democ. Profile picture
8 Dec, 33 tweets, 10 min read
In Magdeburg beginnt in einer Stunde der 24. Verhandlungstag des #HalleProzess. Rund zehn Schlussvorträge und Statements der Nebenklage werden heute erwartet. Wir berichten hier. Morgen folgen die Plädoyers der Verteidung, ehe am 21. Dezember das Urteil fallen soll.
Berichte zu den bisherigen Plädoyers der Nebenklage und allen Verhandlungstagen finden sich unter democ.de/halle. #HalleProzess
RA Böhmke, der den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, vertritt, hält d. ersten Schlussvortrag des Tages: Zunächst geht er auf mögl. Argumente der Verteidigung ein und legt dar, warum der versuchte Mord vor der Synagoge vollendet gewesen sei. #HalleProzess
So sei der Angeklagte nicht von der Tat zurückgetreten. Außerdem gebe es keinerlei Zweifel an seiner Schuldfähigkeit. RA Böhmke kritisiert das Selbstverständnis des Angeklagten als "politischer Gefangener". Schon in den 70er hätten sich linke Terroristen der RAF so verstanden.
Böhmke kritisiert, dass Nebenklagevertreter den politischen Statements des Angeklagten selbst politische Statements entgegengesetzt hätten. Dies habe in einem Gerichtssaal nichts zu suchen.
Böhmke wünscht dem Angeklagten, dass er eines Tages begreife, welches Unrecht er anderen Menschen angetan habe. Nach Böhmke hält RA Duvnjak ein nur wenige Sätze umfassendes Plädoyer: Er schließe sich dem GBA an und wolle den Überlegungen des Angeklagten keine weitere Bühne geben.
Es plädiert nun @raahoff. Den Anschlag wolle man gern als "Wahnsinnstat eines Verrückten", als Amoklauf oder als Tat eines "Dorfdeppen" abtun, um den eigenen Lebensentwurf nicht in Frage zu stellen müssen, so RA Alexander Hoffmann. Dies sei aber unzutreffend.
Wenn man die Ideologie des Angeklagten analysiere, gebe man diesem keineswegs eine Bühne. Welche Ideologie und welche Beweggründe den Angeklagten motiviert hätten, sei mitbestimmend für das Strafmaß, so Hoffmann.
Man müsse die Ideologie des Angeklagten außerdem deshalb vor Gericht thematisieren, um auszumachen, wie man persönlich und gesellschaftlich der Verbreitung solcher Ideen entgegenwirken könne, sagt @raahoff. #HalleProzess
RA Hoffmann zeigt auf, dass elementare Bestandteile des Weltbildes des Angeklagten etwa vom neurechten "Institut für Staatspolitik", von Björn Höcke, der AfD und nicht unbedeutenden Anteilen der Bevölkerung geteilt und verbreitet würden. #HalleProzess
Die gesellschaftlich weit verbreitete rechte Hetze habe der Angeklagte als Legitimation und Auftrag verstanden, sie in die Tat umzusetzen. "Ein Urteil ist ein Urteil", sagt Hoffmann. Die zugrundeliegende Ideologie müsse außerhalb des Gerichtssaal bekämpft werden.
Da im Gerichtssaal noch immer nicht alle Betroffenen des Anschlags von Halle anerkannt würden, wolle @raahoff sein Plädoyer mit den Worten "Niemand wird vergessen, Hiç unutmadık, hiç unutmayacağız!" beenden. #HalleProzess
RA Hoffmann verliest nun ein Statement seiner Mandantin Jessica W.: Der Prozess habe den Zweck und die Bedeutung, so W., die Bedingungen und Hintergründe des Anschlags zu erhellen und aufzuklären, die die Tat überhaupt erst möglich gemacht hätten. #HalleProzess
Die Nebenklägerin kritisiert die unzureichende Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden scharf. Die NK*innen seien im Prozess enttäuscht worden: Von der Unfähigkeit, gg. die rassist. Sprache des Angeklagten vorzugehen, vom BKA und davon, dass Stimmen ausgeschlossen worden seien.
Die Nebenklägerinnen und Nebenkläger und das Team des Projekts "Global White Supremacist Terror: Halle" (halle.nsu-watch.info) hätten ehrenamtlich bessere Arbeit geleistet als die Ermittler der Polizei, so W. #HalleProzess @nsuwatch
Der Prozess hätte eine Chance sein können, dem Rassismus etwas entgegenzusetzen und rechten Terror nicht kleinzureden, sondern ausführlich zu beleuchten. Diese Chance sei nicht ergriffen worden. #HalleProzess
Es spricht nun die Nebenklägerin @talyafeldman: Sie kritisiert, dass Aftax Ibrahim und İsmet Tekin noch immer nicht als Opfer des Anschlags anerkannt würden, obwohl die rassistische Motivation der Mordversuche gg. sie offensichtlich seien.
Sie sei während des #HalleProzess immer wieder erinnert worden, dass Gesetz und Gerechtigkeit nicht dasselbe seien. Der Angeklagte habe am Tag des Anschlags vielleicht allein gehandelt: Er sei aber Symptom der Ideologie der White Supremacy, die unsere Gesellschaft durchdringe.
Er habe in diesem Sinne nicht allein gehandelt. Feldman sagt, sie sei wütend auf das BKA, das behauptet habe, es müsse den Kontext der Tat nicht analysieren und Verbindungen zu Ideologie und Vorbildern herstellen. #HalleProzess
