, schreibe Artikel.
So kommt es, dass es nach drei Buchveröffentlichungen 2016 von mir 2017 kein einziges neues Buch gibt. Trotzdem steigt meine Bekanntheit durch meine Artikel, meine Vorträge und meine Präsenz online.

Und dann packt mich doch wieder ein Buchthema.
Ich will über Kinder schreiben, die uns mit ihrem ganz besonders intensiven, fordernden Temperament ganz besonders brauchen, uns aber auch an unsere Grenzen bringen können. Lange suche ich nach einem treffenden Begriff, um ihr Temperament zu beschreiben.
Schließlich entscheide ich mich, von gefühlsstarken Kindern zu sprechen. Mein Verlag ist einverstanden. Besonders riesige Hoffnungen steckt man nicht in das Buch. Es wird kein Spitzentitel, erscheint in einer kleinen Erstauflage. Aber ich habe das Gefühl: Dieses Thema wird groß!
Am 31. Mai 2018 erscheint 'So viel Freude, so viel Wut. Gefühlsstarke Kinder verstehen und begleiten.' Und trifft einen Nerv. Die 1. Auflage ist am ersten Verkaufstag ausverkauft, die zweite noch in der selben Woche. Kurzzeitig gibt es einen Lieferengpass, so begehrt ist das Buch
Mein Telefon steht nicht mehr still. Interviewanfragen, Bestsellerlisten, neue Verkaufsrekorde. Und jede Menge Angebote für neue Bücher. Ich kann das alles kaum verarbeiten. Nach so vielen Jahren, und so vielen Büchern, ist er plötzlich da, der Erfolg. Und zwar wie über Nacht.
Viele Menschen, mit denen ich in diesen Wochen spreche, denken, 'So viel Freude, so viel Wut' sei mein erstes Buch. Und dann gleich ein Bestseller! Umso wichtiger ist es mir, offen zu erzählen, mit wie vielen Rückschlägen und Enttäuschungen der Weg dahin gepflastert war.
Ich nutze den Schwung für ein weiteres Buch, und greife mein Herzensthema aus dem Geburtsbuch noch einmal auf. Gemeinsam mit meiner Marburger Hausgeburtshebamme Sabine Pfützner schreibe ich die 'Babybauchzeit', ein bestärkendes Begleitbuch für Schwangerschaft und Geburt.
Bei diesem Buch läuft all das besser, was beim Geburtsbuch nicht gelang: Es informiert nicht nur ermutigend und wertfrei und bestärkt werdende Eltern auf ihrem individuellen Weg. Es verkauft sich auch gut, und entfaltet deshalb eine ganz andere Präsenz als sein Vorgänger.
Im Herbst 2019 erscheint mein neuntes Buch: 'Du bist anders, du bist gut', der Nachfolger meines ersten Buches über gefühlsstarke Kinder. Wieder ein Bestseller. Es ist, als gingen auf einmal all die Türen auf, die mir vorher verschlossen waren.
2020. In weniger als drei Monaten erscheint mein 10. Buch. 'Mein Familienkompass'. Es ist mein absolutes Lieblingswerk. Alles, wofür ich brenne, steht hier drin. Ich freue mich so darauf, meine Gedanken für ein modernes, gleichwürdiges Familienleben mit der Welt zu teilen.
Meine Berufsberatung ist genau 20 Jahre her.

Heute bin ich 37, habe 4 Kinder und kann vom Bücherschreiben leben. Ich habe eine wunderbare Agentur und großartige Verlage, mit denen ich zusammenarbeite. Und noch so viele Buchideen!

Wie gut, dass ich nicht Lehrerin geworden bin.
Achso, noch eine kleine Ergänzung: Mittlerweile könnt Ihr all die genannten Bücher wieder lesen. 'Crashkurs Baby' vertreibt mittlerweile der Nikol Verlag, 'Das Geheimnis zufriedener Babys' und 'Das Geburtsbuch' gibt's immerhin als E-Books wieder. Und alle anderen sowieso.
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