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Hunderte deutsche Synagogen überstanden Pogrome und Krieg, nicht aber die Bauwut im Nachkriegsdeutschland. Viele wurden zu Pferdeställen, Feuerwehrhäusern oder Kirchen umgebaut. Andere mussten Parkplätzen oder Neubauten weichen.

Ein Thread über Synagogenschicksale nach 1945.
Die Synagoge im hessischen Rimbach überstand zwar die Novemberpogrome, doch wurde die jüdische Gemeinde gezwungen, das Gebäude zu verkaufen. Nach dem Krieg wurde das Gebäude erst zum Gerätehaus für die örtliche Feuerwehr. 1952 zog die Katholische Kirche ein.
Schwer beschädigt hatte die 1838 gebaute Synagoge im hessischen Rexingen die NS-Zeit überlebt. 1952 erwarb die evangelische Gemeinde des Ortes das Gebäude und baute es zur Kirche um.
Wie die meisten jüdischen Gemeinden überlebte auch jene des nordrhein-westfälischen Coesfelds die NS-Zeit nicht. Ihre Synagoge hingen schon. Nachdem das Gebäude einige Jahre leer stand, zog 1966 eine baptische Gemeinde in das Gebäude ein.
Rücksicht auf das jüdische Erbe wurde bei Umbauarbeiten fast nie genommen. Diese Synagoge im hessischen Gudensberg diente nach dem Krieg u.a. als Garage einer Bäckerei. Dazu wurden neue Zwischendecken eingezogen, ein Lastenaufzug eingebaut und eine Toreinfahrt eingebrochen.
Die 1810 gebaute Synagoge im niedersächsischen Dransfeld wurde nach 1945 als Turnhalle, Proviantdepot und Suppenküche genutzt. In den 1950ern zog die katholische Gemeinde des Ortes ein, später errichte ein Schreiner in ihr seine Werkstatt.
In der 1838 gebauten Synagoge im hess. Eschwege traf sich bis 1952 noch eine kleine jüdische Gemeinde, die sich überwiegend aus KZ-Überlebenden aus den dt. Ostgebieten zusammensetzte. 1954 kaufte die neuapostolische Kirchgemeinde des Ortes das Gebäude und weihte es zur Kirche um.
Die Ignoranz ggü jüdischem Kulturerbe beschränkte sich nicht nur auf Nachkriegswirren von DDR und Bundesrepublik. In Großen-Linden bei Gießen stand noch bis in die 1970er ein Synagogengebäude. 1974 wurde es abgerissen, um Platz für einen asphaltierten Hof zu machen.
Das 1883 mit zwei einmaligen Zwiebeltürmen gebaute Synagogengebäude im bayerischen Gunzenhausen diente nach dem Krieg mal als Kaufhaus, mal als Werkhalle. 1981 wurde das Gebäude abgerissen. Heute befindet sich an ihrer Stelle die Einfahrt zu einer Tiefgarage.
Der jüngste Fall einer zerstörten Synagoge, den ich finden konnte, ist von 2005. In dieser kleinen Behelfssynagoge traf sich nach den Pogromen die jüdische Gemeinde im thür. Hildburghausen. Nachdem man sie jahrelang verfallen ließ, wurde sie trotz Denkmalschutz 2005 abgerissen.
Gibt aber auch positive Beispiele: Synagoge in Ahrweiler/ RP wurde nach 45 als Lager für Düngemittel und Geräteschuppen genutzt, bis 1976 Gruppe Schüler Druck auf Stadtverwaltung ausübte. Heute befindet sich im Gebäude eine Dauerausstellung zur jüdischen Geschichte des Ortes.
In einigen Fällen beten sogar wieder Juden in verloren geglaubten Synagogen. Die kleine Synagoge von Wohra geriet nach 1945 als Abstellkammer in Vergessenheit. 1995 wurde das Gebäude ab- und 50km weiter südlich wieder aufgebaut. Heute beheimatet es die jüdische Gemeinde Gießens.
Dass das Schicksal vieler ehemaliger Synagogen heute überhaupt bekannt, ist v.a. engagierten Einzelpersonen zu verdanken. Wie Thea Altaras. Die 2004 verstorbene jüdische Architektin recherchierte seit 1984 im Alleingang die Geschichte von über 200 ehemaligen hessischen Synagogen.
Allein in Hessen hatten 223 v 363 Synagogen die NS-Zeit überstanden. 59 wurden nach 1945 abgerissen, die meisten anderen umgebaut. Dabei sei „hauptsächlich auf eine schnelle Beseitigung jeglicher baulicher Merkmale des einst jüd. Kultbaus Wert gelegt worden", schreibt Altaras.
In letzten Jahren sind ähnliche Untersuchungen zu vergessenen Synagogen für viele andere Bundesländer erschienen. Auch virtuell lassen sich Tausende Spuren jüdischen Lebens nachvollziehen. Zum Beispiel hier und jewish-places.de und hier alemannia-judaica.de.
Hunderten deutsche Synagogen hatten Pogrome und Krieg überstanden. Warum von ihnen heute dennoch nichts mehr übrig ist, habe ich für @vorwaerts aufgeschrieben. vorwaerts.de/artikel/viele-…
Kennt ihr noch weitere interessante Synagogenschicksale nach 1945?
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