Thread by @Lanalein1

19 Dinge, die ich als Lehrkaft während der Corona-Pandemie gelernt habe.
Ein Thread.
#twlz

1. Lehrer:innen sind faule Menschen, die nach dem Studium möglichst viel frei haben wollen und im Fernunterricht haben sie quasi gar nichts zu tun.
Also los, führt Samstagsunterricht ein, streicht Ferien und Bezüge!!!

2. Lehrer:innen können nichts richtig machen: Interaktive PDFs gehen für Kinder ohne Gerät nicht, normale Arbeitsblätter funktionieren ohne Drucker nicht.
Eine Aufgabe aus dem Schulbuch? Faules Pack, denkt sich nicht einmal selbst etwas aus.
Kreatives? Wer braucht denn sowas...

3. Lehrer:innen werden früher geimpft. Ein Skandal! Aber eigentlich sind es nur die aus den Grund- und Förderschulen, wenn es einen Termin gibt, außer man wohnt in BaWü und überhaupt, womit haben die das denn verdient? Es gibt doch Plexiglasscheiben und Luftfilter (haha).

4. "Nun streamt doch einfach euren Unterricht."
Deutsche sind nicht nur alle Bundestrainer und Virologen, sondern auch Lehrer:innen und kennen meinen Job besser als alle anderen. Und weil jeder eine Geschichte über eine schlimme/faule Lehrkraft hat, sind alle so.

5. Schule hat nicht den Sinn der Bildung, sondern ist zur Betreuung da. Anders kann ich mir 5 Tage Präsenzunterricht pro Schüler:in vor den Ferien nicht erklären, weswegen der Fernunterricht nicht mehr umgesetzt werden kann. Teilweise ohne Masken, keine Gruppenarbeit usw.

6. Wir verdienen wahnsinnig viel Geld und sollen jetzt noch mit Dienstgeräten belohnt werden!
Dass ich mir wirklich jeden Rotstift selbst kaufen muss, wissen viele schlicht nicht. Ich gebe pro Monat viel Geld aus, um meinen Schüler:innen viel zu ermöglichen und mich fortzubilden

7. Mangelhafte FFP2-Masken dürfen keinesfalls in den Verkauf, sind für die Verteilung an Lehrkräfte aber gut genug. Und zwei Stück pro Quartal reichen ja.
Danke für nichts.

8. "Dann streikt doch, wenn alles so schlimm ist."
Ich bin Beamtin, wie viele von uns. Ja, es ist ein Privileg in diesen Zeiten einen sicheren Job und ein sicheres Gehalt zu haben, aber streiken dürfen wir nicht.
Wir verlangen nur Arbeitsschutz, nicht mehr und nicht weniger.

9. Schüler:innen sind keine Treiber der Pandemie. Tja gut, wieso die Zahlen nach den Schulöffnungen drastisch steigen, das weiß keiner so genau.
Superspreader-Events sollen vermieden werden, jedoch bin ich als Lehrkraft der Superspreader schlechthin.

10. "Wir sind es nicht wert." Empfehlung eines weiteren Threads von @fluiditaet

11. Ich habe mittlerweile Angst vor den Entscheidungen der KMK und was einzelne Bundesländer daraus machen. Leute aus Räumen mit Luftfiltern entscheiden über unsere Gesundheit und das leichtfertig! Denn Bildung geht ja über Gesundheit. Außerdem sind Wahlen...

12. In Phasen, in denen ich trotz hoher Inzidenzen quasi schutzlos in die Schule gehen muss, treffe ich keine Menschen. Nicht einmal Spaziergängen traue ich.
Ich habe Angst, andere gefährden zu können.
Ich habe Angst, dass jemand wegen mir stirbt.

13. Ich habe Angst um meine Schüler:innen. Dass es aktuell Präsenzpflicht gibt, ist unverantwortlich. Ich will nicht, dass sie erkranken, #LongCovid bekommen, ihre Familien anstecken und keiner hat sie geschützt. #LasstSchulenUndKitasZu

14. Ich habe Angst um die psychische Gesundheit meiner Schüler:innen. Als Vertauenslehrerin habe ich einen Einblick und während im letzten Jahr viele sehr unter der Einsamkeit litten, haben viele nun deutlich mehr Angst davor, wieder in die Schule zu müssen.

15. CN Suizid
In meinen Wohnort gab es einen Suizidversuch in einer Schule während einer Kursarbeit. Der Druck war zu hoch, die Angst vor der Ansteckung vielleicht auch.
Es gibt gerade Wichtigeres als Noten usw., aber man zwingt uns dazu. Wir haben keine Wahl.

16. Die meisten Eltern überschätzen den Einfluss von Lehrkräften auf Regelungen zur Notengebung, auf die Anzahl der Klassenarbeiten usw. Ich versuche meinen Schüler:innen viel beizubringen und sie trotzdem aufzufangen und nicht nur unter Druck zu setzen.

17. In Zeiten des Online-Unterrichts bin ich nicht nur Lernstoffvermittlerin, Korrigier-Weltmeisterin, in sämtlichen Online-Tools Ausprobierkönigin, sondern helfe allen meiner 250 Schüler:innen 24/7 beim Lösen aller technischer Probleme.

18. Tatsächlich bin ich überrascht, wie gut Fernunterricht funktioniert. Ganz unironisch schaffe ich meinen normalen "Stoff" nach Lehrplan, die Schüler:innen lernen wahnsinnig viel im Umgang mit digitalen Medien und ich gebe so viel individuelles Feedback wie nie.

19. Schule ist kein heiliger Ort für alle. Tatsächlich verbessern sich sogar viele gerade, kommen endlich aus sich heraus, zeigen ihre selbstorganisatorischen Fähigkeiten.
Ja, das gilt nicht für alle, aber jeder tut, was er kann.
Ich bin stolz auf meine Schüler:innen.

--> Der Lehrberuf ist kein einfacher "Job" für mich, es ist eine Berufung und sogar eine Passion.
Ich bin erst ein Jahr fertig mit dem Referendariat, mir fehlt noch so viel Erfahrung und doch war das letzte Jahr so lehrreich wie wahrscheinlich fünf normale Jahre.

Ich würde keinen anderen Beruf wählen wollen, aber mittlerweile müsste ich vielen davon abraten, wenn ich ehrlich bin.
In der Gesellschaft ist der Beruf einer Lehrkraft sehr exponiert und jeder erlaubt sich ein Urteil. Das ist aktuell vielleicht noch bei Gesundheitsministern so.

Manchmal wünsche ich mir das Gefühl vom März 2020 zurück, als eine Art "Wir schaffen das"-Bewegung aufkam.
Wir alle tun gerade unser Bestes und ja, vieles läuft schief. Aber keinem ist geholfen, wenn wir immer nur gegeneinander schießen.

Was ich mir wünsche? Mit meinen Schüler:innen in einem sicheren Umfeld (!) gemeinsam lernen zu können, Spaß zu haben, ohne jeden Tag zu lesen, was "wir Lehrer" alles falsch machen.
Ein Umgang in Respekt und sogar einmal Wertschätzung.
Eine Utopie? Vielleicht.

Ende.

*Ich bin ein bisschen sprachlos über die ganzen Reaktionen.
Ich habe mich heute nicht allein gefühlt, sondern so als sei ich Teil einer großen Gemeinschaft an Lehrkräften und wir alle machen gerade in etwa das Gleiche durch.
Das hat sehr gut getan.
Ich danke allen von Herzen!