Phagentherapie
Viren gegen antibiotikaresistente Bakterien einzusetzen, ist ja inzwischen ein weithin bekannter und erforschter Ansatz. Es gibt allerdings mehrere Gründe, weshalb man Bakteriophagen immer noch nicht routinemäßig in der Medizin einsetzt.
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#Virenadventskalender
Das zentrale Problem ist, dass Phagen etwas grundlegend anderes sind als die klassischen Antibiotika, und deswegen auch komplizierter in der Anwendung. Antibiotika sind breit wirksame chemische Waffen, die kippt man drauf und es ist Ruhe. Das geht bei Phagen nicht.
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Phagen sind spezifisch für ein bestimmtes Bakterium. Das ist einerseits gut, weil man so die nützlichen Bakterien in Ruhe lässt. Andererseits muss man genau rausfinden, welches Bakterium am Werk ist, und das macht zusätzlichen Aufwand und kostet Zeit.
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Außerdem ist die Analytik nicht vorhanden, um Bakterien im Klinikalltag routinemäßig zu identifizieren und zu charakterisieren. Wie gesagt, Antibiotika kann man draufkippen, ohne allzu genau hinzugucken. Deswegen brauchte man die Analytik nicht, und das rächt sich jetzt.
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Bakteriophagen verhalten sich außerdem im Körper viel komplizierter. Klassische Antibiotika verbreiten sich berechenbar nach den Gesetzen der Physik und Chemie. Phagen dagegen stehen ihrem Zielorganismus in einer komplexen Räuber-Beute-Dynamik.
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Das erzeugt Effekte, die man von klassischen Medikamenten nicht kennt. Zum Beispiel ist bei Phagen unter Umständen der Zeitpunkt der Behandlung kritisch. Wenn man die Phagen zu früh gibt, scheitert die Therapie vielleicht, weil zu wenig Zielorganismen da sind.
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Dann ist die Frage, wie man die Phagen einnimmt. Klassische Antibiotika kann man als Tabletten schlucken und sie verteilen sich im Körper. Phagen scheinen das nicht oder kaum zu tun, wenn man sie schluckt oder einatmet. Das heißt, sie sind viel aufwendiger zu verabreichen.
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Und dann muss man noch gucken, ob die Phagen es auch in die gewünschten Organe schaffen, und in welchem Ausmaß. Relativ kleine Moleküle wie eben Antibiotika wabern durch die meisten Gewebe durch, aber Phagen sind so groß, dass sie sich viel schwerer verteilen.
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Außerdem deuten Untersuchungen darauf hin, dass Phagen im Blut aktiv weggefangen werden, vermutlich durch Fresszellen des Immunsystems, aber womöglich auch durch andere Bestandteile des Blutes. Was da genau passiert und wie schnell es geht, ist weitgehend unklar.
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Vergrößert wird das Problem dadurch, dass Bakteriophagen eine sehr diverse Gruppe sind: Phage ist nicht gleich Phage. Die Dinger können sich im Bezug auf die oben genannten Faktoren sehr unterschiedlich verhalten, je nachdem, was für ein Virus das tatsächlich ist.
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Das bedeutet; es ist zwar wahrscheinlich, dass Phagen in Zukunft häufiger zu Einsatz kommen. Speziell bei leicht zugänglichen Infektionen mit bekannten Keimen (Pseudomonas bei Verbrennungen z.B.) dürfte sich die Phagentherapie etablieren. Aber eben in Nischenanwendungen.
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Eine Routinetherapie für bakterielle Infektionen nach dem Muster klassischer Antibiotikatherapien werden Phagen aber in absehbarer Zeit nicht werden. Und vielleicht nie. Die Phagen zeigen vor allem, was für eine grandiose und unersetzliche Erfindung die Antibiotika sind.
12/13
Alle bisherigen Türchen in meinem #Adventskalender rund um Viren und ihre Besonderheiten findet ihr hier auf Twitter unter dem Hashtag #Virenadventskalender.

In meinem Blog gibt es außerdem eine übersichtliche Liste aller Beiträge und Viren.
13/13
scilogs.spektrum.de/fischblog/der-…

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22 Dec
Gelbfieber
Mit einer Sterblichkeit zwischen ca. 5 und 10 Prozent ist Gelbfieber weniger tödlich als zum Beispiel Pocken oder Ebola. Aber historisch ist es eine der bedeutendsten Seuchen überhaupt, und mögliche Quelle verheerender zukünftiger Epidemien.
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#Virenadventskalender
Das Gelbfiebervirus wird von Stechmücken übertragen, stammt vermutlich aus Zentralafrika und erlangte seine Bedeutung durch den Kolonialismus. Gelbfieber war neben Malaria der Grund, weshalb es vor Ende des 19. Jahrhunderts keine größere europäische Präsenz in Afrika gab.
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Erst ab etwa den 1870er Jahren waren Medizin und Seuchenkontrolle weit genug fortgeschritten, um den "Wettlauf um Afrika" zu ermöglichen. Um 1820 starben monatlich etwa 5% der europäischen Truppen durch Fieber, am Ende des Jahrhunderts nur noch etwa ein Zehntel davon.
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Read 14 tweets
21 Dec
Wuhan Spiny Eel Influenza Virus (WSEIV)
Ihr kennt die Vogelgrippe. Ihr kennt die Schweinegrippe. Hier kommt die Fischgrippe.

