Paar Worte zum Samstag. Wird lang, bin sauer.
Ein Thread.
An dieser ganzen herbeigeredeten Aufregung um die vermeintliche Beschneidung unserer Rechte sieht man sehr trefflich, dass manche hier offenbar keine anderen Probleme haben außer ihren eigenen Egoismus, den sie aber so verkaufen als gingen sie für den Schutz des Grundgesetzes
„für unsere Kinder!!“ auf die Straße.

Weder findet irgendwo eine Zensur statt, noch darf man seine Meinung plötzlich nicht mehr sagen, noch befinden wir uns hier auf dem Weg in eine Diktatur, und wann sind eigentlich so Begriffe wie "Staatsfernsehen" oder
"gleichgeschaltete Medien" wieder Teil des vermeintlich normalen Diskurses geworden?
Dass sämtliche Parteien in ÖR-Formaten wie z.B. der @heuteshow regelmäßig ihr Fett wegkriegen, gehört dann zur regierungseigenen Selbstironie, oder hab ich das missverstanden?
Wer wissen möchte, wie Staatsfernsehen bzw. gleichgeschaltete Regierungsmedien aussehen, kann sich gerne mal ein bisschen mit Nordkorea beschäftigen, aber was sich hier einige an Problemen herbeikonstruieren von vermeintlichen Diktaturen über Gleichschaltung bis fehlender
Meinungsfreiheit, entbehrt jeder Grundlage. Jede*r hat das Recht, die Coronamaßnahmen zu hinterfragen und die Regierung zu kritisieren, das ist im politischen Diskurs richtig und wichtig – aber womit stellenweise argumentiert wird, was manche Leute für sich als Grundlage eines
Diskurses beanspruchen, geht einfach zu weit.
Ich lese Beiträge von Attila Hildmann, in denen er darüber sinniert, dass „SIE“ sich für ihre Machenschaften an der Menschheit vor Gericht verantworten müssen – ja vor welchem denn bitteschön? Was für ein Gericht soll das sein?
WEN soll man denn vor WELCHES Gericht stellen wollen, wenn man selber nicht an die Gewaltenteilung eines Staates glaubt? Den Staat vor ein Gericht stellen, welches der Staat selbst vermeintlich kontrolliert, scheint mir nicht besonders gut durchdacht.
Wer glaubt, dass Demokratie, Meinungsfreiheit und Grundrechte Stück für Stück abgeschafft werden (sollen), und wem seine eigene Teilnahme an Demos wie #b1010 nicht Beweis genug ist, immer noch im vollen Besitz der eigenen Grundrechte zu sein, hier ein kleiner Exkurs:
Nur rund 260 Millionen Menschen - 3% der Weltbevölkerung - leben in 43 sogenannten "offenen" Staaten, darunter zum Beispiel Deutschland, Litauen, Neuseeland, Slowenien, Zypern, Costa Rica. Dort garantiert der Staat allen Menschen Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Autoritäten sind offen für Kritik.
Dazu ein paar wissenswerte Eckpunkte zu #Nordkorea:
Der Regierungsapparat wird von der Partei der Arbeit Koreas (Abk.: PdAK) dominiert, deren Führungsrolle in der Verfassung verankert ist (was unterm Strich bedeutet, es kann laut Verfassung
niemals eine andere Partei das Land regieren).
Kritik an der Führung wird streng bestraft. Die Medien werden vollständig vom Staat kontrolliert, ungenehmigte Versammlungen sind verboten. Es ist den Nordkoreanern nicht erlaubt, das Land zu verlassen. Auch der Aufenthaltsort im
eigenen Land wird von den Behörden vorgeschrieben und hängt von der persönlichen politischen Kaste ab. Zum Tode verurteilte Personen werden oft in der Öffentlichkeit hingerichtet.
Die Religionsfreiheit ist in Nordkorea nur formell gewährleistet.
Die öffentlichen Medien werden vollständig vom Staat und dessen Nachrichtenagentur KCNA kontrolliert. Die Bürger haben praktisch keinen Zugang zu unabhängigen und ausländischen Nachrichtenquellen.
Im Juni 2004 – 18 Monate nachdem der erste Mobilfunknetzbetreiber seinen Dienst aufgenommen hatte – verfügte die Regierung Nordkoreas, dass alle Mobiltelefone wieder eingezogen werden sollen und alle Mobilfunkbetreiber verboten werden. Es soll damit verhindert werden, dass
unliebsame Informationen ins Land kommen bzw. dasselbe verlassen oder Regimegegner Informationen austauschen können.
Vor dem Hintergrund, wie also in anderen Ländern mit Meinungsfreiheit, Grundrechten, Pressefreiheit etc. verfahren wird, halte ich es für abenteuerlich bis sehr
dumm, als (privilegierte*r) Deutsche*r plötzlich die Grundpfeiler der Verfassung in Gefahr zu sehen.

