Der Film "Raus aus der Prostitution" (SWR 2022) von Katja Schupp ist eine Heldenreise. Eher eine Heldinnenreise. Denn Protagonistin Nadines Umstieg von Prostituierter (Selbstbezeichnung) zu Einzelhandelskauffrau ist Autorin Schupp "helfend" beteiligt./1
g.co/kgs/vAzPLh
Disclaimer: Nadines Story könnte auch in der Umstiegsberatung bei @hydra_berlin stattgefunden haben. Ihre Erfahrungen beim Umstieg verdienen Anteilnahme & Respekt. So zeigt der Film viele Hürden, die auch die Sexarbeitsbewegung kritisiert. Leider geht's hier nicht um Kritik./2
Die versprochene Quintessenz:
Schupp und der SWR reproduzieren Sexarbeitsfeindlichkeit, Gemeinplätze und Stigma. Sowohl wie Schupp Fragen stellt, der Spannungsbogen, die "Expertinnen" als auch die Kommentare der Autorin zeugen klar von einer sexarbeitsfeindlichen Perspektive./3
Nadine ist eine Ex-Kollegin und spricht für sich. Auch wenn ich ihr Resümmee, Prostitution (P) gehöre verboten, nicht teile, sind viele Probleme, die sie benennt real. Ich ordne sie anders ein, aber ihre Aussagen verdienen als Äußerungen einer Betroffenen von Stigma Gehör./4
Das ist eine MEDIENanalyse: Wenn ich Kritik übe, bezieht die sich nicht auf Nadines (N) Aussagen, sondern auf die Nicht-Kenntlichmachung von Anti-Sexarbeitspositionen der Autorin, die Position der Redaktion, auf die der Film schließen lässt, auf die Erzählweise des Beitrags./5
Schupps Rolle als Co-Heldin ist sehr kritikwürdig. Der SWR setzt schamlos das pathostriefende Trope der Anti-Sexarbeitsbewegung um: Bürgerliche Retter-Ritterin assistiert gefallener Frau bei der Transformation ins normschöne Leben ohne P. Mit Sonne, Partner und Pferd./6
Nicht Nadines Weg trieft von Pathos, sondern die Selbst-Inszenierung von Schupp während sie Nadines Umstieg 5 Jahre lang filmisch begleitet. Streckenweise entsteht der Eindruck, es geht mehr um Schupp als um Nadine. Als 2017 N noch als Prostitutierte arbeitet, kommentiert S:/7
"Dass diese reflektierte Frau sich *einer solchen* Arbeit aussetzt, ich kann und will mir das nicht vorstellen." (13:30) Dieser Satz von Schupp markiert, wie groß ihre Voreingenommenheit ist. Der Bias ist die größte Schwäche des Films und wirft kein gutes Licht auf den SWR./8
"Für mich ist das alles eine völlig fremde Welt. Mir wird klar, ich muss Nadine helfen hier rauszukommen.
Distanzierte Reporterin bin ich schon lange nicht mehr." (15:30) Dieser letzte Satz wäre auch ein guter Titel des Films gewesen.
Schupp stilisiert sich zur Retterin./9
Es gibt andere Schwächen des Films: Den Raum, den Partner Toms Aussagen erhalten: "Auf Dauer hält das kein Mensch aus, eine Freundin zu haben, die in so einem Gewerbe tätig ist.(...) Ich kann mir nicht vorstellen, dass es echte Liebe ist, wenn jemand sagt, mir ist es egal.../10
...wenn meine Freundin in diesem Beruf arbeitet."/10
Er reproduziert so Stigma gegen N und wertet alle liebenden Partner*innen sexarbeitender Menschen ab. Othering ist typisch für Diskriminierung.
Sehr abwertend ist die 👇Duschszene (26:43) mit Kommentar von Autorin Schupp/11👇
Das ist das uralte Stereotyp der "dreckigen H*re", perfide umgemünzt in Anteilnahme und 'Gutsein' von Schupp.
Die Transformation der Prostituierten zu einer menschenwürdigen Arbeiterin geht nicht ohne Rückschläge ab. Der erste Job nach der P ist furchtbar, das Geld knapp./12
Ns Umstieg: Nicht nur Ex-Huren schreiben 40 Bewerbungen, doch Sexarbeiterinnen schreiben sie sicherlich und das ist ein strukturelles Problem. Der Film spricht zwar oft von der "Lücke im Lebenslauf" verschreibt sich aber dem neoliberalen Konzept der linearen Karriere./13
Damit versäumt Schupp die Gelegenheit zu Analyse und Kritik. Stattdessen Pity-Party ohne Ende.
