Das wird ein Thread. Weiß noch nicht, wie lang. #OEzdemir und so. Und #Lifestylelinke - auch, wenn ich den Begriff doof finde. 1/x
Cem Özdemir machte über Weihnachten mit einem Zitat von sich reden: er wolle #Ramschpreise für #Lebensmittel abschaffen. 2/x
Das Zitat selbst ist mir eigentlich fast egal. Ich gehe ohnehin davon aus, dass es keine echte Absichtserklärung war, sondern eher ein Aufruf an die Landwirte. "Seht her, i bims, der Cem, und ihr könnt voll auf mich zählen!" 3/x
Wie viel von solchen Absichtserklärungen langfristig übrig bleibt, muss die Zeit zeigen. Erfahrungsgemäß nicht viel. 4/x
Was mich tatsächlich stört ist der abartige Klassismus, der von Seiten einiger vermeintlich Progressiver vom Stapel gelassen wird. Keine drei Kommentare (oder Drukos, Twitterdeutsch) kann man lesen, ohne dass man von dem täglich Billigfleisch fressenden Unterschichtler liest. 5/x
Diese kommen vornehmlich aus der Ecke der ökologisch-Progressiven, also FfF, Veganer, Grüne - ACHTUNG! Ich gehe davon aus, dass es sich eher um laute, unreflektierte Leute handelt, die einfach jedes Argument nehmen, das ihrer Sache zu dienen scheint. 6/x
Es geht mir nicht um die Gruppen als Ganzes. Trotzdem ist es auffällig, dass von dieser vermeintlich links angehauchten Seite so viel klassistische Kackscheiße kommt. 7/x
Vorab: ja, es gibt dieses deutsche Phänomen, dass wir vergleichsweise wenig Geld für Ernährung ausgeben. Das hat auch strukturelle Gründe, denn Deutschland hat eine niedrige #Eigentumsquote, mit etwa 50 Prozent und schlechte #Verteilungsverhältnisse bei #Vermögen. 8/x
Außerdem hat es kulturelle Gründe. In Deutschland gibt es in vielen Regionen ausgeprägte Sparsamkeitskulturen. Dies ist vermutlich ein Derivat des Calvinismus, der sich mit Teilen der stark in unserer Identität verankerten preußischen Kultur gut verträgt. 9/x
Kernwerte im #Calvinismus waren Fleiß und Sparsamkeit (weggefallen ist der irrationale schicksalsergebene Gottesglaube). 10/x
de.wikipedia.org/wiki/Calvinism…....
Da man in Deutschland aber sonst sehr geregelte Verhältnisse hat - Miete, Strom, etc. sind fix und nicht beliebig anpassbar - bleibt als Stellschraube für Sparsamkeit Vielen nur die Ernährung. 11/x
Allerdings ergibt sich hier schon ein zwingender Fehlschluss aus dem Vorwurf einiger privilegierter Progressiver gegen die Unterschicht - denn überhaupt am Essen sparen zu können, muss man sich erstmal leisten können. 12/x
In Deutschland haben wir etwa 13.000.000 Arme. Die Schicht darüber teilt sich ein Milieu mit Working Poor.
Quelle: der-paritaetische.de/.../armut.../a…
Diese Menschen haben überhaupt keinen Spielraum für irgendwelche Sparsamkeiten. Sie können nur das kaufen, was sie sich leisten können. 13/x
Ja, Fleisch ist es dann nur in der Billigvariante - wenn es überhaupt Fleisch gibt. Die Tomatensauce, die eine Woche hält, ist da schon oft wahrscheinlicher. Der Billigfleisch-auf-Webergrill-Deutsche ist nicht Teil dieser Unterschicht, denn er hat die Wahl. 14/x
Der klassistische Vorwurf verwechselt also die Milieus. Was allerdings aus Sicht einer stark privilegierten Mittelschicht nicht verwundert. Von dort oben schauen die halt alle gleich aus. 15/x
Natürlich kann man FfF, die Grünen oder die vegane Bubble nicht einfach über einen Kamm scheren, allerdings lassen sich schon ganz gut Ableitungen aus den vorhandenen Informationen machen. Bio- und vegane Ersatzprodukte sind teuer (Quelle: de.statista.com/.../preisaufsc…), ... 16/x
und die Wählerschaft der #Gruenen gehört zu den wohlhabendsten Schichten in Deutschland.
Das bedeutet nicht, dass das böse Menschen sind. Das bedeutet aber, dass sie mit ökonomischer Benachteiligung keine Erfahrungen haben. 17/x
Und nein, so etwas wie "hochgearbeitet" gibt es in Deutschland statistisch gesehen fast nicht.
