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Was ist Kernfusion?

Wie bei der Kernspaltung wird bei ihr die Starke Kraft freigesetzt, die Protonen&Neutronen im Atomkern zusammenhält. Energiefreisetzung erfolgt dann, wenn ein weniger stabiles Isotop in ein stabileres transmutiert wird. Das stabilste Isotop ist Eisen-56.
Das bedeutet, dass schwere Elemente durch Spaltung (Verringerung des Atomgewichts) und leichte durch Fusion (Verschmelzung -- Steigerung des AG) Energie freisetzen können -- die "Bewegungsrichtung" erfolgt stets auf Fe-56 zu.
Spaltung von Aktiniden (Uran, Plutonium) kann man schon seit den 1940ern als Energiequelle nutzen, seit Enrico Fermi und sein Team unter dem Sportplatz der Universität Chicago den ersten Spaltungsreaktor, den Chicago Pile 1, in Betrieb nahmen.
Fusion ist komplizierter: denn während Spaltung durch Neutroneneinfang erfolgt (Neutron trifft Kern -- dieser zerplatzt), müssen bei ihr ganze Atomkerne ineinandergepresst werden. Neutronen werden vom Kern nicht abgestoßen, andere Kerne aufgrund ihrer positiven Ladung schon.
Sowohl das Zerbrechen eines Aktinidenkerns in Bruchstücke wie auch die Verschmelzung zweier leichter Kerne sind nur durch den Tunneleffekt möglich: Weil Elementarteilchen keine harten Kugeln sind, sondern Form einer statistischen Aufenthaltswahrscheinlichkeitsverteilung haben...
...können sie die beträchtliche Abstoßungsbarriere überwinden (bzw. bei der Spaltung aus dem Anziehungsbereich der Starken Kraft entkommen). Man kann sich eine Art "Rauchwolke" denken, die umso dichter ist, je größer die Antreffenswahrscheinlichkeit des Teilchens an einem Ort ist
Die "Wahrscheinlichkeits-Rauchwolke" durchdringt die abstoßende Potentialbarriere ein Stückchen, so dass das Teilchen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in den Kern hinein-, oder aus ihm hinaus"rutscht".
Soweit das dahintersteckende mathematische Modell. Wie sieht es in der Praxis aus?!
Weil es so schwierig ist, positiv geladene Kerne ineinanderzupressen (trotz Hilfe durch den Tunneleffekt), kann man bislang Fusionsenergie nur in Form einer Explosion freisetzen.
Hierbei wird mittels einer konventionellen Sprengladung eine Hohlkugel aus fissilem Aktinid (meist Pu-239) komprimiert, diese explodiert -- die Kerne spalten sich lawinenartig, wobei viele Neutronen freigesetzt, Hitze und Druck erzeugt werden.
Die Neutronen prasseln auf den eigentlichen Fusionssprengstoff, Lithiumdeuterit. Das Lithium wird dadurch zu Tritium (überschwerer Wasserstoff mit zwei Neutronen im Kern) transmutiert, die Druckwelle presst Deuterium (1 Proton + 1 Neutron) und Tritium (1 P. + 2 N.) ineinander...
...bis sie verschmelzen und die enorme Enthalpie der Fusionsreaktion explosiv frei wird.

Die größte thermonukleare Explosion, die je erzeugt wurde, war die Tsar Bomba der Sowjetunion: 50 Megatonnen. Der Luftstoß war noch in Helsiniki spürbar.
Die leichten Kerne Deuterium und Tritium stoßen sich also derart intensiv ab, dass nur die Gewalt einer Kernspaltungsexplosion in der Lage ist, sie zur Verschmelzung zu zwingen!

Dennoch forschen Wissenschaftlerinnen weltweit an nichtexplosiven Fusionsmethoden als Energiequelle!
Damit Fusion mehr Energie freisetzt, als zum Zusammenpressen erforderlich ist, muss das sog. Tripelprodukt:

T = Einschlussdauer des Brenngemischs x Temperatur x Dichte

einen gewissen Grenzwert überschreiten. Bei Deuterium+Tritium ist er am niedrigsten...
...weswegen die sog. DeLiT-Fusion (Deuterium + aus Lithium erbrütetes Tritium) in den meisten Experimenten angestrebt wird.
Man kann nun mit den Faktoren im Tripelprodukt spielen, mit unterschiedlichen Kombinationen über den Grenzwert zu kommen versuchen.

