#IchBinHanna und trotz früher fachlicher Erfolge im Studium habe ich mich als Arbeiter*innen-Kind lange nicht getraut über eine Promotion nachzudenken.

Trotz (anfänglicher) BAföG-Förderung brauchte ich, um mir in einer Uni-Stadt Leben und Wohnen leisten zu (1/x)
können, immer auch Nebenjobs. Nach Ende der BAföG-Förderung waren es 3-5 Jobs je Semester. Von Stipendien hatte ich als #ErsteAnDerUni ohnehin zu spät erfahren, um mich noch zu bewerben. Ab meinem zweiten Semester arbeitete ich u.a. als (2/x)
Stud. Hilfskraft an meiner Uni. Dort habe ich früh gelernt, wie prekär an deutschen Hochschulen (fast) alles jenseits der Professur ist. Zeitweise wurde ich von einem Vorgesetzten (Lehrstuhlinhaber) an 1 externen Privatdozenten „verliehen“. (3/x) Der hatte ja keinen Ressourcen.
So lernte ich lange vor meinem Abschluss, dass ich als Tutorin doppelt so viel verdiente wie der promovierte, habilitierte Mensch, dem ich assistierte. An anderen Hochschulen lehrte er häufig ohne jeden Lohnausgleich, um seinen Status als Privatdozenten nicht auch noch (4/x)
zu verlieren. Der war ja immerhin eine Chance auf Einkommen und irgendwelche Brotkrumen wissenschaftlicher Karrieren. Durch meine Nebenbeschäftigungen studierte ich länger und bekam die unglaubliche Fluktuation an meinen drei Instituten mit (5/x)
Als Hilfskraft war ich irgendwann auch deshalb so „wertvoll“ für mein Institut, weil ich länger da war als der gesamte Mittelbau. Nach einiger Zeit arbeitete ich immer häufiger neue Vorgesetzte ein, indem ich ihnen meine Aufgaben, unsere Studiengänge und Gremienstrukturen (6/x)
erklärte. Manche (direkte) Vorgesetzte blieben nur ein halbes Jahr, da kein längerer Vertrag für sie zu bekommen war. Die Details der Gründe habe ich nicht immer erfragt/mitbekommen. Über mein hochschulpolitisches Engagement lernte ich mehr über die Systematik dahinter. (7/x)
Meine Vorgesetzten hatten Mühe mich so lange zu beschäftigen, wie sie es sich gewünscht hätten. Denn in Hessen regelt das Hochschulgesetz, dass studentische Hilfskräfte maximal sechs Jahre befristet beschäftigt werden dürfen. Meine frühere Hochschule bemühte sich zudem (8/x)
seit jeher diese Frist noch zu unterlaufen. (Mit denselben vorgeschobenen, rigorosen Vorstellungen von „Generationen-Gerechtigkeit“, wie wir sie schon vom #WissZeitVG kennen.) Zunehmend wunderte ich mich über euphorisch Promotionen planende Kommiliton*innen, meist cis-m. (9/x)
Zwar wurde mir direkt mit der ersten Hausarbeit in der Philosophie dank Bestnote eine Promotion nahegelegt und Betreuung in Aussicht gestellt, doch war mir längst klar, dass die Finanzierung derselben noch ungewisser war als jene für das Studium und auch danach keine (10/x)
auch nur halbwegs planbaren, sicheren oder wahrscheinlichen Berufsaussichten bestünden. Auch diese Ungewissheit (verstärkt natürlich durch 10.000 € Bafög-Schulden) zögerten meinen Abschluss und die Entscheidung zur Promotion bis zum Auslaufen meiner letzten (11/x)
studiumsbegleitenden Stelle hinaus. Meine Abschlussarbeit brachte mir erneut ein Betreuungsangebot ein - wie zu erwarten wieder ohne wirkliche Stellenaussicht. Ganz vielleicht wäre mir etwas Glück bei unabsehbaren Gelingenschancen eine Stelle einzuwerben. Dafür wäre ich (12/x)
die „erste Wahl“. Ob der Antrag gestellt wurde, noch läuft oder inzwischen anderweitig besetzt wurde, habe ich nicht erfahren. Viele Zufälle und meine trotz aller Hürden, die meine eigene Biographie birgt, enorm privilegierte Position führten mich in ein Projekt das mir(13/x)
direkt für 2,5-3 Jahre die Gelegenheit gibt zu promovieren. Wie ich in den letzten Wochen durch #IchBinHanna bestätigt gefunden habe, bin ich damit enorm gut untergekommen, wenngleich das höchstens knapp die halbe Regel-Promotionszeit meiner Fachrichtung abdeckt. Diese (14/x)
halbe Stelle jedoch (und ja, wirklich 50%, auch wenn es schon lange heißt 65% sei ja jetzt der neue Standard für halbe Stellen..) ist nun gleichzeitig Privileg und weiterhin extrem prekär, erstrecht bei gleichzeitig gestarteter Rückzahlung der BAföG-Schulden. Der Druck (15/x)
ist von Beginn an enorm. Ständig das Gefühl, möglichst schon drei Bücher publiziert, auf Konferenzen gesprochen und Drittmittel eingeworben haben zu müssen, bevor ich überhaupt mein Promotionsvorhaben im Detail entwerfen durfte, führt zur täglichen Zerreiß-Probe. (17/x)
Und schon vor der Aufnahme dieses Vorhabens war mir bereits vielfach attestiert worden, dass ich ohnehin zu alt bin, um in diesem System noch irgendwo hin zu kommen. #wissenschaftlicherNachwuchs #ewigjung und doch immer schon zu alt. (18/x)
So weiß ich seit meinem 2. Semester (da übernahm ich nämlich in der Germanistik für eine geschätzte Kollegin, die in Richtung Verlagswesen absprang), dass in diesem System eigentlich niemals Platz für mich ist, ich eher als Störfaktor, denn als produktives Mitglied der Uni (19/x)
oder Wissenschaftslandschaft angesehen werde und - wenn ich es mir nicht leisten kann ständig unbezahlt zu arbeiten - besser gleich weiterziehe. Mit meinem Hintergrund kann jede Beschäftigungslücke meinen persönlichen Dropout aus der #LeakyPipeline bedeuten. (20/x)
„Leider“ bin ich irgendwie gut in und interessiert an dem, was ich mache. Und glücklicher- und privilegierterweise habe ich ein Projekt gefunden, das genau meine thematischen Interessen trifft - Ich hätte schließlich alles annehmen müssen, das mir erlaubt hätte zu bleiben. (21/x)
Seit #IchBinHanna meine Timeline füllt, fühlt sich nun alles noch aussichtsloser an, als es mir ohnehin immer erschien. Und es raubt mir täglich Kraft, Motivation und nachts den Schlaf. Ich weiß wirklich nicht, wie man das für ein irgendwie belastbares und (22/x)
innovationsfähiges System halten kann. Und leider bin ich längst nicht mehr naiv genug, um nicht zu verstehen, dass die Entscheidungsträger*innen genau wissen, was sie da tun, stützen und verfestigen. Und das ist nicht minder belastend… #HannaIstMüde #HannaIstMütend (23/x)
Und natürlich längst schon bei der GEW. #HannaIstBeiDerGEW (24/24)

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