Der Rechnungshof hat das Heeresgeschichtliche Museum (HGM) untersucht – und es sieht gar nicht gut aus.

Ein Thread.
Das HGM ist das einzig staatliche Museum Österreichs. Es besitzt rund 1,2 Millionen Objekte und verwahrt damit die Belege für die Wahrheit unserer Geschichte.

75 Jahre nach Kriegsende hat das HGM laut RH noch immer "keinen gesamthaften Überblick" darüber, was das HGM besitzt.
Das HGM habe auch noch immer "keine vollständigen Kenntnisse" über Verluste im Bestand.

Das HGM weiß also nicht, was vielleicht in der (Nach)-Kriegszeit gestohlen oder zerstört wurde – und in welchem Jahrzehnt das geschah.
Es sind jedenfalls Teile des Bestands "nicht mehr auffindbar", wie der RH schreibt. Darunter: Drei Briefe von Egon Schiele aus dem Jahr 1918.

Seit 2016 wissen drei Sammlungsleiter davon. Sie sollen den Direktor nicht eingeweiht haben.
Das HGM habe aktuell 3.000 Objekte verliehen – und keine Ahnung, an wen sie was verliehen hat ("kein gesamthafter und aktueller Überblick").
Es gebe im HGM "weder ein Compliance-System noch ein Compliance-Bewusstsein".

Also zugespitzt: Im HGM gibt es keine Regeln und auch keine Kultur, Regeln zu definieren und sich daran halten zu wollen.
Der RH listet gravierende Folgen auf.

Durch das Fehlen von Compliance wurde etwa möglich, dass Kriegsmaterial – also "drei Schützenpanzer und vier Jagdpanzer" – nicht inventarisiert wurden.
Einige HGM-Depots waren laut RH nur mit einem Vorhängeschloss (!) gesichert.

In denen lagerte das HGM u.a. eine "FUNKTIONSFÄHIGE MASCHINENKANONE und einen BETRIEBSBEREITEN SCHÜTZENPANZER". (Symbolfotos: Wikipedia)
2017 gingen vier "demilitarisierte" Sturmgewehre verloren.

Die Referatsleitung hat das der Direktion NICHT gemeldet.

Der RH hat die Sturmgewehre zufällig in einer Kaserne gefunden.
Das HGM behauptet, keine Objekte zu entsorgen.

Der RH fand heraus, dass Museumsbedienstete 2016 bei einer Übersiedlung einige – laut HGM – "wertlose" Objekte eigenmächtig entsorgten – und das nicht dokumentierten.
Das HGM hat 54 Objekte des HGM-Direktors (und seines Stellvertreters) angekauft und dafür keine Richtlinien befolgt oder definiert.

Die Bezahlung erfolgte – entgegen der Vorgaben – in bar.
2017 hat das HGM eine als "Garage" gewidmete "Panzerhalle" für die Öffentlichkeit geöffnet.

Das Verteidigungsministerium wusste davon – und unternahm nichts.
Und jetzt wird's richtig abenteuerlich:

Der RH hat sich vor Ort umgeschaut und "mehrere Bunker gefüllt mit Panzerersatzteilen unbekannter Herkunft" gefunden.

Wohl deshalb leitete der RH seinen Bericht vorab an die Staatsanwaltschaft weiter.
Die HGM-Direktion behauptet, davon nichts gewusst zu haben.

Das HGM stellte eine Strafanzeige wegen des Verdachts der „unbefugten Innehabung von Kriegsmaterial" gegen den Mitarbeiter, dem als Einziger alle Bunker-Schlüssel ausgegeben wurden.
Bei dem Mitarbeiter dürfte es sich um Fritz H. handeln, "Panzernarr" & HGM-Waffenreferent.

Vor einem Jahr berichteten mir Quellen von der Gefahr seiner 'Panzerhalle': "Dort stehen vollbetankte Panzer fahrbereit herum. Da muss sich nur einer auskennen und ausbüxen."
H. ist Burschenschafter der rechtsextremen Olympia & hat in der Belegschaft gern mit seinen Kontakten zu FPÖ-Politikern geprahlt, so Quellen.

Nachdem Mario Kunasek (FPÖ) 2017 Verteidigungsminister wurde, habe die "blaue Partie" im HGM geglaubt, sich alles erlauben zu können.
Über das FPÖ-Netzwerk im HGM zu referieren, würde den Rahmen sprengen.

Nur kurz: Christian Ortner kam 2004 während der ÖVP-FPÖ-Regierung in eine Führungsposition, BEVOR er – beim FPÖ-nahen Historiker Lothar Höbelt – dissertierte. Wenig später wurde er HGM-Direktor.
Der RH empfiehlt eine "Antikorruptionskultur" im HGM zu etablieren und kritisiert die "unzureichende" Aufsicht des Verteidigungsministeriums.

Aufgrund der "Vielzahl der Mängel" solle man nachdenken, ob es so klug ist, dass das HGM eine Dienststelle des Ministeriums ist.
Postenschacher, eventuelle Bereicherungen und eklatante Sicherheitsmängel sind ein Problem.

Wichtig finde ich aber auch die Frage, wer die Objekte der Republik verwahrt – und wie sie möglichst wissenschaftlich kontextualisiert der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Auch da sieht es schlecht aus.

Die HGM-Dauerausstellung "Republik und Diktatur" aus 1996 sei nicht mehr "zeitgemäß" & "unzureichend", schreibt der Präsident des Museumsbunds nach einer kommissionellen Prüfung.

Die Ausstellung lasse problematische Interpretationen zu.
Die frühere Kuratorin des Jüdischen Museums sowie ein linker Politikwissenschaftler sprechen nach einem Rundgang im HGM sogar von "einer Parallelwelt", einem "Skandal", der in Deutschland sofort zur Schließung des Museums führen würde derstandard.at/story/20001137…
Ist das HGM ein Museum oder eher eine freudige Kriegs- und Waffenschau?

Klar ist jedenfalls, dass Rechtsexteme wie Martin Sellner das HGM gern besuchten (und in Innenräumen Videos drehten).

Auch der Christchurch-Terrorist Brenton T. hat das HGM besucht.
Ich finde, die historische Wahrheit der Republik darf nicht in den Händen der FPÖ – und auch nicht in den Hände anderer Partei – liegen.

Vielleicht sollte diese Aufgabe auch nicht allein beim Staat liegen.
Wir sollten jedenfalls nicht mehr zulassen, dass Geschichtspolitik als 'Spielweise von Parteiideologien' begriffen wird.

Es ist Zeit, die Auseinandersetzung mit der Geschichte auf zeitgemäße Beine zu stellen – und sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen.
Für alle, die es bis hier her ausgehalten haben: Danke für die Aufmerksamkeit!

Ich trinke übrigens gerne Bier. buymeacoffee.com/schattleitner
Vergessen, aber an der Stelle relevant: Im HGM-Museumsshop werden Spielzeug-Wehrmachtspanzer und rechtsextreme Bücher verkauft: derstandard.de/story/20001082…

Ich hab eine Shop-Rechnung, die belegt, dass bereits 2014 Bücher verkauft wurden, die die schöne Anmutung der Waffen-SS feiern.

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