Es wurde sich gewünscht, dass ich etwas zu noziplastischen #Schmerzen schreibe. Dabei geht es um Schmerzen, die primär vom Gehirn ausgehen und nicht von peripheren Geweben.
Ich habe schon öfter etwas zu Schadenswahrnehmung (Nozizeption) und den selteneren #Nervenschmerzen
(1/n)
(periphere Neuropathie) geschrieben. Hier muss ich etwas weiter ausholen. Ich nutze dabei größtenteils das Wording der @noigroup und @IASPpain, bin auf einer Linie mit "Manual Therapy Education", es sei aber gesagt, dass es hier kein einheitliches Vokabular gibt, da international
von verschiedenen Ansätzen und Hintergründen geforscht wird. Je nachdem welche Studie bzw Autoren man liest, kann hier einiges durcheinander gehen.
Wir unterscheiden Diagnose (mit Stadium), Klassifikation und Schmerzmechanismus (Pathobiologie). Die Diagnose bezeichnet die
wahrscheinlich nozizeptive Struktur, zB Discopathie bei Bandscheibenschäden. Die Klassifikation zielt auf Bewegungsverhalten. Bei einem movement impairment, ist die Bewegung vor allem im Gelenk steif (hier am Beispiel "frozen shoulder"
) und wer lange verminderte Kontrolle hat, wird auch dekonditioniert. Bei Dekonditionierung geht es um verringerte Belastbarkeit von Strukturen. Periphere
Neuropathien unterscheiden sich durch andere Symptome, für die ich hier keinen Platz habe (😉). Zentral maladaptive Schmerzen aber zeichnen sich vor allem durch Angst vor möglichen Schmerzen bei einer Bewegung aus. In der Anamnese wird häufig bei der Frage nach Schmerzen nicht
Qualität und Quantität des Schmerzes beschrieben, sondern das Leiden. "Das macht mich fertig". Kompliziert wird es, da einige die Neuropathien als Schmerzmechanismus und nicht Bewegungs Klassifikation sehen.
Auf der Seite der Mechanismen haben wir nun mechanische, chemische,
thermische und entzündliche Nozizeption, axonale Neuralgie (gehört zur Neuropathie Klassifikation) und Noziplasmus. Nozizeption ist die ganz normale Schadenswahrnehmung. Um uns noziplastischen Schmerzen zu nähern, fangen wir mit Nozizeption an.
Zellen sind verletzt oder sind
von möglichen Schaden bedroht. Diese geben Entzündungsbotenstoffe ab, die chemisch nozizeptive Nervenfasern reizen. Die leiten elektrisch aufs Hinterhorn des Rückenmarks, dort wird über Interneurone aufs Vorderhorn der Gegenseite verschaltet (das kommt nachher noch mal wieder).
Von da geht es zur vegetativen Steuerung des Gehirns und zum Thalamus. Dieser verschaltet auf Präfrontalen Cortex (Rationale Denke, "Was habe ich, was kann ich machen"), Parietallappen (diskrimanative Sensorik, "was wird von wo gemeldet"), Temporallappen (Langzeitgedächtnis,
"hatte ich das schon mal, was habe ich da gemacht?") und lymbisches System (Emotionen) vor allem mit der Amygdala (Angst, "kann ich Hobby, Beruf ausüben, beeinträchtigt das die Familie, wird das wieder gut?").
Alle Bereiche arbeiten getrennt von einander. Was wir rational
wissen, muss nicht mit dem, was wir fühlen übereinstimmen. Aber die Bereiche verschalten gemeinsam aufs Periaquaductale Grau und den Hirnstamm. Gemeinsam verursachen sie dann je nach Interpretation der Meldungen mehr oder weniger Schmerz.
Wenn das Gehirn nun zur Interpretation
Kommt, "Hey, das ist gefährlich, das ist bedrohlich, ich sollte aufmerksamer sein", geht wieder eine Schaltung vom PAG runter auf Hinterhorn und Interneurone und sorgt dafür, dass mehr Schadensmeldungen transportiert werden und das Gehirn richtig Grund bekommt, Schmerzen zu
erzeugen. Oder, wenn das Gehirn sagt, "nee, das ist jetzt nicht wichtig, das ist nicht bedrohlich", wird auf selben Weg Schadenswahrnehmung gehemmt. Dies wird "Top Down" genannt und ist zunächst normale Schmerzphysiologie.
Spannend wird es nun, wenn dieses System irgendwo auf
dem Weg entgleist. Wenn die Schmerzantwort des Gehirns nicht zu den peripheren Meldungen passt. Gewebeheilung ist ein linearer Prozess, Schmerz verhält sich aber meistens nicht linear. So kann es passieren, dass kleine Gewebeschäden mit spektakulären Schmerz einhergehen oder
ausgeheilte, physiologisch belastbare ehemals verletzte Gewebe immer noch bei Belastung interessante Schmerzen begleiten. Meist geht dies vor allem mit Angst einher.
Nur bei 10% der chronischen, persistierenden Schmerzpatienten sind Bildgebung, Struktur und Diagnose relevant.