Ein Problem der Virenforschung ist, dass man zwar viel über Viren bei Säugetieren weiß, aber wenig über den Rest der Tierwelt.
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#Virenadventskalender Image
Ein Grund dafür ist ist, dass Tiere, die uns ähnlich sind, auch ähnlichere Viren haben. Und die sind für uns schlicht relevanter.
Allerdings ist der Umkehrschluss, dass Viren von evolutionär entfernten Gruppen nichts mit uns zu tun hat, nicht immer korrekt. Siehe WSEIV.
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Dieses Virus tauchte 2018 bei einer groß angelegten Fahndung nach RNA-Viren in Fischen, Amphibien und Reptilien auf. Dabei kamen diverse auch von Menschen bekannte Viren zum Vorschein, zum Beispiel Filoviren, bekannt von Ebola, und Coronaviren.
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nature.com/articles/s4158…
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19 Dec
Virophagen
Auch das gibt es: Viren, die andere Viren befallen. Analog zu den Bakteriophagen nennt man diese "unmöglichen" Kreaturen Virophagen. "Unmöglich" deshalb, weil Viren nur Erbgut mit etwas Verpackung sind - es gibt da schlicht nix zu infizieren.
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#Virenadventskalender
Virophagen befallen deswegen auch nicht die Viruspartikel anderer Viren. Sie attackieren vielmehr das so genannte Viroplasma, eine spezielle Struktur, die ein Virus in der befallenen Zelle erzeugt, um neue Virusparrtikel zu erzeugen.
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Sie übernehmen also die Virenfabriken anderer Viren. Alle bisher bekannten Virophagen befallen Riesenviren aus der Gruppe der nucleocytoplasmic large DNA viruses (NCLDV) (Siehe Türchen 5 und 14). Diese Viren bringen einen Teil der zur Vermehrung nötigen Proteine selbst mit.
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18 Dec
Rice Gall Dwarf Virus (RGDV)
Diese Pflanzenseuche verursacht alle paar Jahre Epidemien in Reisfeldern Südostasien. Verbreitet wird sie von Grashüpfern, deren Fressverhalten das Virus mit zwei Tricks zu seinen Gunsten manipuliert.
#Virenadventskalender
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Der Grashüpfer Recilia dorsalis saugt Pflanzensaft aus dem Phloem. Die Pflanze wehrt sich, indem sie Kalzium abgibt. Das stimuliert die Bildung des Moleküls Callose, das die Siebplatten zwischen einzelnen Abschnitten der Leitung verstopft. Dadurch versiegt der Saftfluss.
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Der Grashüpfer wiederum versucht das zu verhindern. Das tut er, indem er mit seinem Speichel Kalzium-bindende Proteine abgibt, die das entscheidende Signal für die Callose-Bildung unterdrucken.
An diesem Punkt greift das Virus ein.
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17 Dec
Baculoviren als Biopestizide
Man kann Viren natürlich auch benutzen, um unerwünschte Organismen zu dezimieren. Zum Beispiel benutzt man Baculoviren, die ausschließlich wirbellose Tiere befallen, um Schadinsekten zu bekämpfen.
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#Virenadventskalender Image
Im Grunde sind Viren die perfekten Pflanzenschutzmittel. Sie sind umweltfreundlicher als chemische Pestizide, reichen sich nicht in der Umwelt an und außerdem töten sie genau die gewünschte Insektenart und keine andere. Man setzt sie vor allem gegen Raupen von Faltern ein.
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Raupen infizieren sich, indem sie mit den Viren kontaminierte Blätter fressen. Deswegen müssen Baculoviren sehr lange auf Oberflächen überleben, und das erreichen sie mit einer besonderen Struktur, die man als Okklusionskörper bezeichnet.
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7 Dec
Extremophile Virren
Selbst in sehr heißen und sauren Umgebungen gibt es Leben - meist Mikroben, die zu den Archaeen gehören, dem dritten Ast im Stammbaum des Lebens. Auch sie werden von Viren befallen, die an die harschen Bedingungen angepasst sind.
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#Virenadventskalender
Die bekannten Viren der Archaeen sind ganz anders als jene von Bakterien, Pflanzen und Tieren. Sie sind geformt wie Flaschen, Tropfen oder Zitronen, und sie müssen extrem stabil sein, damit sie Hitze und Säure überstehen.
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Deswegen besteht ihr Erbgut immer aus doppelsträngiger DNA. DNA ist stabiler als RNA, besonders unter sauren Bedingungen. Zusätzlich sind sie extrem tolerant gegenüber Mutationen. Das Virus zum Beispiel SSV1 verträgt Schäden an der Hälfte seines Genoms.
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