Ich erzähl euch heute als kleine Ablenkung etwas über Weihnachten bei mir in Bosnien vor und während des Krieges. Ich konnte mich vor kurzem wieder an einpaar Sachen erinnern, die mich zu Tränen bewegt haben.
Ich bin Muslimin und viele werden sich wundern, wieso ich Weihnachten feiere. Bei uns wird sowas wie Weihnachten am 31. Dezember gefeiert. Es wird ein Baum geschmückt und es gibt Geschenk. Aber nur für Kinder. Es ist kein religiöses Fest. Es ist mehr ein Brauch.
Wir haben Weihnachten eher als ein Kinderfest gefeiert. Sobald man älter wurde, haben wir es nicht mehr gefeiert. Es ist über ganz Ex-Jugoslawien bis heute weit verbreitet. Unabhängig welcher Religion man angehört.
Damals vor dem Krieg haben mein Vater und Opa in unterschiedlichen Städten gearbeitet. Meine Mutter und Oma haben sich um meinen Urgroßvater, das Haus, die Landwirtschaft und uns Kinder gekümmert. Wir haben am Land gewohnt. Die Winter konnten dort sehr schlimm ausfallen.
Mein Vater und Opa haben immer zu Silvester Geschenke von ihren Firmen bekommen, die für uns Kinder extra zusammengestellt wurden. Wir hatten keinen Weihnachtsbaum, der im Wohnzimmer oder so stand. Vor unserem haus gab es eine kleine Tanne. Die haben wir dann geschmückt.
Nicht mit teuerem Weihnachtsschmuck sondern was wir so finden könnten. Tannenzapfen, Bonbonfolie, Nüsse oder aus Stroh gebasteltes. Ich kann mich erinnern wie kalt es immer draußen war. Ich hatte Wollhandschuhe an. Die Wolle stammte natürlich von unseren eigenen Schafen.
Meine Finger fühlten sich an wie Eiszapfen. Aber ich wollte nie ins Haus, weil es so viel spass gemacht hat den Baum zu schmücken. Mein Vater und Opa haben uns dann am Abend die Geschenke gegeben. Damals konnte sich kaum jemand leisten, Geschenke zu kaufen.
Die meisten Firmen waren so großzügig und haben immer Geschenke für die Kinder der Mitarbeiter vorbereitet. Die Geschenke wurden immer altersspezifisch zusammengestellt. Leider kann ich mich an das Geschenk von meinem Vater nicht mehr erinnern.
Das Geschenk von meinem Opa ist mir bis heute im Gedächnis geblieben. Es war ein wunderschöner Keramikbecher. Mein Opa hat in einer Keramikfabrik gearbeitet.Ich war so stolz einen eigenen Becher zu besitzen.Diesen Becher habe ich wie einen Schatz gehütet. Dann kam die Kriegszeit.
Während des Krieges war an feiern kaum zu denken und trotzdem haben wir es immer wieder geschafft, sogar in den dunkelsten Stunden Freude zu verbereiten. Ich kann mich gut an ein Weihnachten erinnern. Es hat extrem viel geschneit. Der Schnee war fast bis zu meiner Nase hoch.
Alle Kinder aus meinem Dorf haben zusammen gespielt. Wir waren alle gemeinsam rodeln. Wir haben uns die Pisten selbst gemacht. Eine Rodel hatte fast niemand. Wir haben uns Plastiksäcke genommen und sie mit Heu ausgestopt, haben uns draufgesetzt und sind die Hügel rutergesaust.
Ganz durchgefrohren sind wir dann nach Hause gestampft.Zuhause hat dann eine große Überraschung auf meinen Bruder und mich gewartet.Wir hatten Besuch vom Weihnachtsmann.Deda Mraz. So hat es uns meine Mutter erzählt. Und er hat uns Geschenke hinterlassen.
Mein Bruder und ich hatten seit Jahren keine Geschenk erhalten. Wir waren aus dem Häuschen. Es war jeweils ein Päckchen, was die Hilfsorganisation während des Krieges abgeworfen haben. Diese Päckchen wurden in Srebrenica von einigen Leuten aufgesammelt und dann verkauft.
Meine Mutter hat mir dann irgendwann erzählt, dass uns mein Vater mal Geld geschickt hat und sie meinen Opa gebeten hat uns in Srebrenica diese Päckchen zu kaufen, um uns eine kleine Freude zu machen.
In diesen Päckchen gab es kein Kinderspielzeug oder so. Es war meisten immer ein kleine Scheibe Fruchtkuchen,eine Portion Marmelade u. eine Portion Fisch. Mein Bruder und ich waren super glücklich. Es war das tollste Geschenk.Zu Abendessen gab es selbstgemachten Kompott mit Brot.
Das war das letzte schöne Erlebnis an das ich erinnerern kann. Ich weiß noch genau wo der Becher stand, den mir mein Opa damals geschenkt hat, als wir unser Haus verlassen mussten. Im Schlafzimmer meiner Eltern. In einer dunklen Holzvitrine. Im obersten Fach. unbenutzt.
Derzeit denke ich sehr oft an diese Zeit zurück. Wie glücklich ich mir so wenig war.

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