Habe jetzt auch eine Rede geschrieben. Eine Rede? Ja, wegen der Möglichkeit zum Elliptischen. Passt gut zu Twitter und liegt offenbar im Trend. Und wie bei Reden nicht unüblich handelt es sich nicht um einen sachlich gewichtigen Vortrag, sondern um einen Meinungsbeitrag. //1
Ich würde gern über Einhörner und Alpakas reden. Wir müssen darüber reden! (Richtig, das ist so ein Stilmittel, wenn man andere in die eigene Meinung hineinziehen möchte. Funktioniert zuverlässig!) Wir müssen über den tieferen Zusammenhang von Einhörnern und Alpakas reden. //2
Dieser Zusammenhang ist nicht gleich ersichtlich. Es handelt sich dabei nicht um das Verhältnis zweier Huftiere, sondern zweier Visionen, die ausgesprochen verschieden sind. Beide rangeln sie miteinander um das Grün der Bildungswiese, um die Frage, worum es bei Bildung geht. //3
Gemeinsam ist ihnen der transatlantische Ursprung: Einhörner entspringen der nordamerikanischen Geschäftswelt und Startup-Gründerszene und sind als Sehnsuchtsvorstellung der Thelens und Pausders die Vision für ihre Venture Capital Unternehmen. Dazu gleich mehr. //4
Alpakas sind aus Südamerika stammende Transformationschampions, die uns lehren, dass die Diskussion über den Mehrwert der Alpen gegenüber den Anden und über die Natürlichkeit von Anden oder Alpen verfehlt ist (Alpinisierung und Digitalität XXI). Aber eins nach dem anderen. //5
Zuerst die Einhörner. Bei diesen Fabelwesen geht es um exponentielle Vermehrung von Kapital. In der narrativen Ahnenreihe besteht eine enge Verwandtschaft mit dem Goldesel. Einhörner grasen nicht auf einer beschaulichen Wiese oder in einem Stall. Sie “gehen durch die Decke”. //6
Die Gelddruckmaschine ist gegenüber dem Einhorn eine schwache, nur mechanistische Vorstellung. Sie erlaubt keine exponentielle Vermehrung. Wer Einhörner sucht, der will das ganz Große, kein bloß mittelständisches Unternehmen. Darum braucht es „eine ganz andere Denkweise“. //7
Mit Bildung hat das alles erst einmal wenig zu tun. Trotz der guten Geschäfte, die sich im Bildungsbereich machen lassen (vor allem in Zeiten des digitalen Umbruchs), ein exponentielles Wachstum hin zu Milliardenwerten ist hier nicht auszubuddeln. Was ist dann der Bezug? //8
Weil Einhörner schwer zu backen sind und nicht mal eben in irgendeiner Höhle aufgegabelt werden können, soll es die Bildung richten. Nach der Vorstellung von Einhornfans soll Exponential-DNA in Schülerköpfe, damit Einhörner endlich auch durch die europäischen Decken gehen. //9
Tja, aber warum machen das denn diese Einhornfans nicht selbst, wo sie die DNA derart verinnerlicht haben? Sie schreiben Bestseller, greifen Preise ab, hängen auf TikTok, LinkedIn rum, reden in Podcasts, Talkshows und Hochglanzmagazinen. Warum aber nicht #einfachmalmachen? //10
Stattdessen kapern Einhornfans die Debatte über die anstehenden Veränderungen im Bildungssystem, instrumentalisieren wichtige Fragen für ihre mediale Selbstinszenierung und entsachlichen fortwährend den gesellschaftlichen Austausch über die herausfordernden Veränderungen. //11
Ihr Fans und Schuster der Einhörner, bitte bleibt bei Euren Leisten! Das, was Ihr fordert, ist trivial („Digitalisierung vorantreiben“) oder entkoppelt von den drängenden Fragen, die sehr konkret (und sicher nicht im Schema Eurer eigenen Lebensentwürfe) zu lösen sind. //12
Nun aber endlich zu den Alpakas. Den Trend zum Alpaka habe ich erst relativ spät mitbekommen. Ich will mich daher auch nicht als Alpaka-Experte ausgeben (zumindest diesem Trend kann ich widerstehen). Alpakas sind bodenständige Tiere, die nicht durch die Decke gehen sollen. //13
Alpakas stehen vor allem für eine erfolgreiche Veränderung. Die "natürliche" Lebensumgebung in den Anden wurde gegen einen anderen Lebensraum wie etwa in den Schweizer Alpen getauscht. Und was zuerst befremdlich gewirkt hat, ist für damit Heranwachsende Normalität geworden. //14
Damit wird das Alpaka zu einem Symbol für Wandel. Digitalität als normale Lebenswelt ist wie der räumliche Umzug der Alpakas von der Süd- auf die Nordhalbkugel und auf die andere Atlantikseite. Auf Eingewöhnung folgt Normalität, gemeint ist das Leben in der Digitalität. //15
Einhörner stehen für die Suche nach einem exponentiellen Gewinn für Kapitalgeber. Alpakas stehen dagegen für die Suche nach einem Weg, um die Veränderungen durch die Digitalisierung zu verstehen und zu gestalten. Außer die Hufe haben beide Visionen wenig gemein. //16
Von den Alpakas hört man, sie hätten nur kleine Klauen und würden daher auch keine Erosionen verursachen. Für mich ist das Grund genug, mein Investment von Aufmerksamkeit in dieser Richtung zu tätigen. Das erscheint mir nachhaltiger angelegt als bei fabelhaften Einhörnern. //17
Abschließend ist der anerkannte Alpaka-Experte Wampfler aufzuführen. Nicht zufällig stammt er aus der Schweiz. Sie ähnelt für die deutschsprachige Diskussion zur Digitalisierung schon lange dem Rhein: Ein kontinuierlicher Zufluss von Impulsen, die wirklich wichtig sind. //18
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Die Frage, ob Deutschland die Digitalisierung der Schulen verschlafen hat, würde wahrscheinlich einstimmig bejaht. Das Problem steckt in der Frage: Es war kein Verschlafen, sondern ein Ablehnen. Wer verschläft, den genügt es zu wecken. Wer ablehnt, den muss man überzeugen. /1
Diese pedantische Unterscheidung hat konkrete Folgen für die Weichen, die heute beim Schulgipfel im Bundeskanzleramt und auch zukünftig gestellt werden. Anhand der drei "großen Digital-Vorhaben" aus dem Artikel von @JMWiarda will ich dies erläutern. 2/
Die heutige Situation der Digitalisierung lässt sich historisch nicht anders erklären als durch Ablehnung. Bereits 1984 hieß es: “Computer in alle Schulen, alle Schüler an die Computer - dieses Programm wollen die Kultusminister zügig verwirklichen.” 3/ magazin.spiegel.de/EpubDelivery/s…