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Eine Gegenrede.
Das wird ein längerer Thread...

Lehrer*innen mit L, Schüler*innen mit S abgekürzt.

(1/15)

#twitterlehrerzimmer
#Lehrerleben
Gerne wird die Hattie-Studie angeführt, in der es heißt, dass nicht die Klassengröße, sondern die Beziehung der L zu den S entscheidend für den Lernerfolg seien. Dabei wird ignoriert, dass "Beziehung" auch auf persönlicher Ansprache zu dem einzelnen S entsteht. Ich habe S, die
mich anrufen und mir private Probleme erzählen, die mich um Hilfe bitten, welche viel Zeit in Anspruch nimmt. Ich habe S, die nicht in der Lage sind, eigenständig Aufgaben zu bearbeiten, die in kleinsten Schritten Hilfe und Zuspruch brauchen.
Ich habe S die laut und ständig abgelenkt sind, bei denen die wenigen Maßnahmen, die wir ergreifen dürfen (Nachsitzen/Strafarbeit/Elternbrief) nicht greifen. Die mit Glück über Gespräche zu erreichen sind, sonst aber alle anderen S und den Unterricht stören.
Ich habe extrem heterogene Klassen, in denen S aus Förder-, Haupt- und Realschulen und aus der Erziehungshilfe sitzen, die sich schlecht konzentrieren können, ein hohes Aggressionspotential haben, die zugedröhnt in den Unterricht kommen, die zT schon selbst Kinder haben,
die müde sind oder traurig, S mit Gewalterfahrungen, die schulmüde sind, die gemobbt werden - das alles neben S, die Lust haben, etwas zu lernen.
S, die ganz unterschiedliche Lehrmethoden bevorzugen und unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen.
Ich soll individuelle Rückmeldungen
geben und am Ende alle auf einen annähernd gleichen Stand bringen.
Ich soll erziehen und bilden. Ich soll jeden berücksichtigen und jeden einbinden.
Es darf mir niemand "durchrutschen", jeder verdient Aufmerksamkeit und soll zu Wort kommen.
Ich soll Elterngespräche führen,
mit Eltern, die ihre Kinder schon abgeschrieben haben, die überfordert sind oder gewalttätig, denen man monatelang hinterher telefoniert und schreibt, um sie zu einem Gespräch zu überreden und dann doch versetzt wird.
Ich soll S im Praktikum betreuen, das sie nur mit meiner
Hilfe bekommen konnten.
Ich soll ihnen Chancen geben, die ihnen viel zu oft verwehrt wurden, soll sie berufsreif machen.
Ich habe S aus prekären Verhältnissen, die oftmals intensive pädagogische Betreuung brauchen & verdienen.
Das geht nicht, wenn ich Klassen mit über 30 S habe.
Ich unterrichte leidenschaftlich gerne. Ich ziehe keine alten Entwürfe aus der Schublade, sondern schneide sie auf meine S zu. Und in meiner alten Schule lief es damit gut. Auch da waren kleine Klassen angenehmer, aber auch die großen waren noch gut zu unterrichten.
Es ist aber ein Unterschied, ob man S hat, die Frustrationstoleranz, Lernmotivation und Konzentration mitbringen, die selbständig arbeiten und sich selbst einschätzen und regulieren können oder S, auf die das alles nicht zutrifft.
Wenn wir soziale Gerechtigkeit wollen, dann dürfen wir aber in der Bildungspolitik nicht nur von den S ausgehen, die aus behüteten Elternhäusern kommen, in denen ihnen vermittelt wird, dass Bildung wichtig ist.
Wenn wir soziale Gerechtigkeit wollen, müssen wir jenen S immer und
Immer wieder die Hand reichen. Müssen sie über manche Schwellen schubsen, müssen auffangen, was Eltern und Gesellschaft vergeigt haben.
Das ist ohnehin schon mühsam und nicht immer von Erfolg gekrönt - es wird aber bei zunehmender Klassenstärke immer schwieriger.
Die Kleingruppen in Folge der Corona-Pandemie haben gezeigt, wie viel besser der Unterricht & wie viel angenehmer die Arbeit ist, wie konzentrierter die S und wie viel größer ihr Lernerfolg.

Die Klassengröße ist ganz definitiv kein überschätzter Faktor, liebe Frau @schroeder_k!
Sie ist mit Sicherheit nicht der einzige Faktor für den Bildungserfolg, aber ein ganz entscheidender!
(Für die Lehrergesundheit sowieso)
Zahlreiche Rückmeldungen meiner S bestätigen dies.

Ja, Bildung kostet Geld. Sie zahlt sich langfristig aber aus.

(15/15)
P.S. Stichwort Corona:
Man soll es kaum glauben, aber es gibt S, die kein PC/Laptop/tablet haben, kein WLAN und keinen Drucker. Die mit Glück ein Smartphone haben, aber beschränktes Datenvolumen. Auch da bräuchte es Geld, um diese Ungleichheit abzufangen.
Die Studie zeigt einen Zusammenhang von Lernerfolg und Klassengröße.

Sicherlich müsste untersucht werden, ob sich dies auf andere Schularten übertragen lässt.
Ich lehne mich nicht weit aus dem Fenster, wenn ich das für sehr wahrscheinlich halte.

news4teachers.de/2018/06/forsch…
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