Aber bei 2/3 finden wir control impairments (und/oder Dekonditionierung). Und bei 3/4 stehen biopsychosiziale Faktoren im Vordergrund. Mobbing in der Schule, keine Anerkennung auf der Arbeit, Depression, schlechter Schlaf, Katastrophisierung (= das wird nicht mehr gut, ich kann
Das nicht beeinflussen, das wird eh nichts mehr). Leider schließen sich control impairment und Biopsychosiziale oder kognitiv-emotionale Probleme nicht gegenseitig aus. Aber Gruppe A profitiert vor allem von üben, Gruppe B...
... Wir haben in den Industrieländern eine Epidemie
an Schmerzerkrankungen. Weder ärztlich noch therapeutisch oder gesellschaftlich haben wir da in den letzten Jahrzehnten einen guten Job gemacht. Obwohl wir wissen, dass Opiate nur jedem Vierten helfen, steigt die Anzahl der Opiat-Abhängigen.
Die alten Manual Therapeuten und
Masseure wollten das passiv behandeln. Kurzfristige Wahrnehmungsveränderung ist einfach. Das hat nur nicht langfristig funktioniert.
Dann gab es den Trend zu nur Üben und Training, am Besten gar nicht mehr passiv. Das hat auch nicht funktioniert.
Bis vor kurzem war der Trend
"Pain Neuroscience Education". Da wurden die Patienten noch detaillierter als ich oben geschildert habe, über die Vorgänge peripher und zentral aufgeklärt. Auch das hat nicht funktioniert.
Also alles Moppelkotze? Nein, was alleine nicht klappt, kann sich in der Summe bewähren.
Die passiven Techniken sind nicht nur diagnostisch gut, sie können peripher auch durch "bottom up" Prozesse zuverlässig Schadenswahrnehmung (kurzfristig) reduzieren. Sie können auch gestörte Körperwahrnehmung schulen. Die neurologischen Kollegen, die vor allem mit zb
Schlaganfällen arbeiten, wissen as schon seit Jahrzehnten. Die Körperselbstwahrnehmung Interoception gerät aber erst seit etwa 3 Jahren in den Fokus der Schmerzforschung.
Education, Aufklärung wiederum ist wichtig für die "Top Down" Prozesse. Nur wer sein Problem versteht, hat
Die Möglichkeit mündige Entscheidungen zu treffen. Und wer durch Aufklärung, zb Bandscheibenvorfälle heilen in 8 bis 12 Wochen, eine Bandscheibe ist im äußeren Drittel durchblutet und hat normale Heilung, die Angst nimmt - super!
Und beim Üben und Training wiederum werden
Strategien gesucht, dass die Patienten wieder lernen, sich zu belasten und ihrem Bewegungsapparat zu vertrauen.
Nur wenn die Schmerzen nichts mit Bewegung zu tun haben, sind wir Physios raus. Bis dahin können wir, wenn wir Klassifikation und Schmerzmechanismus erkennen, helfen.
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Kleiner Fun Fact, da eine Physio Schülerin und ich gerade über die Plica im Knie MRT Bericht und OP sprechen:
Die allermeisten Operationen sind keine evidenzbasierte Medizin. Vieles zum Rumschibbeln hat sich jemand als anatomisch mehr oder weniger plausibel überlegt, aber quasi
keine OP-Maßnahme ist in ihrer Wirksamkeit zu jeweiligen Beschwerdefragestellungen gesichert. Wenn es mal doppelverblindete Studien mit randomisierten Kontrollgruppen gibt, kommen wie bei Meniskus Eingriffen häufig überraschende Ergebnisse.
Darum wissen wir, dass Meniskus OP
nach traumatischen Rissen tolle Ergebnisse liefert, aber bei Degeneration nicht besser als eine Placebo OP ist. Oder dass subacrominale Dekompression (in den allermeisten Fällen, bis auf sehr wenige spezielle Fälle) nichts bringt und eine Arthrolyse bei Frozen Shoulder sogar zu
(Es folgt teilweise derbe Sprache, es wurde ein Rant gefordert)
Das Ding gibt es unter mehreren Synonymen, in Deutschland ist die Diagnose "Impingement" üblich. Nur leider ist diese Diagnose schon dem Namen nach bestenfalls irreführend,
wenn nicht sogar falsch. Da "trifft nichts aufeinander", da klemmt nichts ein.
Die korrekte international (zur Zeit) gebräuchliche Diagnose lautet #Rotator Cuff Related #Pain, also Rotatorenbezogene Schmerzen. Worum geht es, wie stellt sich dies da?
Die RCRP ist das klassische Schulter Kontroll Problem, in späten Stadien auch Dekonditionierung. Bei einer (arthrotischen) Gelenkstörung ist der Patient schmerzhaft steif und vor allem steif. Die Beweglichkeit ist steif reduziert, sei es nun beim Heben, Drehen oder Rückengriff.
3. Meistens meint KiDD/KiSS bei Osteopathen einen Säuglings Halswirbel, der "raus" sei und damit weitreichende weitere und fallbeliebige Störungen verursacht. (in der seriösen Medizin wird
@Zeizi1@Eure_Evidenz@dielilly@NatalieGrams@ApothekerDer@drluebbers diskutiert, ob man verschiedene zentrale Entwicklungsstörungen unter KiSS zusammen fassen kann und kommt dann erst als mögliches neben Symptom auf Haltungs/Bewegungsprobleme, aber keinesfalls ursächlich). Wenn wir uns nun schon einig sind, dass Wirbel nie raus, verschoben,