#weremember Wie alle deutschen Städte hat auch meine Heimatstadt #Göttingen eine lokale Geschichte nationalsozialistischer Gewalt, die sich in den meisten Fällen gut sichtbar vor den Augen der Bevölkerung abspielte. Ein Thread - nicht nur für #twitterstorians
Göttingen war eine frühe Hochburg der NSDAP. Bereits im Frühjahr 1922 bildete sich eine NSDAP-Ortsgruppe. Bei der Reichstagswahl im Juli 1932 wählten dann 51% der Göttinger*innen die Nationalsozialisten (in ganz Deutschland waren es 37 %).
Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde mit einem Fackelzug aus 2000 uniformierte Angehörige von SA, SS und Hitlerjugend gefeiert. Nach der friedlich verlaufenen Machtübernahme wurde die Weender Straße in „Straße der SA“; der Albaniplatz in "Adolf Hitler Platz" umbenannt.
Bereits im März 1933 kam es zu ersten Pogromen gegen Juden und Jüdinnen. Im nahegelegenen Moringen wurde im selben Jahr ein Konzentrationslager eingerichtet, über das später Sinti und Roma aus der Region nach Auschwitz Birkenau deportiert wurden.
Im April 1933 entließ die Universität gemäß dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ 45 Dozierende. Unter den Opfern waren bedeutende Wissenschaftler*innen wie Max Born, Richard Courant, Emmy Noether und Herman Nohl.
Das Synagogenmahnmal ist das am deutlichsten sichtbare Zeichen im Zusammenhang mit dem NS in Göttingen. Es erinnert an die Göttinger Synagoge, die Reichspogromnnacht 1938 zerstört wurde.
Ende 1938 waren nur noch 19 der ursprünglich 97 jüdischen Geschäfte in Göttingen erhalten. Die meisten waren aufgrund des Boykotts und der Verweigerung des Drucks jüdischer Werbeanzeigen bereits aufgegeben worden. Am 12. November folgte die Zwangsarisierung der übrigen Betriebe.
Bis Ende 1938 verließen 204 jüdische Bürger*innen Göttingen, gingen in andere Großstädte, tauchten unter oder emigrierten.
1940 erhielten die Göttinger Heil- und Pflegeanstalten die Meldebögen, nach denen die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ durchgeführt wurde. Etwa 1600 Menschen wurden im Namen der „Rassenhygiene“ zwangssterilisiert. Vier Euthanasie-Transporte gingen in Tötungsanstalt Hadamar.
Ab dem 1. September 1941 mussten Juden und Jüdinnen auch in Göttingen einen Judenstern an ihrer Kleidung tragen.
Über 11.200 zivile Zwangsarbeiter*innen und mehr als 3500 Kriegsgefangene prägten das tägliche Bild der Stadt. Im Verlauf des Krieges beschäftigten nahezu alle Betriebe und viele private Haushalte in Göttingen ausländische Zwangsarbeiter
Am 26. März 1942 erfolgte ein erster „Judentransport“ mit 89 Erwachsenen und Kindern in verschiedene Konzentrationslager. Keine*r der Deportierten überlebte. Widerstand gegen diese Aktionen ist nicht bekannt. Im Oktober 1942 lebten noch neun Juden und Jüdinnen in Göttingen.
Von insgesamt 500 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Göttingen wurde mehr als die Hälfte ermordet oder in den Tod getrieben.
In diesem Jahr kann es kein Zusammenkommen geben, um diesen und allen anderen Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken. Viele Orte in Göttingen - wie das Synagogenmahnmal oder die dutzenden Stolpersteine - geben aber trotzdem Gelegenheit zu einem individuellen Gedenken.
Literatur:

Bruns-Wüstefeld, Alex: Lohnende Geschäfte. Die „Entjudung“ der Wirtschaft am Beispiel Göttingens, Hannover 1997.

Geschichtswerkstatt Göttingen e.V. (Hrsg.): Von der Konditorei zur Messtechnik: NS-Zwangsarbeit in Göttingen, Göttingen 2011.
Schäfer-Richter, Ute/Klein, Jörg/Aufgebauer, Peter/ Manthey, Matthias: Die jüdischen
Bürger im Kreis Göttingen 1933-1945: Göttingen, Hann Münden, Duderstadt, Göttingen 1993.

Tollmien, Cordula: Nationalsozialismus in Göttingen (1933-1945), unv. Diss., Göttingen 1999.
Thieler, Kerstin: "[...] des Tragens eines deutschen akademischen Grades unwürdig." Die Entziehung von Doktortiteln an der Georg-August-Universität Göttingen im "Dritten Reich", Göttingen, 2004.
Thieler, Kerstin: "Volksgemeinschaft" unter Vorbehalt. Gesinnungskontrolle und politische Mobilisierung in der Herrschaftspraxis der NSDAP-Kreisleitung Göttingen, Göttingen 2014.

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