1. Gerade die angegebene Stelle beweist, daß es sich um keinen BEGRIFF (ob nun marxistisch od. nicht) handelt.
2. Vielmehr handelt es sich um einen bloßen Ausdruck, mit dem Lenin versuchte, ein bestimmtes Phänomen (wie es ja auch in dem verlinkten Tweet heißt) zu "umschreib[en]"
3. Lenin griff an der angegeben Stelle (Imp. & die Spaltung des Soz. [1816]) einen Ausdruck auf, den Engels bereits 1891 verwandte. Welches Phänemen Engels seinerzeit meinte, ist nicht ganz klar: vllt. eine bestimmte STRÖMUNG in der britischen Gewerkschaftsbewegung; vllt. aber
auch die britische Liberale Partei, die - vor Gründung der Labour Party - von fielen britischen Lohnabhängigen gewählt wurde. - Fundstelle für das Engels-Zitat:
Jedenfalls die Labour Party konnte 1891 noch nicht gemeint gewesen, denn diese
4. Den gleichen Ausdruck dann 1916 auf sozidemokratische / sozialistische Parteien auf dem europäischen Kontinent zu münzen, die sich in der Zeit von dem abwandten, was sie bis bis dahin unter "Marxismus" verstanden, zeigt, daß es sich um keinen BEGRIFF handelt.
5. Zu einem
Begriff würde eine Definition existieren, die dem Wort eine präzise Bedeutung zur Bezeichnung eines bestimmten / klar abgegrenzten Phänomens machte.
6. Eine solche Definition gaben aber weder Engels noch Lenin; sondern sie verwandten den Ausdruck als lose / eher metaphorische
Bezeichnung auf ein eher diffuses Spektrum an mehr oder minder unerfreulichen Phänomen im Bereich & Umfeld der ArbeiterInnenbewegung.
6. Lenins genannte Schrift 1916 ist auch keine theoretisches Werkes, in der Art von "Was tun?", "ME", "Staat & Rev." od. der "Kinderkrankheiten"-
Schrift, sondern ein ziemlich kurzer politischer Gelegenheitstext.
7. Mir ist zumindest nicht bekannt, daß der Ausdruck für Lenin später irgendwo theoretische Bedeutung bekommen hat (nach alledem, was ich gelesen habe, erscheint mir das ziemlich unwahrscheinlich).
8. Zu
Terminus von zumindest zentrale STRATEGISCHER Bedeutung wurde der Ausdruck - zum guten oder schlechten - erst für den Trotzkismus.
9. Auch im Trotzkismus changiert die Bedeutung des Terminus zwischen einem
+ mal mehr klassen-soziologischen Verständnis (was für Leute sind in der fraglichen Parteien organisiert; was für Leute wählen die fragliche Partei?)
+ mal mehr organisations-soziologischen Verständnis
(Verbindung zu den Gewerkschaften)
+ mal wiederum mehr historischen Verständnis (historische Wurzeln in der ArbeiterInnenbewegung).
10. Wörtlich genommen ist der Ausdruck ein Widerspruch in sich: Ein und dasselbe Phänomene kann gleichzeitig sowohl "bürgerlich" als auch
"Arbeiter-" sein.
11. Diese Widerspruch wird in der gängigen trotzkistischen Verwendungsweise durch 'überbrückt' / 'verdeckt', daß
+ "bürgerlich" mehr im programmatisch-funktionelle Sinne (die Partei nutzt dem Kapitalismus)
und
+ "Arbeiter-" mehr im historisch-soziologischen
Sinne (hat[te] irgendetwas mit ArbeiterInnen / ArbeiterInnenbewegung zu tun) verwendet wird.
12. Das ungeklärte Problem - und deshalb fehlt es an einem Begriff - ist gerade das VERHÄLTNIS von programmatisch-funktioneller und historisch-soziologischer Ebene:
Wie kommt es, daß sich die Lohnabhängigen in aller Regel NICHT in sich als revolutionär-kommunistisch verstehenden Organisationen (der verschiedensten Schattierungen) organisieren; ihnen in der Regel nicht einmal ihre Wahlstimme gegeben;
sondern ideologisch und elektoral mit
sozialdemokratisch, zentristischen, sozialkonservativen und neoliberal gewendeten ex-sozialdemokratischen und manchmal auch mit linksliberalen Parteien verbunden sind?
a) Die Lohnabhängigen sind heute eher MEHR als 1916 und 1920 in die kapitalistischen Verhältnisse und deren politischen Überbau
integriert. Ob dies mit dem Begriff "Vertrauen" gefaßt werden kann, mag dahinstehen.
b) Wenn auch nicht aus dem Grund, "keine Parteien mehr gib[t], denen nennenswerte Teile der Arbeiterklasse ihr Vertrauen schenken", halte ich den Ausdruck "bürgerliche Arbeiterpartei" - wie
ausgeführt - aus anderen Gründen für wenig aussagekräftig.
c) Ganz unabhängig von dem umstrittenen Ausdruck bleibt die von Lenins aufgezeigte Notwendigkeit, in Bezug auf bürgerliche Wahlen Fragen des Kräfteverhältnisses und der Taktik etc. zu berücksichtigen: