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Beim Versuch, über #Flüchtlinge an der griech.-türk. Grenze zu berichten, wurde ich vergangene Woche nahe des Camps #Pazarkule von türk. Jandarma festgenommen. Dachte ich erzähle euch besser erst davon, wenn ich die #Türkei wieder verlassen habe. /Thread
Festgenommen wurde ich am Mittwoch an einem Feldweg rund 200 Meter vom Campeingang entfernt. Plauderte dort gerade mit dieser Gruppe Algerier, die seit 5T auf Plastiktüten außerhalb des Camps schlafen, weil sie Sorge haben, nach Registrierung wieder zurückgeschickt zu werden.
Zwei Soldaten laufen vorbei, nehmen mich mit ins Camp. Bevor mir auch nur eine Frage gestellt wird, stehe ich breitbeinig am Polizeitransporter, bin Kamera, Handy und alles andere los, was ich dabei hatte. „Deutscher Journalist“ rufen sich Soldaten u Polizisten triumphierend zu.
Dann prasseln Fragen auf mich ein: Woher kommst du? Für wen arbeitest du? Warum hast du versucht, illegal Camp zu betreten? Dazu muss man wissen: Das Camp ist komplett eingezäunt, alle 10 Meter Soldaten. Am Eingang Ausweiskontrolle. Rein kommt man nur mit spezieller Genehmigung.
Versuche Soldaten/Polizisten-Traube von Sinnlosigkeit der Anschuldigung zu überzeugen. Hätte ich vorgehabt, illegal das Camp zu betreten, würde ich sicherlich nicht 1h an Feldweg in Sichtweite des Haupteingangs herumsitzen. Aber keiner hört mir richtig zu.
Stattdessen immer wieder neue Fragen: Was in meinem Notizbuch stehe, wer dieser und jener auf meinen Fotos sei, was ich von der türk. Flüchtlingspolitik halte. Was das für eine Rolle spiele, antworte ich auf letzte Frage. Dabei hatte ich bisher durchaus wohlwollende Meinung.
Türkei ist bei aller Kritik auch Land, das mit BIP v NRW 3x so viele Flüchtlinge aufgenommen hat wie gesamte EU. Habe in meinem Job katastr. Zustände auf Lesbos, Idomeni etc gesehen u Flüchtlingslager in Türkei besucht, die so gut organisiert sind, wie man es in EU kaum sieht
Doch #Pazarkule ist keines davon. Weiß nicht, warum mich türk. Jandarma nach Verhaftung stundenlang durchs Camp fährt. Aber erst sie ermöglicht mir, mit eigenen Augen zu sehen, warum Journalisten hier so vehement ferngehalten werden.
Camp bei #Pazarkule erinnert mittlerweile an militärisches Internierungslager. Endlose Menschenreihen eingezwängt zwischen Gittern. Daneben patrouillieren Soldaten. Einige mit Sturmgewehren, andere mit Protektoren, Plexiglasschild und Knüppel.
An einer Warteschlange zur Essensausgabe schlägt ein Soldat mit Knüppel mehrmals auf Personen ein, die versehentlich ein paar Zentimeter aus der Schlange ausgeschert sind. Ein anderer Soldat stößt Flüchtlinge, die seiner Meinung nach zu langsam laufen.
Am griechischen Ende des Camps steigen immer wieder Tränengaswolken auf. Ständig knallen Schüsse. Am anderen Ende kontrollieren türk. Polizisten Fingerabdrücke von jedem, der das Camp betritt oder verlassen will. Den allermeisten Flüchtlingen wird der Ausgang verwehrt.
Zwei oder dreimal treffen Busse mit neuen Flüchtlingen ein. Zelte, Schlafsäcke u viele andere Hilfsgüter werden abgewiesen (nicht gesehen, sondern v Helfern erzählt). Felder voll mit improvisierten Behausungen aus Pappkartons und Plastikplanen. Paar Dixi-Klos aber viel zu wenige
Circa drei Stunden fährt Jandarma-Transporter mit mir auf der Rückbank auf und ab durchs Camp. Einmal holen wir Soldat von Kaserne ab, andermal transportieren wir irgendwelche Kisten. Einmal vergessen Jandarma meine Tasche mitzunehmen. Da entsteht dieses Foto.
Schließlich fahren wir zur Jandarma-Wache in nächst größeren Ort #Edirne. Zwei weitere Stunden in Warteraum. Beamte behandeln mich anständig. Als ich nach Wasser frage, bekomme ich es. Ohne weiteres Verhör, Erklärung oder Auflagen bin ich nach insgesamt fünf Stunden wieder frei.
Mein Fazit: Bis auf Chaos am Anfang, gelöschte Fotos und fragwürdige Begründung entspricht meine Festnahme am Grenzübergang #Pazarkule im Großen und Ganzen europäischen Standards. Der Umgang der Türkei mit geflüchteten Menschen dort leider auch.
Die ganze Geschichte meiner Verhaftung, der katastrophalen Situation für tausende Flüchtlinge und wie mir türkische Polizisten erst die Berichterstattung ermöglichten, von der sie mich eigentlich abhalten wollten, habe ich für @ndaktuell aufgeschrieben. neues-deutschland.de/artikel/113428…
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