Guten Morgen. Wie ihr vielleicht gemerkt habt, bin ich selbst cis Frau und dazu noch mostly hetero (dachte ich zumindest bisher) beschäftige mich aber oft mit sog "queeren" Themen. Die Neuen unter Euch, fragen sich vielleicht wieso mir das so am Herzen liegt. Nun, dafür gibt es
verschiedene Gründe. Zum Einen, wurde ich so erzogen, dass Identität und Sexualität anderer Menschen nicht meine Sache sind. Meine Eltern haben uns die Haltung mitgegeben, alle Menschen so zu respektieren wie sie sind, solange sie niemand anderem schaden. Allerdings gab es auch
einen spezifischen Punkt in meiner Kindheit, seit dem ich wütend werde, wenn nicht-heterosexuelle Menschen diskriminiert werden. Mein Vater (jg 1936) hat uns von seinem großen Bruder erzählt, den wir nie kennengelernt haben. Dieser Bruder war schwul, aufgewachsen in einer Zeit in
der das in der Schweiz noch kriminalisiert war. Das einzige Umfeld, in dem er offen seine Homosexualität zeigen konnte, war damals das Rotlichtmilieu in Zürich und die in den 1930 entstehenden Tanzclubs. Gesellschaftlich Anerkennung? Davon war noch für viele Jahrzehnte nicht
CN Suizid

zu reden. Long Story short - mein Onkel hat den Druck und die Ausgrenzung außerhalb der wenigen einigermaßen sicheren Räume irgendwann nicht mehr ausgehalten und sich umgebracht. Das war ein erster Aha-Effekt für mich als Kind, ich habe nicht verstanden, warum Menschen
so grausam zu anderen sein können, nur weil sie schwul oder lesbisch sind. Ich verstehe es bis heute nicht.
Über die Jahre, ich war in hetero Beziehungen, habe irgendwann Kinder bekommen, alles irgendwie im vermeintlichen "Normbereich", habe ich immer mehr wundervolle Menschen
kennenlernen und zu meinen Freunden zählen dürfen, die schwul, lesbisch, bi, pan, asexuell, aber auch nicht cis sind. Nichts davon, egal ob zb jemand nicht binär oder trans ist, hat jemals unsere Freundschaft beeinträchtig. Niemand hat mir jemals etwas weggenommen deswegen.
Vor ein paar Jahren hat dann auch meine Tochter mir nebenher bestätigt, was ich schon längst vermutet habe, aber nicht fragen wollte (remember: die Sexualität anderer Menschen ist nicht mein Bier, auch und gerade nicht, wenn es sich um mein Kind handelt), dass sie bisexuell ist.
Well, wir haben darüber nicht weiter gesprochen, weil es nichts zu sprechen gab. Abgesehen von gelegentlichen Scherzen beim Haareflechten, als ich sagte "please, sit straight" (warum wir oft Englisch miteinander sprechen ist was für einen anderen Thread) und sie grinsend meinte:
"Nope, you know I can't" :) Für mich ist nur wichtig, dass sie in ihrer Beziehung glücklich ist und der Mensch mit dem sie zusammen ist, sie respektiert und liebt. Geschlecht, sexuelle Ausrichtung etc - egal. Nun mögt ihr Neuen euch vielleicht fragen, warum mein Fokus in letzter
Zeit so sehr auf trans* Themen liegt? Das ist einfach - in den letzten paar Jahren haben einige Menschen, die ich teilweise seit 20 Jahren kenne, den Weg einer Transition beschritten. Wenn ich mich für meine Freunde und ihr Wohlergehen interessiere, kann ich nicht einfach davor
die Augen verschließen. Freunde unterstützen sich und sind interessiert am Leben der anderen, right? Vor allem aber versuchen Freunde ihr möglichstes, einander nicht gegenseitig zu verletzen, auch nicht unabsichtlich. Ich hatte immer die Haltung: pisst Du "meinem Rudel" ans Bein,
dann pisst Du auch mir ans Bein. All das hat mich dazu gebracht mich mehr mit den Themen zu beschäftigen, die sonst an mir vorbei gegangen wären. Das war und ist ein aktiver Prozess. Der Umstand, dass sich so viele unterschiedliche Geschlechter und sexuelle Ausrichtungen in
