In den letzten Monaten werden bei uns sehr viele Workshops und Vorträge zu Verschwörungstheorien angefragt und so gut das auch oft ist, sich mit den Leuten über deren Funktionsweisen zu unterhalten, kommen praktisch immer Geschichten auf, die so unglaublich frustrierend sind. 1/n
Menschen im Nahumfeld, Freund*innen, Familienangehörige oder auch Partner*innen fallen den Verschwörungsmythen anheim. Oft beginnt es mit einer Skepsis, die ja auch erstmal nichts verwerfliches hat, und landet dann über zahlreiche YT-Clips, dubiose Artikel von Rubikon et al. 2/n
und dem Kontakt zu ideologisch gefestigteren Leuten in einer Mentalität, bei der kein Durchkommen mehr ist. Mit missionarischem Eifer beginnen Leute, die einem nahestehen, andere von der Existenz finsterer Mächte, die im Hintergrund die Fäden ziehen, überzeugen zu wollen. 3/n
Gegenrede wird z.T. aggressiv begegnet oder sie wird schlicht belächelt. Gleichzeitig hindert die emotionale Beziehung zur Person daran, ihr richtig vor den Kopf zu stoßen oder den Kontakt abzubrechen, und bietet letztlich aber auch den einzigen noch möglichen Zugang, 4/n
sich über die subjektiven Ursachen der Verschwörungsmentalität zu verständigen, die Angst, die Unsicherheit, die Einsamkeit usw. Die Schwere und Traurigkeit in diesen Erzählungen ist sehr stark spürbar, die Leute haben das Gefühl, jemanden oder etwas zu verlieren 5/n
und wenig dagegen tun zu können. Sie versprechen sich bisweilen von den Fortbildungsangeboten eine eindeutige Antwort auf ihre immer sehr individuelle Problemlage, und dass weder die Gruppe noch ich als Referent eine solche geben kann, ist nur eine weitere Enttäuschung 6/n
in dieser verfahrenen Situation.

Es klingt vielleicht dramatisierend, aber diese Erzählungen beginnen ziemlich oft damit, erst drüber hinweggesehen zu haben. Es wird berichtet, dass durchaus beobachtet wurde, wie die Person da langsam reinrutscht, jedoch nicht interveniert 7/n
zu haben, aus Rücksichtnahme auf die Beziehung. Im Nachhinein wird das häufig als Versäumnis zum Selbstvorwurf, die Leute wünschen sich, sie wären früher eingeschritten und geben sich einen Teil der Schuld. Auch wenn sie keine Schuld trifft, kann man daraus denke ich lernen. 8/n
Ein verschwörungstheoretisches Weltbild entwickelt sich nicht über Nacht, sondern einen längeren Zeitraum. Je früher die Person auf ihrem fatalen Weg irritiert wird, desto besser. Also sollte man bei bereits bei den ersten Anzeichen auf die Person zugehen. n/n

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14 Oct
Was in der Polizei in den letzten sechs Tage so passiert ist:

Am 14.10. ging die Meldung raus, dass 26 Studienanfänger*innen der Polizei Berlin in einer Chatgruppe waren, in der menschenverachtende Inhalte ausgetauscht wurden.
Seit dem 13.10. macht in den Sozialen Netzwerken ein Ausbildungsbuch der Polizei NRW von 2012 die Runde mit dem Titel "Türken und Araber verstehen" und vernehmen, darauf abgebildet ein Mann mit wütend verzerrtem Gesichtsausdruck.
Ebenfalls am 13.10. gibt die Polizei Ulm bekannt, dass sie gegen zwei Beamte wegen Verdacht auf Rechtsextremismus ermittelt.

Am 12.10. veröffentlichte die Rhein-Neckar Zeitung einen Bericht über neonazistische Umtriebe in der Heidelberger Burschenschaft Normannia. Egon Manz,
Read 11 tweets
14 Oct
Da dieses sehr schlecht informierte Bahnhofsranking der Vice gerade die Runde macht, gebe ich hier mal on popular demand eine fachgerechte Einschätzung ab. Ein Ranking wird es allerdings nicht geben, das ist unprofessionell und wird von uns Bahnhofsexpert*innen nur belächelt.
1. Der Hannoveraner Hbf ist ein Shithole, das seinesgleichen sucht. Die Imbisse sind allesamt widerwärtig (ich habe jedes einzelne ausgetestet), der Anschluss an die Regios extrem verwirrend, allerdings gibt es davor eine (furchtbare) Partymeile. Wird der Stadt nicht gerecht!
2. Göttingen: Ein Nichtbahnhof, es ist unmöglich etwas davon in Erinnerung zu behalten, man steht am Gleis, dann steht man draußen. Dort gibt es allerdings im Winter gute Stände mit Bratwurst und solchem Zeug. Also nicht ganz unangenehm.
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12 Oct
Diese geschichtslosen Einfaltspinsel schnallen immer nicht, dass die von ihnen so geliebten Architekten der klassischen Moderne oft Linke waren, die versucht haben mit den günstigsten Materialien (Stahl & Beton) demokratisch menschenwürdiges leben zu ermöglichen. 1/2
Gebäude wie dieses hier👇sollten zunächst keine Luxusbauten sein, sie wurden dazu umgedeutet, obwohl ihre Materialkosten niedrig sind. Letztendlich ist also mal wieder der Kapitalismus verantwortlich, dass wir in Löchern hausen müssen und nicht in lichtdurchfluteten Palästen. 2/2
Lektüreempfehlung: Vennemans völlig übertriebene Abrechnung mit dem Fotographen Shulman, dessen Fotos Vennemann für die Fetischisierung der klassischen Moderne verantwortlich macht. Vielleicht wäre alles besser geworden, wenn man hier Arbeiter beim Feierabendbier abgebildet hätte
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19 Jul
Das neue von W. Benz herausgegebene "Streitfall Antisemitismus" ist bemüht, systematisch Debatten über Antisemitismus der letzten Jahre zu entschärfen, indem der "Streitfall" einfach für abgeschafft erklärt wird. Dem Kampf gegen AS sind derlei Verharmlosungen sehr abträglich
In der politischen Bildungsarbeit müssen wir sehr viel Zeit und Anstrengung darauf verwenden, derlei Verharmlosungen zu irritieren. Wenn "Expert*innen" solche Apologien liefern, macht das die Sache noch mühseliger.
Auch interessant: In der Einleitung behauptet Benz, es ginge im Buch nicht um Polemik, sondern "um wissenschaftlich geführte und belegte Problemanalyse". Sechs Seiten zuvor schimpft er über die "kleingeistige Enge nörgelnder Kritiker" des ehemaligen Direktors vom JM Berlin
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