Entschuldigt den Sarkasmus, aber I. Kraus' Auftritt ist kaum mehr als eine Randnotiz wert. Kontext: Diese Traumatherapeutin ist Aktivistin für die Kund*innenkriminalisierung./14
Betroffenenzentrierte, akzeptierende Angebote (Bild zeigt Hydra-Beispiele) kommen nicht vor. Das ist kein Zufall. O-Ton Kraus: "P ist kein Job wie jeder andere. Man kann es nur machen, wenn man sich (...) wegknipst." (35:08) Das zieht sich durch den ganzen Film./15
Nadine wird bei SOLWODI beraten, einem Verein, der sich ebenfalls für die Kund*innenkriminalisierung einsetzt. Dass beide Beratungsinstanzen im Film der sexarbeitsfeindlichen Perspektive angehören, wird nicht erwähnt. Unerwähnt bleiben Projekte wie Madonna, Kassandra, Phönix/16
Jahrzehntelange akzeptierende Beratungsarbeit, teilweise von Sexarbeitenden für Sexarbeitende, wird bewusst und vorsätzlich NICHT dokumentiert. Es passt nicht ins Framing von Schupp und dem SWR. Nadines Geschichte ist leider Tokenism für Repression gegen Sexarbeitende./17
Anmerkungen zur Bildsprache: Remember: Der Film begleitet Ns Umstieg: Zu Beginn herrscht Nacht, dann Nebel, am Schluss trabt Nadine mit ihrem Pony über eine sonnige Sommerwiese.
Schupp verzichtet nicht auf weitere Sterotype: Ns gemachte Nägel zünden eine Zigarette an.../18
bestrumpfte Frauenbeine mit Ziernaht von hinten gehören ebenso zur "Ästhetik". Am Anfang problematisiert der Partner ihre Arbeit, am Ende küssen die beiden sich. Happy Heldinnenreise. Immer wieder blendet der Film die Chatnachrichten zwischen Schupp und N ein./19
Aber Schupp hat N nicht absichtslos begleitet. Die Chats sollen Schupps Support illustrieren. Doch auch ihr Pitch wird ablesbar: Einstieg in den Ausstieg | große Verantwortung | letzter Tag im Bordell. Die Autorin inszeniert sich als große Freundin, Mentorin, Helferin./20
Der Film bleibt letztlich eine Aneignung der Retterinnen-Bewegung, zu denen auch Schupp und der SWR gerechnet werden müssen. Nadines Biografie wird für die Politik eines Prostitutionsverbot instrumentalisiert. Mich schmerzt diese Abwertung einer ehemalige Kollegin. /21
Sexarbeitsfeindlichkeit ist beim SWR nichts Neues. Dass Redaktionen Schupps Pauschalisierungen und Klischees akzeptieren, ist Ausdruck dieser Diskriminierung gegen Sexarbeitende: "Wird Nadine das Licht sehen, auch wenn die Schatten der Vergangenheit nach ihr greifen?" (41:00)/22
Ohne Schupps Kommentare, ohne die Repräsentant*innen der Kund*innenkriminalisierung hätte der Film die sensible Begleitung eines Umstiegs sein und den Finger auf strukturelle Probleme legen können. So ist er die tokenistische Aneignung von Ns Biografie und sexarbeitsfeindlich.
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Sep 24, 2021
Thread:
Alle gemeinsam auf die Straße fürs Klima!
#Klimastreik
Sexarbeiter*innen von @SWAG_Berlin schließen sich dem Klimastreik an, denn er ist unlösbar mit dem Kampf für die Rechte von Sexarbeiter*innen für Entkriminalisierung & Entstigmatisierung verbunden.
Wieso?/1
2020 haben weltweit mehr als 30 Mio. Menschen durch Naturkatastrophen ihr Zuhause verloren. Klimamigration ist die Folge von durch die Erderwärmung ausgelösten Dürren, Wasserknappheit und Missernten. Sog. Klimageflüchtete werden weltweit zunehmen, doch: /2
Klima als Fluchtgrund ist bisher nicht anerkannt. Geflüchtete in Deutschland sind meist geduldet, ohne Arbeits-/Aufenthaltserlaubnis. Informelle Arbeit, z.B. in der Sexarbeit ist ihre Alternative, um dem oft Jahre dauernden, menschenunwürdigen Zustand der Duldung zu entkommen./3
Read 5 tweets
Sep 22, 2021
CN SWERFS
#EndFalseBalance
Nach 2 Veranstaltungen mit SWERFS (TdF/Sisters) meine Gedanken:
Die Debatte ist unzulässig zugespitzt auf ein Entweder-Oder, das den großen gesellschaftlichen Fragen, die das Thema Sexarbeit berührt, nicht gerecht wird. Migration, soz. Ungleichheit../1
...aber auch Gender Pay Gap, Niedriglöhne und Klimakrise. Letzteres verwundert vielleicht? Die Klimakrise ist ein relevanter Faktor für Migration und ein Aspekt, für den der globale Norden massive Verantwortung trägt. /2
Solche Debatten mit den Antis besitzen einen ausgesprochen engen Blickwinkel, der nationalstaatlich und hegemonial geprägt ist. Die SWERFS in solchen Veranstaltungen nutzen der komplexen Lage nicht konstruktiv. Statt starken Meinungen wären gute Ideen und Expertise gefragt./3
Read 9 tweets
Jun 22, 2021
Statistik zu Sexarbeit & Medien.