meiner peer Group befinden, ist nicht die Regel bei cis hetero Menschen, das weiß ich. Allerdings ist die Bubble in der wir uns alle begegnet sind, eine Sex-Positive, BDSM lastige, poly freundliche Blase, die seit über 20 Jahren stetig wächst. Und: nicht EINE Person hat gezuckt,
als ich eröffnet habe, dass ich Sexarbeiterin werde. Respekt und Rückhalt ist keine Einbahnstraße. Das alles waren und sind für mich ausreichend Gründe, mich für Menschen einzusetzen, die eben nicht cis und nicht hetero sind. Dazu muss ich selbst nicht queer sein. Sie sind Teil
meines Lebens und vice versa. Dass vor nicht allzu langer Zeit auch meine Partnerperson sich als Frau geoutet hat, war mit diesem "Background" zwar trotzdem überraschend (Ich habe die Person für fast 17 Jahre fälschlicherweise für männlich gehalten. Allenfalls nicht binär), aber
halt kein Riesending für mich. Für Sie natürlich schon, denn so ein Outing macht kein Mensch mal eben so. Sie hat selbst jahrelang damit gehadert und es sich nicht eingestehen wollen. Hat sich für falsch, "krank", nicht normal gehalten. Im Gegensatz zu mir, ist sie extrem
konservativ erzogen worden (katholisch, Jesuiten-Internat, bloß nicht mit Kindern aus anderen "Schichten" spielen etc) und das macht sich bemerkbar. Deswegen bin ich umso stolzer auf sie, dass sie sich endlich raus gewagt hat. Es ist ein Prozess, bei dem wir alle uns noch an die
richtigen Pronomen gewöhnen. Bei dem wir viel sprechen. Viel googlen, Informationen suchen. Bei dem ich es als meine Aufgabe sehe, ihr so viel Bestätigung und Rückhalt zu geben, wie sie braucht. Wir sind immerhin verheiratet, und daran ändert sich nichts durch den Umstand, dass
"mein Mann" in Wahrheit meine Frau ist.
Wir lieben keine Hüllen. Wir lieben Menschen.

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4 Apr
Mein Wort zum heutigen Ostersonntag an die SWERFs da draußen: Haltet doch einfach mal Eure Klappe, wenn aktive Sexarbeitende reden und hört zu. Sexarbeit ist sicher nicht geeignet für alle Menschen, aber welcher Job ist das schon? Ich finde dieses heuchlerische Gerede von
"Wir stehen auf der Seite der Prostituierten und helfen ihnen!" unerträglich. Wenn das so wäre, dann würdet ihr ALLE Sexarbeitenden supporten, und nicht nur diejenigen, die für euch "Opfer genug" sind! Ganz klar: wer diese Arbeit nicht machen will, der soll&darf auch weder durch
Dritte, noch durch Sachzwänge wie Miete zahlen und Essen kaufen dazu gezwungen sein! Deswegen aber die unzähligen anderen unter den Bus werfen? Was für angebliche "Feministinnen" wollt ihr sein? Das ist Wohlstandsfeminismus, schön von Zuhause aus mit einem Dach über dem Kopf und
Read 5 tweets
25 Mar
CN: Chronische Erkrankung/Fibro
Ein wirklich doofer Tag, heute.
8:00 Uhr, ich wache auf. Ok, einer dieser Tage. Jeder Knochen, jeder Muskel tut weh. Bei den ersten Bewegungen stelle ich fest, japp auch der Kopf. Und wie.
Ich stehe vorsichtig auf und schaffe die Treppe nach unten.
Ein erster Versuch mit Kaffee und Wasser die bleierne Müdigkeit zu bewältigen, eine erste Dosis Schmerzmittel um mich bewegen und gleich die Katzen versorgen zu können. Ich warte. Es passiert nichts. Fein, dann eben so. Statt wie sonst zügig die Näpfe zu reinigen, zu füttern und
die Katzenklos zu säubern, knie ich davor und bin sehr, sehr langsam. In Zeitlupe und mit Schwierigkeiten die Dosen überhaupt aufzumachen, laufe ich auf Autopilot. Mir ist schwummrig, leicht übel. Die Katzenklos, Futter- und Wassernäpfe für 6 Katzen sind auf 3 Stockwerke verteilt
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9 Mar
Nachdem sich eine meiner Partnerpersonen bei mir als Frau geoutet hat, hat sie ihren Vollbart abgenommen. Soweit toll. Für sie aber nicht so ganz, denn den Bart hat sie getragen um eine halbseitige Gesichtslähmung etwas zu verstecken. Jetzt ist ein massiver Konflikt da.
