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Warum meine Kinder kein Taschengeld bekommen (Thread)

Da mir immer mal wieder Diskussionen rund ums Taschengeld begegnen (wie viel? wie oft? was wird davon gekauft?) und ich oft auf Erstaunen stoße, wenn ich sage, dass unsere Kinder keins kriegen, schreib ich mal, warum.
Dass Kinder Taschengeld bekommen, ist für die meisten Menschen hierzulande eine Tatsache, die kaum hinter hinterfragt wird. Schließlich müssen Kinder doch einen sinnvollen Umgang mit Geld erlernen!
Also bekommen viele Kinder Taschengeld. Anfangs meist winzige Summen: 50 Cent pro Woche. Oder einen Euro. Das Taschengeld wird nach Alter gestaffelt ausgegeben und die Kinder dürfen davon kaufen, was sie wollen. Theoretisch. Praktisch bekommt man für das Geld so gut wie nix.
Taschengeld hat also für viele Kinder erstmal nicht den Effekt, sich endlich etwas leisten zu können. Sondern vielmehr, sich lange sehr wenig leisten zu können. Ein Kindergartenkind, das pro Woche einen Euro Taschengeld bekommt, muss vier Wochen auf eine Kinderzeitschrift sparen!
Typischerweise läuft es dann so, dass Eltern das Taschengeld dann als Möglichkeit eröffnen, wenn sie etwas selbst nicht kaufen wollen: 'Das kannst du dir ja dann von deinem eigenen Geld kaufen!' Oft steckt da eine Abwertung drin: Dafür ist uns unser Geld zu schade.
Wünscht sich ein Kind etwas sehr, das seine Eltern ihm nicht kaufen wollen, hat es nun also die Möglichkeit, es sich selbst zu ersparen. Üblicherweise über sehr lange Zeit, denn Herzenswünsche kosten selten nur wenige Euro. Das bringt aber auch eine Menge Stress mit sich.
Denn jeder kleine Wunsch im Hier und Jetzt droht den großen Wunsch zu gefährden. Wenn ich mir jetzt ein Päckchen Sammelkarten kaufe, kriege ich nie das Geld für das Legoset zusammen. Kindern wird da eine Selbstdisziplin aufgebürdet, die kaum ein Erwachsener so hat.
Erhöht wird dieser Stress häufig durch die typischen Kommentare:
'Tja, hättest du dein Geld nicht hier ausgegeben, könntest du jetzt noch das hier kaufen.'
'Dafür reicht dein Geld jetzt leider nicht mehr.'
'Das hättest du dir früher überlegen müssen.'
Kurz: SELBST SCHULD!
Besonders heftig erwischt dieser Stress Geschwisterkinder, die ein sehr unterschiedliches Konsumverhalten haben. Dann kann das eine Kind sich nämlich im Zoo-Shop ein Kuscheltier kaufen, während das Geld des anderen ja leider, leider schon weg ist.
Eltern greifen in solchen Situationen oft nicht ein, weil sie sonst den pädagogischen Effekt gefährdet sehen. Das verzweifelt weinende Kind soll schließlich lernen, sein Geld in Zukunft besser beisammen zu halten. Schließlich wächst es nicht auf Bäumen!
Besonders fies wird die Taschengeld-Geberei dann, wenn auch noch bestimmte Leistungen oder Verhaltensweisen daran geknüpft sind. Etwa: Taschengeld gibt's erst, wenn das Zimmer aufgeräumt ist. Oder: Wer sich in der Schule nicht anstrengt, kriegt weniger Geld.
Umgekehrt können sich viele Kinder ihr Taschengeld durch Hilfe im Haushalt aufbessern. Finde ich auch blöd. Ich werde schließlich auch nicht fürs Kochen, Waschen und Putzen bezahlt. Wir sind eine Familie, wir haben untereinander doch keine Geschäftsbeziehung!
Taschengeld, wie es meist gegeben wird, zementiert also ein krasses Machtgefälle: Wir Eltern entscheiden mehr oder weniger willkürlich, wer wann wie viel bekommt, was davon gekauft werden muss und was nicht, und an welche Bedingungen die Auszahlung geknüpft ist.
Dabei nehmen wir jede Menge Ungerechtigkeiten in Kauf: Warum soll ein Fünfjähriger länger auf ein und das selbe Spielzeug sparen müssen wie sein achtjähriger Bruder? Wieso müssen Kinder auf Nagellack sparen, während ihre Mütter ihre Beauty-Produkte ganz selbstverständlich kaufen?
Ich fände es falsch und verlogen, meinen Kindern ein paar Euro pro Woche zuzuteilen und dann bedauernd mit den Schultern zu zucken, wenn sie sich damit kaum etwas leisten können. Stattdessen sehe ich es so: Unser Geld gehört uns allen - unserer ganzen Familie.
Wer etwas braucht, bekommt's. Jede*r hat das Recht, sich beim Einkaufen auch was zu gönnen, was nicht auf der Liste steht. Wer ins Kino gehen mag oder ins Theater, kann das tun. Es wird nichts aufgerechnet oder mitgezählt.
Wenn das Geld knapp ist, ist es für alle knapp. Geht es uns gut, geht es allen gut. Wir üben uns nicht in künstlicher Verknappung, sondern in Großzügigkeit. Unsere Kinder dürfen sich etwas gönnen. Und wir selbst auch.
Eigenes Geld haben unsere Kinder trotzdem: aus Geschenken zu Weihnachten und zum Geburtstag, aus Flohmarkt-Verkäufen und kleinen Jobs irgendwo. Das ist total okay. Doch wir wollen momentan nicht, dass regelmäßige Geldtransfers Teil unserer Eltern-Kind-Beziehung sind.
Der einzige Grund, dies zu ändern, wäre, wenn unsere Kinder sich selbst einmal Taschengeld wünschten. Das kann ja sein. Dann müssen wir darüber sprechen und gemeinsam sehen, wie eine faire Taschengeld-Lösung aussehen kann.
Doch bis dahin gilt: Unsere Kinder lernen den gesunden Umgang mit Geld, indem sie weder knapp gehalten noch mit Riesensummen überschüttet werden - sondern indem sie genau wie wir Großen auch vom Familieneinkommen bekommen, was sie gerade brauchen.
Noch ein Nachtrag zum Thema Selbstwirksamkeit: Wir wollen natürlich nicht, dass unsere Kinder um jede Kleinigkeit fragen und alles mit uns diskutieren müssen. Sie können auch einfach sagen, dass sie etwas Geld brauchen, und bekommen welches, tatsächlich fast wie Taschengeld.
Aber eben auch keine statisch festgelegte Summe, sondern eher situativ: Wie viel braucht man für einen schönen Nachmittag auf dem Weihnachtsmarkt? Wie viel, um Eis essen zu gehen? Und natürlich bekommen unsere Kinder 'Taschengeld' auf Klassenfahrten mit wie alle anderen auch.
Noch ein Nachtrag: Ich habe in diesem Thread zusammen gefasst, was mich an weit verbreiteteten Taschengeld-Praktiken stört. Mir ist natürlich bewusst, dass man auch sehr respektvoll und bindungsorientiert Taschengeld geben kann.
Ich verurteile es also keinesfalls, Taschengeld zu geben. Ich finde es nur wichtig, die dadurch entstehenden Mechanismen zu reflektieren. Und bleibe dabei: Taschengeld wird meist in erzieherischer Absicht gegeben. Das Kind soll dadurch etwas lernen. Das wollen wir (so) nicht.
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