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T. Krauel, "Chefkommentator" der WELT, findet es „so unerträglich wie richtig“, dass hochrangige Nazis nach 45 unbehelligt weiterlebten. Wie kann man das schreiben? Was triggert "konservative" Autoren momentan so? Ein Thread mit Erklärungsversuchen. amp.welt.de/debatte/kommen… (1/X)
Samira El Ouassil @samelou und ich sprachen diese Woche darüber im Podcast (ab 29:38): was macht „konservative“ Publizisten am aktuellen Diskurs so irre, dass sie so irre Texte schreiben? Was verändert sich gerade für sie? soundcloud.com/piratensenderp… (2/X)
Aktuell scheint ihnen das Monster der „cancel culture“ (ein Begriff, schon kaputt, bevor er hier ankommt, weil analog „politischer Korrektheit“ durch aggressiven Übergebrauch bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt), was sie sensationslüstern beschwören, jedes Maß zu nehmen. (3/X)
Krauel nennt die angebliche CC, in Deutschland also eine momentan wirkmächtige, aber allermeistens gewaltlos geübte Kritik an manifestierten -Ismen (seien es Worte, Statuen oder Haltungen), eine „Rache“, die nicht einmal die Nazis verdient gehabt hätten (ja, wirklich). (4/X)
Was ist genau kaputt in einem Denkgebäude, das gewaltlose Kritik als zu brutal konstruiert für die brutalsten Menschen der Geschichte? Ist die Identifikation mit den historischen Faschisten etwa höher als mit den zwanghaft faschistoisierten heutigen Gegnern? (5/X)
Kann eine „konservative“ Zeitung wie die WELT keine weniger moralisch marode Kritik an progressiven Projekten aufbieten, als eine biografisch eingefärbte Absolution der schlimmsten Verbrechen, deren „nie wieder“ unsere Staatsräson wurde? (6/X)
Ist das die nächste Eskalationsstufe nach unzähligen Nazi-, Stalinismus- und Dschihadismus-Vergleichen, wie man sie in fast jedem Text „gegen“ CC findet? (siehe exemplarisch Biller in der ZEIT mit einem Rekord an Totalitarismus-Aufrufen) zeit.de/2020/24/identi… (7/X)
Sind Nazis also jetzt akzeptabel? Akzeptabler jedenfalls als unliebsame Kritik – ist das die Botschaft? Oder ist der Text nur Clickbait? Will man mit der Aufmerksamkeit derer Geld verdienen, die Nazis akzeptabel finden und mit Leuten wie mir, die das nicht hinnehmen wollen?(8/X)
Die zielführenden Fragen sind aber eher: was genau sind die realen Ursachen für die zahlreichen intellektuellen und moralischen Kapitulationen? mMn drei (vielfach solide hergeleitete und sauber argumentierte) Prämissen, welche momentan die Kritik antreiben: (9/X)
1. Intentionen hinter -Ismen sind nicht entscheidend, und damit keine günstigen Ausreden mehr
2. Die Mehrheitsperspektive ist nicht neutral
3. Rassismus, Sexismus, Antisemitismus usw. sind Systeme, niemand ist ausgenommen, alle sind verantwortlich (10/X)
Aus diesen Prämissen folgt: eine angeborene Deutungshoheit über die Mechanismen und Maßstäbe (ebenso wie die persönliche Immunität gegenüber) der anti-istischen Kritik ist dahin. Und genau davor scheinen die Krauels dieser Zeit panische Angst zu haben. (11/X)
Angst davor, als nächstes kritisiert zu werden und mit einem -Ismus als Zuschreibung leben zu müssen. Angst davor, keine Argumente dagegen zu haben, weder konkret individuell noch abstrahiert gesellschaftlich. Angst davor, nie wieder so diskursmächtig zu sein wie gestern. (12/X)
Angst vor der diskursiven Gewalt, die sie selbst den anderen immer zufügen konnten. Und die sich jetzt umkehren könnte. Die sie beklagen, bevor sie passiert (weil Gewalt für sie logisch aus diskursiver Macht folgt?). (13/X)
„Gecancelt“ wurden in Deutschland nicht Nazi-Verbrecher wie der Auschwitz-Kommandant Baer, stattdessen, so Krauel: „man wusste voneinander, man mied sich oder traf sich“. Gecancelt, besser: unterdrückt und entmenschlicht, wurden Minderheiten und Marginalisierte. (14/X)
Eine jüdische Mitschülerin führt Krauel auf, die "hübscheste, klügste", die im Nachkriegsdeutschland den (erfundenen) "SS-Taten" des Lehrers lauschen musste, was Krauel damals wie heute nicht zu stören scheint, im Gegenteil, es sei ja keine "Diktatur" gewesen. (15/X)
Menschen wie sie hätten vielleicht sogar eine gewisse Rache verdient. Wer sich heute so rücksichtlos, so maßlos, so schamlos davor fürchtet, wird wissen, warum. (16/X)
(Diese Prämissen könnte man argumentativ angreifen, andere Lesarten anbieten. Viel, viel mehr Energie wird darauf verwendet, ihre VertreterInnen zu psychopathologisieren, sie für satisfaktionsunfähig zu erklären, alarmistisch vor den diktatorischen Konsequenzen zu warnen)
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