Was auffällt beim #Relotius-Interview: Die Interviewer scheinen zu glauben, dass all das, was in den psychiatrischen Akten steht, irgendwie einen ehrlichen Eindruck vom Innenleben dieses Mannes gibt. Aber natürlich geht es in der Therapie nicht primär um Wahrheitsfindung.
Psychiater sind nicht dazu da Fakten zu überprüfen, sondern ihren Patienten zu helfen. Nur weil etwas in einer Behandlungs-Akte steht, ist es weder automatisch wahr noch plausibel. Die Grundhaltung in der Therapie ist, anders als im Journalismus, eben nicht der Zweifel.
Klar kann man schreiben: "Laut psychiatrischer Diagnostik erleben Sie dissoziative, psychosenahe und auch psychotische Zustände." Aber das basiert natürlich auch nur auf dem, was Relotius seinem Therapeuten erzählt hat.
Ob Relotius wirklich nicht mehr zwischen Innen-und Außenwelt unterscheiden konnte, weiß auch der Psychiater nicht. Das Innenleben bleibt letztlich unüberprüfbar.
Es fällt vor allem auf, wie entlastend die Geschichte der psychotischen Realitätsverwischung ist - in der das betrügerische Schreiben als Therapie, als Selbstmedikamention verkauft wird. Das ist eine verführerische Erklärung - vielleicht sollten wir ihr gerade deshalb misstrauen
An so viel kann er sich ja angeblich nicht erinnern, aber die Vorwürfe gegen Juan Moreno waren dann sehr präzise. Sein Anwalt hatte damals ja ebenfalls mit sehr kleinteiligen Spitzfindigkeiten argumentiert: Der Frage, ob seine Bürotür jetzt offen war oder nicht zum Beispiel.
Und gibt es irgendjemanden, der die angebliche jahrelange Vorgeschichte psychiatrischer Krankheit von ihm bestätigen kann? Das will er laut dem Interview so geheim gehalten haben, dass niemand davon wusste.
Und die brilliant manipulative Endphase beim Spiegel, in der er Juan Moreno beinahe zu Fall brachte, ist jetzt schon wieder vergessen? Diesem Talent, unwahrscheinliche Aspekte zu einer kohärenten Erzählung zu formen, wird einfach so wieder eine Plattform gegeben.
Es ist ja fast so, als hätten wir nichts dazu gelernt. Schon wieder sitzen die Leser da und haben Tränen in den Augen, dieses Mal nicht wegen syrischer Flüchtlingsjungen, sondern wegen des so innerlich gepeinigten Betrügers.

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