Eine Möglichkeit ist, die Einschlusszeit gering zu lassen, aber dafür Dichte+Temperatur zu supern. (Ähnlich dem Mechanismus der Wasserstoffbombe.)
Dies geschieht bei der sog. Laser- oder Trägheitsfusion. Ein Brennstoffpellet wird allseitig von sehr starken Lasern erhitzt. Die Oberfläche verdampft, das Innere wird massiv komprimiert und von der Massenträgheit gerade lang genug zusammengehalten, dass die Kerne verschmelzen.
Auf diese Weise soll in einer großen Kammer quasi eine rasche Folge thermonuklearer Mini-Explosionen gezündet werden.
Notabene gibt es auch den Vorschlag, "ausgewachsene" Wasserstoffbomben in einer unterirdischen Kaverne loszulassen und die Wärme mit einem Kühlsystem abzuführen und zum Antrieb von Turbosätzen zu nutzen.

Dieses Fusionskraftwerk wäre mit vorhandener Technik sofort herstellbar.
Es ähnelt vom Konzept her einer "eingesperrten" Orion-Pulsrakete (ein Raumschiff, dass sich mit thermonuklearen Explosionen "vorwärtsschubst").

Die politischen und sozialen Widerstände gegen solche Kraftwerke wären natürlich enorm.
Viele Forscher setzen auf gleichförmiges Brennen statt auf Explosionen. Das Ziel ist, ein Plasma (ionisiertes Gas: Atomkerne + freie Elektronen) aus Deuterium und Tritium in einem Magnetfeld einzusperrren und auf enorme Temperaturen zu heizen.
Dies ist zu verzwickt wie die Versuch, einen Pudding mit Wollfäden zu umwickeln! Plasmen quellen überall hinaus, finden jedes Schlupfloch.
Es gibt zwei prinzipielle Ansätze:

* Tokamak (e.g. JET, ITER): ein Teil des Magnetfelds wird von den bewegten geladenen Teilchen im Plasma selbst erzeugt. Bei Tokamaks ist nur Pulsbetrieb (je ca. 30 Sekunden) möglich.

...
* Stellarator (e.g. Wendelstein 7-x): Das Magnetfeld wird vollständig extern durch Spulen erzeugt. Hier ist Dauerbetrieb möglich, doch die Spulen müssen äußerst raffiniert geformt sein.
Das Tripelprodukt von Fusionsexperimenten mit Magneteinschluss konnte seit den 1960ern um den Faktor 100.000 erhöht werden. Momentan fehlt noch eine Größenordnung (Faktor 10), um mehr Energie freizusetzen als verbraucht wird. Dies soll #ITER leisten.
(Die Grafik vergleicht interessanterweise das Tripelprodukt mit der Leistung von Microchips: beides unterliegt einem exponentiellen Wachstumsgesetz -- Moore's Law.)
Nehmen wir also plausiblerweise an, dass das ITER-Experiment glückt und Netto-Energiefreisetzung durch Deuterium-Tritium-Fusion möglich wird. Welche Vor- und Nachteile hat diese Energiequelle?
Die Reaktionsgleichung lautet:

²H + ³H ----> n + ⁴He + 17.58 MeV (Mega-Elektronvolt)

Der Heizwert liegt daher bei 17.58 MeV / 5 u = 3.4e14 J/kg = 340 Millionen Megajoule pro Kilogramm = 4.25 x Uran = 10 Millionen x Kohle.
Die Energie steckt vorwiegend in den Neutronen (bei Spaltung nehmen die geladenen Spaltfragmente das Meiste auf).

Pro Energieeinheit werden 11mal mehr Neutronen freigesetzt als bei der Spaltung.
Dies stellt ein Problem dar. Zum einen müssen die Materialien eines Fusionsreaktor mit enormen, energiereichen Neutronenflüssen klarkommen, ohne brüchig zu werden oder in langlebigen, unerwünschten Atommüll transmutiert zu werden...
...zum anderen muss die kinetische Energie der Neutronen in Wärme gewandelt werden (damit ein Kühlkreislauf+Turbinen betrieben werden kann) -- UND! selbige Neutronen sollen zugleich genutzt werden, um aus Lithium das natürlich nicht vorkommende Tritium nachzuproduzieren!
Weil Neutronen ungeladen sind, ist es schwierig, sie aufzufangen bzw. abzubremsen oder ihre Richtung zu ändern.

Die Ingenieure stehen hier vor einem kniffligen Puzzle.
Dies ist das Kernproblem der Kernfusionsenergie: Die Technik ist knifflig. Höchst knifflig! Komplizierte Materialien müssen zu noch komplizierteren Apparaten verbaut werden. Die Plasmakammer, die Spulen, der Mantel zur Kühlung und Tritiumbrut sind komplex, riesig.
Die Anlage ist prinzipbedingt (dünnes Plasma vs. dichte Schwermetalle) pro Leistungseinheit viel größer als ein Spaltungsreaktor.
Der Sinn von Technik ist, dass man mit weniger Mensch-Arbeitsstunden mehr schafft: Eine Million Sklaven leisten, was 100.000 Windmüller, 1000 Industriearbeiter mit Dampfmaschine, 100 Arbeiter mit Gasturbine, 10 Arbeiter mit Kernspaltungsreaktor vermögen.
Da der Heizwert von D+T den von Uran nur um das ~Vierfache übertrifft, die Anlagen aber viel größer, aufwändiger, komplexer sein müssen, bleibt fraglich, inwieweit "DeLiT-Fusion" geeignet sein soll, Kernspaltung unter Marktbedingungen zu verdrängen.
Es wird manchmal gesagt, Lithium und Deuterium seien (aus Mineralien bzw. Wasser gewonnen) unerschöpflich im Gegensatz zu Uran -- dies ist *falsch*: beides sind nämlich praktisch unerschöpflich.