Das BKA sage damit letztlich, es sei auch nicht für die Verhinderung weiterer Anschläge verantwortlich.
Sie sei wütend auf PolizistInnen, die in ihren Zeugenaussagen rassistische Ausdrücke und Stereotype verbreitet hätten.
Am Schluss richtet sich Feldman an die Presse: Die Medien sollten sich auch nach dem letzten Wort des Angeklagten nicht zu dessen Komplizen machen, ihn nicht zitieren und nicht seinen Namen nennen. Der Kreislauf der Brutalität müsse durchbrochen werden: "Genug ist genug."
Nach einer kurzen Pause trägt die Nebenklägerin Christina Feist (@molussia_anders) ihr Statement vor: Sie weist daraufhin, dass es nicht die Ermittler*innen der Polizei gewesen seien, die wirklich etwas zur Erhellung der Hintergründe der Tat beigetragen hätten. #HalleProzess
Stattdessen seien es die Nebenkläger*innen und Sachverständigen @raeuberhose, @Matthias_Quent und B. Steinitz (@Report_Antisem) gewesen, die die ideol. Hintergründe und Zusammenhänge der Tat klar analysiert und Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit benannt hätten.
In ihrer Aussage im #HalleProzess habe sie gesagt, dass sie das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden verloren habe. Daran habe sich nichts geändert. Das Unwissen der Polizei bzgl. der Online-Radikalisierung habe gezeigt, dass auch heute nicht besser agiert würde als am Tattag.
Das letzte Wort im Prozess habe die Vorsitzende Richterin Mertens, bei der sich Feist dafür bedankt, dass sie allen Betroffenen die Gelegenheit zum Sprechen gegeben habe. Das letzte Wort außerhalb des Saals hätten aber wir alle. Schweigen sei deshalb keine Option. #HalleProzess
Es gelte, das im Prozess thematisierte nicht zu vergessen, es mit nach draußen und in die Zukunft zu nehmen. Feist sagt, sie werde sich ihr Leben lang an Jana und Kevin erinnern. Und weil sie sich erinnere, werde sie niemals schweigen.
Ehe eine weitere ihrer Mandantinnen ihr Statement hält, interveniert RA Dr. Kati Lang: Der Angeklagte habe mit selbstgemalten Zetteln versucht, die plädierende Nebenklägerin zu irritieren und solle dies sofort unterlassen.
Verteidiger Weber hakt nach, was der Angeklagte denn gezeigt haben soll. RAin Lang fordert ihn auf, einfach mal die Augen aufzumachen. Sie werde dem Mandanten für seine Botschaften keine Bühne geben. Die Verhandlung ist für 15 Minuten unterbrochen. #HalleProzess
NKin Naomi Henkel-Gümbel stellt ihrem Statement d. Worte "There is meaning beyond absurdity" des Rabbis Abraham Joshua Heschel (1907-1972) voran. Die Spirale der Absurdität, die im Anschlag liege, habe sich seit dem 9.10.19 unaufhörlich weitergedreht und viele Fragen aufgeworfen:
"Wie konnte es nur zu dem Anschlag kommen? Wie konnte es überhaupt Zweifel geben, dass ich Opfer eines Mordversuchs war? ... Wie kann ich weitermachen? ... Kann ich diesen Ort mein Zuhause nennen?", fragt Henkel-Gümbel.
Sie habe sich entschieden, als Nebenklägerin am Verfahren teilzunehmen, aus Verantwortung für sich selbst und andere: Sie wolle das Narrativ davon, was am Tag des Anschlags geschehen sei, mitgestalten. #HalleProzess
Monatelang habe sie sich in der Ungewissheit befunden, ob die Tat gegen sie überhaupt als versuchter Mord anerkannt und angeklagt werden würde. In dieser Schwebe befänden sich heute Aftax Ibrahim und İsmet Tekin, trotz aller Beweise.
Henkel-Gümbel berichtet von ausufernden und kleinen, fast unbemerkten rassistischen Äußerungen in Erklärungen und Wortwechseln im Laufe des Prozesses. Es sei im Laufe der Verhandlung aber auch Stärke unter den Nebenkläger*innen gewachsen.

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with democ.

democ. Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @democ_de

25 Aug
In #Magdeburg beginnt in einer Stunde der 6. Verhandlungstag des #HalleProzess. Heute sollen mehrere Polizeibeamte als Zeugen angehört werden. Bislang haben sich im Prozess zahlreiche Widersprüche und offene Fragen ergeben. Ein Überblick: 1/17
Die Erkenntnisse zum Online-Verhalten des Angeklagten basieren vor allem auf dessen Selbstdarstellung. Unzählige Anspielungen in den Dokumenten und der Auswahl der Musik nehmen Bezug auf rechten Terror oder die Incel-Szene. 2/17
Die Aussagen des Angeklagten sind aber keineswegs glaubwürdig: So schweigt er zu seinen Kontakten, redet nebulös vom “Darknet”, wenn es keinen Sinn ergibt, und macht immer wieder widersprüchliche Angaben. 3/17
Read 17 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!