Keinen Bart mehr tragen zu wollen, aber auch nicht der ganzen Welt die Lähmung zeigen. Ich würde vorschlagen eine Psychologin aufzusuchen, um der Krankenkasse belegen zu können, dass der Leidensdruck zu hoch ist (zumal es ja auch Einschränkungen wie unvollständ. Lidschluss gibt)
und ggfs operative Verbesserungen bezahlt zu bekommen. Das ändert nichts daran, dass sie keine Kontrolle über ihre Muskulatur auf der Seite hat, aber es würde ihr Selbstwertgefühl sicher verbessern. Jetzt meine Frage: hat jemensch hier Erfahrung mit sowas? Was will so eine KK um
Read 4 tweets
9 Mar
Guten Morgen. Der Kampftag gestern, ne? Dazu will ich vor allem mal den cis Menschen die mir folgen was erzählen.
Ich hatte mir ja vorgenommen, hauptsächlich Tweets/Threads von Menschen zu teilen, die von patriarchalen Strukturen betroffen aber keine cis Frauen sind.
Soweit, so gut. Ganz viele wichtige Aussagen und Einblicke kamen da zusammen. Ich habe mich zum ersten Mal an diesem Tag inkludiert gefühlt. Zum ersten Mal wars auch "mein" Tag, wenn auch nur online. Es gab Austausch, Offenheit. Die wenigsten Personen mit denen ich
gestern so positive Interaktion hatte, waren cis binäre Menschen. Keine einzige Person ist mich aufgrund meines Jobs angegangen. Nicht eine. Jetzt kommt das aber:
Es ist so furchtbar bezeichnend dafür, dass hier etwas ganz gewaltig schief läuft! Es ist so, dass ich als binäre cis
Read 11 tweets
8 Mar
Ich fühle mich nicht als Feministin. Da, es ist raus. Über die letzten Jahre hinweg, habe ich (nicht nur als Sexworkerin) so viel Ausgrenzung gesehen und erlebt, von Menschen, die sich Feministinnen nennen, dass ich mich dem nicht zuordnen will. Eine Bewegung, die ihre eigene
Unterdrückung über diejenige anderer Menschen stellt, die exkludierend ist, feindlich gegenüber anderen Menschen die genauso oder noch mehr unter patriarchalen Strukturen leiden, die schreckt mich ab. Am ehesten finde ich mich im Queer-Feminismus wieder. Allerdings identifiziere
ich mich selbst nicht als queer, auch wenn mehr als die Hälfte meines näheren Umfelds (inkl. einem Kind und einer Partnerperson) queer ist. Deswegen würde ich mich irgendwie als Eindringling in geschützte Räume fühlen, wenn ich da Anschluss suchte.
Read 5 tweets
7 Mar
Der 8. März und die Diskussionen darum, beschäftigen gerade viele von uns. Wie soll der Tag heißen? Wer soll sich aktiv daran beteiligen? Warum wollen einige Menschen andere nicht dabei haben, die genauso unter patriarchalen Strukturen leiden wie Frauen, aber keine sind?
Neben uns Frauen (egal ob trans, inter oder cis), leiden ja auch trans Männer, nicht binäre Personen etc. unter denselben Strukturen. Ich habe noch vor einer Weile auch gedacht "warum können Frauen nicht einen Tag nur für sich haben?" Bis ich anderen betroffenen Menschen zuhörte.
Ihnen geht es nicht darum, dass Frauen "nicht etwas für sich selbst" haben können. Viele finden auch einen safe space für sich selbst sinnvoll, wo zb cis Menschen mal nicht eindringen können. Oder heteros. Oder binäre Menschen. Aber beim 8.3. geht es eben nicht um den
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