Uran ist im Meerwasser gelöst, die Flüsse spülen ständig neues ein...
...und mit Spezialkunststoffen kann man es herausfiltern.

Ebenso wie Fusion, Geothermie, Solar (inkl. Windkraft, Wasserkraft u.v.m.) & Gezeiten ist Uran erneuerbar: auch bei großzügigem Verbrauch unerschöpflich, bis die Erde durch astrophysikalische Prozesse unbewohnbar wird.
Ist Fusionsforschung daher sinnlos?!
Meines Erachtens nach keinesfalls.

Sie wird jedoch zu anderen Zwecken genutzt werden, als man heutzutage meist denkt.
Anstatt den starken, energiereichen Neutronenfluss als Makel anzusehen, mit dem man klarkommen muss, sollte er nutzbar gemacht werden: zur Herstellung neuer Stoffe durch Materialbestrahlung.
Insbesondere ließe sich ein Fusionstorus außen mit dem häufigen, aber selbst noch nicht spaltbaren, Uran 238 ummanteln. Die Neutronen würden es rasch in Plutonium 239 wandeln, welches spaltbar ist und in Kraftwerken als Brennstoff eingesetzt werden kann.
Absichtlich eingebrachte Verunreinigungen könnten der Nutzung als Kernsprengstoff vorbeugen. (Waffenplutonium muss äußerst rein sein.)
Als Plutoniumbrüter betriebene Fusionsmaschinen müssen, damit Netto-Energiegewinn erfolgt, noch nicht einmal selbst Q = Fusionsenergie/Heizenergie > 1 schaffen.

Q = 0.99, wie der Joint European Torus (JET) in Culham es bereits kann, würde genügen...
...da der Brennwert des hergestellten Plutoniums locker ausreicht, um den Torus zu betreiben und zusätzlich noch Strom ins Netz einzuspeisen.
Außerdem können die schnellen Neutronen unerwünschte langlebige Atommüll-Bestandteile in Kurzlebige transmutieren, medizinisch wichtige Stoffe herstellen oder auch neuartige Werkstoffe erzeugen.
Die Zukunft von DeLiT-Fusionstori liegt meines Erachtens nach in der Nutzung als industrielle Neutronenquelle, nicht etwa in der als Wärmequelle -- letzteres kann jeder Spaltungsreaktor mit deutlich geringerem Aufwand besser.
Es gibt übrigens noch andere Fusionskonzepte, einige davon sind aneutronisch -- wie meine Lieblingsreaktion:

¹¹B + ¹H ---> 3 ⁴He + 8.7 MeV

(Lustigerweise bewegt man sich hier vom Eisen-56 *weg*!! Die Bindungsenergiekurve hat nämlich bei ⁴He ein lokales Maximum.)
Die Energie steckt ausschließlich in Alphateilchen (Heliumkerne). Diese sind geladen, können leicht gelenkt werden, machen Stoffe nicht radioaktiv und sind in der Lage, unmittelbar Strom zu erzeugen, ohne Kühlkreislauf und Turbosatz!
Der Nachteil ist, dass das erforderliche Tripelpunkt das von DeLiT um das 300fache übertrifft.

Magneteinschluss fällt in diesem Fall aus. Es werden andere Verfahren diskutiert, z. B. Einschluss durch elektrostatische Felder.
Manche Forscher halten kompakte, einfach aufgebaute Mini-Fusoren für möglich, die direkt von der Diboranflasche weg einen ultraheißen Heliumplasmastrahl erzeugen, der als Energiequelle oder zur Stoffzerlegung (isotopenreine Auftrennung aller Abfälle und Substanzgemische) taugt.
img1.wsimg.com/blobby/go/1155…

Dies wäre die ultimative, umweltfreundliche Rohstoffquelle: Aus Haus-, Industrie- und Atommüll, Geröll, Schotter, Gartenerde etc. ließen sich alle benötigten industriellen Substanzen ziehen, einschließlich Seltene Erden, Gold, Platin, Uran, etc.
Doch die aneutronische Fusion ist bislang noch recht spekulativ.
Soweit zum Thema Kernfusion! Wer noch Fragen hat, der frage.
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