Auch FfF nehme ich vorrangig als Gruppe recht privilegierter junger Menschen aus gut situierten Haushalten wahr. Das ist kein moralischer Vorwurf, nur eine Feststellung. 18/x
Diese Gruppen haben mit den #Armen im Land nahezu nie Kontakt, bestenfalls wenn Abends der #Lieferando-Fahrer klingelt. Sie kennen nicht deren Alltag, nicht deren Kosten und Einnahmen, nicht deren Lebenswirklichkeit. 19/x
Sicher, als progressive Menschen haben viele von denen bestimmt schonmal was gegen #Armut getwittert und finden das theoretisch auch voll doof, aber das Bild, das sie haben, ist dennoch extrem verzerrt. 20/x
Die meisten Progressiven haben bestimmte Ziele, für die sie vorrangig streiten. Niemand kann sich um alles kümmern. Das ist in Ordnung, so lange eine gewisse Solidarität zu anderen progressiven Themen zu erkennen ist. 21/x
Was mir aber seit einigen Jahren immer wieder begegnet, sind monothematische Linke, Teilzeitlinke, die ihr Lieblingsthema aus Eigeninteresse in Debatten voranzanken wollen. 22/x
Das kann dann die feministische Journalistin sein, die sich wegen ihrer eigenen Erfahrungen im gut betuchten Mittelschichtjob für ihr Thema stark macht (durchaus berechtigt, übrigens), aber an der nächsten Ecke rassistische oder klassistische Bemerkungen macht. 23/x
Oder eben der Veganer, der zu viel neoliberale Sauce auf dem Soyasteak hatte und so stark an die menschliche Selbstwirksamkeit glaubt, dass er sich strukturelle Beschränkungen nicht vorstellen kann,... 24/x
weil er es als ziemlich reicher Typ mit gutem sozialem und Bildungskapital (de.wikipedia.org/wiki/Kapitalso…) ja geschafft hat, seine Ernährung umzustellen. Aus mehrdimensionaler Privilegiertheit ergeben sich halt Möglichkeiten, die andere so nicht haben. 25/x
Auch das ist kein moralischer Vorwurf, wie er gern aus der rechten Ecke kommt, sollte aber gemäß dem linksliberalen Lieblingssatz "Check your privilege" auch bei sich selbst ab und an überprüft werden. 26/x
Bei dieser Art Linker erkenne ich auch immer wieder einen unfassbaren Moralismus-Drall. Sachargumente sind selten.
Und man greift gern nach jedem Strohhalm. 27/x
Özdemir spricht in seinem Zitat von teureren Lebensmitteln und vergleicht Motor- mit Salatöl. Der Begriff Tierwohl fällt nur in einem Nebensatz. Er sagt also übersetzt: "Ich möchte Lebensmittel teurer machen." 28/x
Die oben genannten gestolperten Progressiven machen aber daraus "Er will Tierleid beenden!" Das kommt Özdemirs Aussage aber nur ein bisschen nahe. Denn er sagt "Lebensmittel", nicht "Fleisch". 29/x
Arme und ihre Alliierten, die mahnend kommentieren, weil sie die Idee, dass Menschen sich zwischen Essen oder Heizen entscheiden müssen nicht so geil finden, und die sagen, dass man die ökologische Wende nur hinbekommt, wenn man den sozialen Aspekt nicht außer Acht lässt, 30/x
bekommen dann in moralischer Überheblichkeit zu hören, sie würden ein Thema gegen das andere ausspielen.
Was nicht stimmt. Özdemir tut das. Diejenigen, die ihm zustimmen, tun das. Die Armen versuchen nur, Lebensnotwendiges zu verteidigen. 31/x
Da hilft auch kein wohlfeiles "Wir müssen alle Opfer bringen", während man sein veganes Schnitzel im Elektro-SUV verspeist. Moral hat noch nie irgendein Problem gelöst. Und wer nicht weitere Nichtwähler*innen, ... 32/x
schlimmer, AfD-Hirngestolperte haben möchte, kann sich das Ausblenden sozialer, empirisch messbarer Realitäten nicht leisten. Zudem belegen Studien, dass es eine starke Korrelation zwischen Reichtum und CO2-Ausstoß gibt - den Armen wollen wir aber die Lebensmittel teurer machen.
Quelle: kontrast.at/co2-ausstoss-v…

34/Geht noch weiter
Dennoch scheint sich ein neuer wohlfeiler und wohlhabender #Klassismus ausgerechnet aus der progressiven, wie weiter oben erwähnt aber auch wohlhabenden Ecke zu formieren. 35/x
Wir werden in den nächsten Jahren Eigentümer mit Solardächern erleben, die ihre Bio-Wurst kauend den Klimawandel und Tierleid den Armen in die Schuhe schieben wollen - obwohl historisch gesehen sie selbst verantwortlich waren. 36/x
Und bevor sich hier Menschen zu sehr über meine Zuspitzungen aufregen:
1. Ich bin sauer.
2. Ich bin zurecht sauer.
3. Ich gehöre selbst zu den linksgrünversiffen Multikultiökospinnern
4. Ich bin (leider in seltenen Fällen rückfälliger) Veganer - trotz kleinem Einkommen. 37/x
Darum kann ich das verdammt nochmal beurteilen, dass das nicht jeder kann. Dafür müssen alle Rahmenbedingungen stimmen.
Und eine Lösung? Eigentlich ist die nicht so schwierig. 38/x
Eine Rückabwicklung der Agenda 2010, wieder einen Kündigungsschutz installieren, der den Namen verdient, Hire & Fire unter Strafe stellen (Ausschluss von der Vermittlung durch die ARGE z.B.), 39/x
Mindestlohn hoch (eigentlich auch mehr als 12 Euro, das gleicht die Verluste durch die ersten zehn Agenda-Jahre nämlich nicht aus), strenge Gesetze für Tierhaltung und verdammt nochmal Gesetze gegen solche Fast-Sklavereien, wie Tönnies sie macht, 40/x
mal Kartellgesetze, die in der Lebensmittelindustrie wirklich die Marktmacht überwachen und End- wie Zwischenhändler in ihrer Macht einschränken - das wären ein paar Möglichkeiten, die halt zusammen kommen müssten. 41/x
Man kann auch über ein BGE reden, es gibt da sicher noch andere gute Ideen.
Aber einfach nur Preise hoch, ohne Ausgleich, und dann die Armutsbetroffenen aus einem trunkenen liberalen Weltbild heraus noch klassistisch beleidigen, sorry, Kinder, das geht nicht.
/Feierabend

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