Das Pressearchiv von @hydra_berlin enthält ~400 Artikel- Davon sind
34: abwertend
83: akzeptierend
50: offen Anti-SW-motiviert
136: neutral
22: beinhalten 400 Otöne von SW
27: lassen Sexarbeitende unkommentiert sprechen
43: skandalisieren SW
/1
Nur in 50 Artikeln sprechen Sexarbeitende für sich, das sind kaum 12.5%.
50 Artikel ergreifen offen Partei für eine "Welt ohne Prostitution" (Infos, welche Medien immer wieder dabei sind folgen!)
Nur ca. 30% der Artikel sind neutral.
20% aller Artikel werten Sexarbeitende ab
/2
Die schlimmsten Exemplare von Fehlinformationen über Sexwork:
Wissen² |@3sat : Skandalös schlechter Beitrag!
Die Talkshow "Mal ehrlich: Gehört das (#Sexarbeit) verboten?" produzierte false balance en masse.
Das Radiofeature "Licht aus..." klaute Otöne von Fachberatungsstellen.
/3
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Jun 14, 2021
Zum "Radiofeature" & Pressemitteilung von @hydra_berlin /Aldona e.V.
Die Antwort des SR von Michael Thieser zitiert die Otöne, die wir alle schon im Feature gehört haben, und meint so den Vorwurf zu entkräften, dass sie aus dem Kontext gerissen sind. 🤡

Die Sozialarbeiterinnen von Hydra und Aldona haben beide unmissverständlich gesagt, dass es ohne Freigabe keine Veröffentlichung geben sollte. Weisfeld behauptet das Gegenteil. Aus dem Manuskript zitiert wird durch (...) deutlich, dass das Zitat unvollständig ist. In der PM ...
...bemängeln wir, dass Weisfeld nicht ausreichend differenziert.
Thieser bescheinigt uns netterweise, dass unsere Mitarbeiterin sehr wohl differenziert. Ja, dass wir das tun, steht ja auch außer Frage. Die PM war ja auch an den SR gerichtet, nicht an uns selbst. 🙄 Im Ernst?!
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Jun 13, 2021
Ich möchte über Unterstützung & Unterstützer*innen reden.
Auch in der Huren-/Sexarbeitsbewegung wird immer wieder Rassismus, toxische Männlichkeit & gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit reproduziert.
Sexarbeitende unterstützen, aber ohne mansplaining aka too much ego, das wärs!
Ist ja ganz nice, wenn Kund*innen sich solidarisieren, aber leicht passiert es, dass die dann die Debatte (mit)bestimmen wollen. Diskussion ist ok, aber als Ally solltest Du akzeptieren, dass Sexarbeitende zuerst gehört werden und maßgeblich die Richtung des Aktivismus vorgeben
NGOs: Danke für Eure akzeptierende Position zu Sexarbeit. Aber damit ist es nicht getan. Der Sexarbeitsbewegung fehlt es massiv an (Geld)Mitteln und Gehör. Gerade die kleinen Kollektive + lokalen Communities brauchen Eure Unterstützung. Nicht nur der große Verband.
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May 27, 2021
Michael Weisfeld ist der Autor des Radio-Features: Licht aus im Bordell. Er recherchierte bei dern Fachberatungsstellen Aldona und @hydra_berlin - er nennt sie nur Vereine - um ein Feigenblatt der "Ausgewogenheit" in einen problematischen und unsachlichen Beitrag einzufügen./1
Auf Nachfrage bei Aldona erfuhr ich, dass das Interview 02/20 stattfand, es wurden 2 Personen befragt. Die Otöne wurden geschnitten und so in ihrer Aussage verfremdet. Weisfeld holte sich bei Aldona weder eine Freigabe der Otöne ein, noch informierte er über die Veröffentlichung.
Auch dass aus einer regionalen Veröffentlichung ein überregionales ARD-Radiofeature geworden war, traf die saarländische Beratungsstelle unvorbereitet.
Insgesamt zielt der Beitrag darauf ab, Prostitution verallgemeinernd abwertend und skandalisierend darzustellen./3
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