Ich kann nur allen die Schriften von #AmartyaSen empfehlen, zuvorderst "Identity and Violence". Sens Denken zeigt, wie sich jenseits identitärer Dogmas linke, liberale und konservative Elemente zu einem menschenfreundlichen Ganzen verbinden lassen; auch wie ein nüchterner, aber
gerechter Blick auf Realitäten volltönenden, denkstilkonform-klientelistischen Theorien den Wind aus den Segeln nimmt: "Unter anderem weist er sowohl die 'kulturtheoretische' Ansicht zurück, Gewalt sei eine Folge des 'Kampfes der Kulturen', als auch die der politischen Ökonomie,
Armut und Ungleichheit seien hauptverantwortlich. In diesem Zusammenhang erscheint der überraschende Hinweis, die Mordrate einer der ärmsten Städte der Welt, Kolkata, liege bei 0,3 pro Jahr und 100 000 Einwohnern, in Delhi beinahe zehnmal so hoch, in New York noch einmal 65
Prozent höher, und in der gewalttätigsten Stadt, Rio de Janeiro, liege sie bei 34,9 Prozent. […] Nach Sens Kernthese braucht es einen integrativen Ansatz, der die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gesichtspunkte zusammenführt, statt sich 'den fatalistischen Theoretikern
eines Kampfes der Kulturen und den eilfertigen Anwälten des ökonomischen Reduktionismus' anzuschliessen. Wir sollten lieber, erklärt Sen, der kluge Aufklärer, 'den verführerischen Abkürzungen widerstehen, die uns vorgaukeln, wir könnten uns mit der Konzentration auf den einen
oder anderen Faktor Einblick verschaffen und dabei andere zentrale Merkmale des grossen Ganzen ignorieren'."

Genau so ist es – Reduktionismus und Klientelismus sind vieler Übel Anfang. Der #Friedenspreis ist hoch verdient.

nzz.ch/feuilleton/ama…
Dudenkonformer: "Dogmen"... 🙄

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27 Sep
#Nuhr|s schriller Pogromvergleich und die schrillen Echos in den (sozialen) Medien – er habe sich auf den Holocaust bezogen, was er nicht hat, er raunte generisch – ist symptomatisch für die Infantilisierung der Debattenkultur. Die einen arbeiten mit Zuspitzungen ("Vernichtung!")
die anderen reissen sie zusätzlich aus dem Zusammenhang und verzerren sie strategisch, um sich umso empörter an ihnen abarbeiten zu können. Fleissig fabriziert man Pappkameraden und gefällt sich in der Rolle des heroischen Kämpfers. Anstatt ein ernstzunehmendes Problem
(Versuche sozialer Ächtung) ernsthaft zu diskutieren, zündet man ein aufmerksamkeitsökonomisches Feuerwerk, dessen Funkenflug eine ausgedörrte Medienlandschaft in Brand setzt, bis alle vor lauter Rauch nichts mehr sehen können und blind um sich schlagen.
Read 16 tweets
23 Sep
Man hört auf Twitter oft, das Problem sei "die Mitte". Sie sei nicht radikal genug, setze den Rechten nichts entgegen. Mich würde interessieren, wie diese Diagnose jenseits persönlicher Eindrücke belegt wird. Vielleicht ist das Wirken der ominösen Mitte ja einfach nicht so laut?
Ob Engagement der Kirchen für Flüchtlinge, mannigfaltige stille ehrenamtliche Tätigkeiten von Bürgern aller Couleur, Einstehen gegen die AfD auch seitens Konservativer wie Lübcke, Teilnahme breiter Schichten an Demos wie Unteilbar – überall sind Menschen der "Mitte" involviert.
Nicht zuletzt sind es unradikalisierte, bodenständige Lokalpolitiker, die im Direktkontakt mit denen, die hier auf Twitter vollmundig verdammt werden, bestehen müssen – und wahre Tapferkeit aufbringen, wo andere nur Hashtags absondern und Symposien mit ihresgleichen organisieren.
Read 5 tweets
18 Sep
Hallo @tagesschau,

"massive und brutale Polizeieinsätze" ausgerechnet mit einer Szene zu illustrieren, in der mehrere Demonstranten einen am Boden liegenden Polizisten verprügeln, woraufhin ihm andere Polizisten zu Hilfe kommen – seriously? (Min. 11:54)

Die Kluft zwischen Wort und Bild ist symptomatisch für den fragwürdigen Umgang mit Videoschnippseln in den alten und neuen Medien. In ihrer Kürze ist die Szene schlicht kein sinnvolles Dokument. Sie verrät weder etwas darüber, ob der Polizist vielleicht illegale Gewalt gegen die
Demonstranten angewendet hat, weshalb diese sich zur Wehr setzen. Noch ist sie aufschlussreich mit der kurz davor im Interview erwähnten "wahllosen und brutalen Unterdrückung" durch den Staatsapparat. Das einzige, was sie leistet, ist den Anhängern von Lukaschenko einen Dienst zu
Read 4 tweets
18 Sep
"Eine Analyse [der Daten der Washington Post] zeigt: Gemessen am Bevölkerungsanteil werden Schwarze mehr als doppelt so oft von Polizisten getötet als Weisse."

nzz.ch/visuals/protes…
"Die Zahlen zeigen auch, dass getötete Schwarze häufiger unbewaffnet waren als Latinos oder Weisse. […] Bei den unter 20-Jährigen wurden gar mehr Schwarze als Weisse getötet, obwohl es in dieser Altersgruppe über viermal so viele Weisse wie Schwarze gibt."
"Die Forscher [ des Center for Policing Equity] haben ... auch die Rate der Gewaltanwendung pro 1000 Festnahmen untersucht. Auch hier zeigt sich: Nimmt die Polizei eine schwarze Person fest, wendet sie häufiger Gewalt an."
Read 6 tweets
16 Sep
Bisschen früh dran, aber @kulturnewsde hat mein Buch #Metalmorphosen in die "Top 5 der besten Musikbücher" des Jahres 2020 gewählt. kulturnews.de/die-besten-mus…
Eine Anmerkung noch zur Kritik: Im Buch entferne ich mich von der Negativkritik und betone – aus meiner Sicht – positive Aspekte der Metalkultur aus primär ästhetischer, weniger soziologischer Sicht. Ich zeige anhand konkreter Beispiele, wie und was Metal AUCH sein kann, anstatt
ihn gewissermassen positivistisch auf einen statistischen Ist-Zustand zu festzuzurren. Auch das ist eine Form der Kritik. Es gilt, Klischees nicht durch Negativkritik zu perpetuieren, sondern Potenziale aufzuzeigen, Abweichungen vom Mainstream sichtbar zu machen und ganz generell
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13 Sep
Es ist das alte Lied: Gewalt verhält sich zur Politik wie Kokain zur Leistung des Individuums. Ein kurzes High, in dem alles möglich scheint. Dann der Absturz. Es führt kein Weg an gewaltfreier, kluger, langfristig orientierter politischer ARBEIT vorbei. nzz.ch/international/…
Ansonsten sehr interessante Informationen und Diagnosen im Text: "Wie viele andere konservative Stimmen wies auch der schwarze Harvard-Professor Henry Gates in einem Interview mit dem "Time Magazine" im Februar auf eine Tatsache hin, die kaum je zur Kenntnis genommen wird:
Seit den siebziger Jahren hat sich die schwarze Mittelklasse in den USA verdoppelt, und die obere Mittelklasse hat sich vervierfacht. […] Die Frage der Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft ist keineswegs auf das Verhältnis zwischen Weiss und Schwarz begrenzt, sondern
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