Damit Ihr es nicht machen müsst, habe ich mir mal den neuesten "Gate"-Hashtag angesehen. Es geht um ein sehr kurzes Papier, dem zufolge rund 60 % der PCR-positiv Getesteten (wahrscheinlich) im Zeitpunkt des Tests nicht *mehr* ansteckend waren. 1/12

journalofinfection.com/action/showPdf…
Man befürwortet daher eine stärkere Berücksichtigung des sog. "Cycle-threshold"-Wert, um die tatsächliche Infektiosität besser erfassen zu können. Dieser Wert spiegelt wider, wie viel "Virenmaterial" in der Testprobe enthalten war (je höher ct, desto weniger Material). 2/12
In einer begleitenden PM wird darüber hinaus formuliert, die Zahl der "positiv Getesteten sollte daher nicht als Grundlage für Pandemiebekämpfungsmaßnahmen, wie Quarantäne, Isolation oder Lockdown, benutzt werden.“ 3/12

uni-due.de/2021-06-18-stu…
Diese Schlussfolgerung scheint mir gewagt. Sie differenziert schon nicht hinreichend zwischen den einzelnen Maßnahmen: Eine Quarantäne oder Isolation als individuelle Maßnahme wird natürlich schwer begründbar, wenn der Betroffene nicht mehr infektiös ist. 4/12
Für allgemeine Infektionsschutzmaßnahmen wie einen Shutdown, bei denen auf die Gesamtinzidenz abgestellt wird, gilt das aber nicht. Denn insoweit bleibt es dabei, dass selbst nach den Studienergebnissen 40 % der PCR-positiv Getesteten höchstwahrscheinlich infektiös sind. 5/12
Hier könnte man höchstens über eine Anpassung der entsprechenden Grenzwerte nachdenken (muss man mE aber auch nicht wirklich, da die Grenzwerte ohnehin schon recht hoch angesetzt sind und durch die zunehmende Impfquote faktisch zunehmend "sinken"). 6/12
Die Schlussfolgerung erscheint mir aber auch darüber hinaus nicht überzeugend. Denn auch ein hoher ct-Wert spricht eben nur für eine geringe Infektions*wahrscheinlichkeit*. Es bleibt daher auch insoweit ein Infektionsrisiko, gerade bei hoher Infiziertenzahl. 7/12
Damit im Zusammenhang steht, dass eine abklingende Infektion und eine mit nur geringer Virenmenge zwar Gründe für einen hohen ct-Wert sein können. Andere Gründe sind aber z. B. schlechte Probenentnahmen und ein besonders schwerer Krankheitsverlauf. 8/12 labor-gaertner.de/fileadmin/user…
Darüber hinaus übersieht die Schlussfolgerung in der PM m. E. auch, dass selbst nicht mehr infektiöse Personen sich ja offensichtlich vorher irgendwo infiziert hatten. Dieses (vergangene) reale Infektionsgeschehen wird in dem Inzidenzwert abgebildet. 9/12
Dass dieser Aspekt übergangen wird, ist erstaunlich, da in der PM zur Bewertung der Pandemielage stattdessen "Angaben zur Intensivbetten-Belegung sowie zur Mortalität" genannt werden. Beide Angaben bilden das Infektionsgeschehen mit einem deutlich *höheren* Zeitversatz ab. 10/12
Im Übrigen zeigt eine reale Betrachtung der Entwicklung der Krankenhausbettenbelegung, dass der klassische Inzidenzwert das Infektionsgeschehen ganz ähnlich abbildet, also diese Angaben kaum einen Mehrwert bringen. 11/12

blog.wwwelt.de/2021/04/24/der…
Fazit: Auch das neue "Gate" ist m. E. offensichtlich kein Gate. Die ihm zugrundeliegende Studie kann Anlass sein, die Möglichkeiten zum "Freitesten" bei individuellen Schutzmaßnahmen (Quarantäne) zu verbessern. Mehr aber auch nicht. 12/12
PS 1: Die Praxis kommt dem wohl bereits nach, berücksichtigt den ct-Wert also bei Entscheidungen über individuelle Maßnahmen:

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