Wer die Maskenpflicht in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln mit den Masken aus der früheren Sklavenzeit vergleicht: Eine Máscara de flandres war eine Maske, die im
kolonialen Brasilien als Folter gegen Sklaven eingesetzt wurde. Sie wurde Sklaven zur Bestrafung aufgezwungen, um sie vom Essen, Trinken und dem Verzehr von Erde abzuhalten. Die Maske wurde aus Weißblech (portugiesisch Folha de flandres) angefertigt. Sie wurde am Hinterkopf mit
einem Schloss befestigt, damit nur der „Besitzer“ der Sklaven diese öffnen konnte, und blockierte vollständig den Mund, ließ aber Nase und Augen frei. Soweit mein Auge mich aber blicken lässt, ist jede*r selbst imstande, die eigene Maske selbstständig auf und abzusetzen, sofern
ein paar ganz schlaue „Corona-Rebell*innen“ sie nicht ganz weglassen – sich hier eine Versklavung der Deutschen herbeizufantasieren, finde ich relativ dämlich.

Wer versucht sich irgendwie einen Vergleich zu den Verbrechen der NS-Zeit und Maskenpflicht herbeizukonstruieren bzw.
sich als Maskenleugner und Impfgegner mit Juden im Dritten Reich vergleicht oder einfach generell findet, wir würden hier „ja langsam Zustände wie im Dritten Reich“ bekommen:
Nichts, ABSOLUT REIN GAR NICHTS rechtfertigt einen Vergleich mit dieser Zeit und es ist respektlos,
anmaßend und unverschämt, diesen Gedanken überhaupt anzufangen. Ihr sitzt nicht in Gaskammern und Arbeitslagern und bangt um euer Leben, ihr sollt euch einen scheiß Fetzen Stoff vors Maul halten bevor ihr ein Geschäft betretet und euch nicht im Gesicht rumgrabbeln, meine Güte.
Wer aber wissen will, wie grausam es den Menschen in Konzentrationslagern damals ging, kann sich hier über einen „Alltag“ im KZ mal ein eigenes Bild machen:
ndr.de/geschichte/chr…
Wer diesen Vergleich dann immer noch heranzieht, sollte ernsthaft seinen/ihren moralischen Kompass neu justieren lassen oder besser gleich in die Tonne treten.

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13 Sep
Blockieren schützt vor Recherche nicht. 🙃
Ein Thread.
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2011 betrug die Anzahl der (funktionalen) Analphabeten in Syrien 15%, bei den 15-25jährigen 3,5%. Zum Vergleich: Deutschland hatte 2010 14,5% Analphabeten, in der Altersgruppe 18-29 Jahre 19,9%. Funktionale Analphabeten sind laut OECD Menschen, die nur eingeschränkt lesen
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und schreiben können.

Hier pauschal von häufiger zu sprechen, unterschlägt aus wie vielen Ländern mit unterschiedlichstem Bildungsniveau Geflüchtete kommen und bspw. auch den Umstand, dass viele durch ihre Flucht über einen längeren Zeitraum keine Schule besucht haben.
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23 Aug
1/ Der serious sunday geht in die nächste Runde. Hier reichte ein kurzer Blick in das PDF des BKA: "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2019", um festzustellen dass dieser Tweet meilenweit an der Realität vorbei ballert.
2/ "Der Anteil der tatverdächtigen Zuwanderer an der Gesamtzahl der registrierten Tatverdächtigen
schwankte in den betrachteten Deliktsgruppen zwischen 6 % und 12 %."
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (was Niklotz offenbar unter Vergewaltigung zusammenfasst): 10%.
3/ (5425 tatverdächtige Zuwanderer). Straftaten gegen das Leben ("Tötungen und Morden"): 12% (443 tatverdächtige Zuwanderer). Auch hier muss man kein Mathegenie sein um festzustellen, dass er versucht das Bild des mordenden/vergewaltigenden Flüchtling zu konstruieren,
Read 7 tweets
23 Aug
1/
Ein sehr langer Thread.

Ich habe in den 1,5 Wochen hier bei Niklas Lotz schon einiges gelesen was mich richtig stinkig macht, weil es einfach unwahr ist. Dieser Tweet auf dem Foto ist so ein Fall und er stößt mir nicht nur sauer auf weil es falsch ist, sondern
2/ weil hier ganz bewusst arm gegen arm ausgespielt wird.
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2018 nur noch 161.931.
Generell ist die Zahl der Asylanträge seit 2017 wieder
3/ rückläufig, was sich auch auf die Haushaltsplanung ausgewirkt hat.
Im Koalitionsvertrag wurde sich geeinigt, dass der Bund die Länder und Kommunen in dieser Legislaturperiode mit maximal 8 Mrd. Euro bei den Flüchtlingskosten unterstützt. Im März 2019, also vor knapp
Read 13 tweets

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