Ein Versuch, die Prozesse zu beschreiben, die bei Maßnahmenbefürwortern und Maßnahmenkritikern dazu beitragen, dass sich Sichtweisen verfestigen, kein konstruktiver und faktenbasierter Austausch mehr möglich ist und die bis zu Brüchen in Familien und Freundeskreisen führen (1/n)
Anmerkung vorweg: Bis ca. Mitte 03/2020 war ich Maßnahmenbefürworterin, insofern kenne ich die „kognitiven Tunnel“ und Gefühle beider Seiten, beobachte und beschreibe nun aber aus meinem jetzigen Tunnel heraus und habe daher möglicherweise einen eingeschränkten Blick (2/n)
1.Maßnahmenbefürworter:
(1)Angst vor dem Virus/ vor einer Überlastung des Gesundheitssystems
(2)Sicherheit/Kontrolle herstellen durch: Befürworten und Befolgen der Maßnahmen, Konsum von (leider meist alarmistischen) Berichten zur “aktuellen Lage” (3/n)
(3)Kognitiver Tunnel: Fokus auf Inzidenzen und Corona-Tote
(4)Angst und Mitgefühl mit den Corona-Opfern, Gefühl der moralischen Überlegenheit und Verbundeneheit in der Krise (wir müssen was tun, wir schaffen das) (4/n)
Sozioökonomisch meist wenig betroffen, ggf. auch Benefit durch z.B. Entlastung von Pflichten
(5)Emotionale Entlastung aufgrund der Maßnahmen, denn die Regierung tut ja vermeintlich alles, um uns zu schützen (es sei den man ist der Meinung, die Maßnahmen reichen nicht aus) (5/n)
(6) Da im Alltag wenig Dissonanz gespürt wird (denn man vertritt ja die Mehrheitsmeinung) kein tiefergehendes, d.h. über die “Mainstreammedien” hinaus gehendes Informieren, oder intensives aber einseitiges informieren bei wenigen, als vertrauenswürdig empfundenen Quellen (6/n)
(7) Konfrontation mit widersrpüchlicher Information erzeugt Dissonanz, die aber relativ einfach ausgeblendet oder abgewehrt warden kann (Corona-Leugner, Interventionsparadoxon, Indien etc.) (7/n)
Es besteht in meiner Warnehmung deutlich mehr emotionaler Zugang zu dem Leid der Corona-Opfer als zu dem Leid der Maßnahmen-Opfer ➡️Angst ➡️Weiter bei (2) ➡️ Angst wird aufrechterhalten durch Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten und selektive Wahrnehmung (8/n)
(8) Unverständnis für maßnahmenkritische Personen, möglicherweise auch Kränkung, wenn man von diesen als unkritisch und uninformiert bezeichnet wird, Gefühl der Entfremdung (9/n)
(9) Thema vermeiden (wird von dieser Seite meist bevorzugt, da hierdurch kognitive Dissonanz vermieden werden kann) / Rückzug, ggf. Kontaktreduktion oder (innere) Abwertung des Gegenübers, Streit, schlimmstenfalls Kontaktabbruch (10/n)
2. Maßnahmenkritiker:
(1) Sorge wg. Grundrechtseinschränkungen, Angst vor einer zunehmend übergriffiger werdenden Regierung und repress. Maßnahmen; Misstrauen gggü. den “Mainstreammedien” aufgrund einer (insb. zu Beginn) sehr unkritischen und einseitigen Berichterstattung (11/n)
(2) Sicherheit/Kontrolle wiederherstellen durch intensive Suche nach Informationen (kritisch berichtende “alternative” Medien, Interviews mit anderen Fachexperten, Lesen von wissenschaftlichen Publikationen etc.) (12/n)
(3) Kognitiver Tunnel:
a) Fokus auf Kollateralschäden➡️Mitgefühl mit den Maßnahmenopfern, Gefühl der moralischen Überlegenheit; aufgrund der persönlichen Situation möglicherweise objektiv eher von den Maßnahmen betroffen (z.B. von Kita- und Schulschließungen) (13/n)
b) Ständiges Konfrontiertsein mit der Diskrepanz zwischen den recherchierten Informationen bzw. dem eigenen Wertesystem und dem gängigem Narrativ (Jeder Mensch ist eine potentielle Gefahr, Schulen sind Pandemietreiber, Lockdowns sind alternativlos, Erlösung durch Impfung) (14/n)
➡️Fassungslosigkeit, Angst, Hilflosigkeit, Wut bis hin zu Verzweiflung und Paranoia. Bei Konfrontation mit den Corona-Toten: Abwehr mit dem (durchaus zutreffenden) Argument der nicht vorhandenen Übersterblichkeit oder dem sehr hohen Durchschnittsalter der Verstorbenen (15/n)
Es besteht in meiner Warnehmung mehr emotionaler Zugang zu dem Leid von Maßnahmenopfern als zu dem Leid der Angehörigen von Corona-Opfern ➡️Unverständnis/Ärger über das Handeln der Regierung ➡️ weiter bei (2) (16/n)
➡️Aufrechterhaltung von Angst, Hilflosigkeit und Wut durch teils obsessive Informationssuche, permanente Beschäftigung mit dem Thema, Vernachlässigung anderer Lebensbereiche
(4) Umgangsweisen mit diesen Gefühlen:
a) Austausch mit Gleichgesinnten ➡️ Emotionale Entlastung (17/n)
b)Andere überzeugen wollen
➡️ Enttäuschung und Kränkung, wenn man sich von nahestehenden Personen unverstanden/nicht Ernst genommen fühlt oder abgewertet wird, Gefühl der Entfremdung ➡️ Sarkasmus, Ironie, ggf. (innere) Abwertung des Gegenübers (18/n)
(6)Thema vermeiden ist auf dieser Seite aufgrund von 3b) natürlich schwerer auszuhalten; Diskussion wird eher gesucht, diese ist jedoch oft unkonstruktiv, dann Rückzug oder Streit, schlimmstenfalls Kontaktabbruch (19/n)

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