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Apr 14 17 tweets 9 min read
Ist das Flugzeug vielleicht doch nachhaltiger als die Bahn? Das habe ich zumindest bei @dw_deutsch gehört.

Ein Thread über unkritischen Journalismus, die #Verkehrswende und das intransparente Übernehmen von Narrativen politischer Stiftungen.

🧵✈️🚄📻

1/x
Ich höre heute morgen eine Ausgabe des von mir sehr geschätzten Wirtschafts-Podcasts der @DeutscheWelle.

Die Folge widmet sich dem ökologischen Fußabdruck verschiedener Verkehrssysteme – ganzheitlich.

Klingt spannend, aber…

dw.com/de/auto-bahn-f…

2/x
… was dann folgt ist bestenfalls handwerklich schlecht gemacht.

Zu Gast ist der Unternehmensberater Klaus Radermacher, der eine Studie von "ihm & dem Institut für Mobilität der @HSGStGallen" vorstellt. Ihm zufolge das Ergebnis: Autos und Flugzeuge sind besser als ihr Ruf…

3/x
…, die Bahn nicht so ökologisch wie gedacht. Grund sei, dass man für Zug-Infrastruktur wie Tunnel so viel Beton brauche. So weit, so gut, Beton hat wirklich eine problematische Klimabilanz und Flugzeuge brauchen selten Tunnel.

Was der Beitrag verschweigt:

4/x
Es handelt sich um eine Studie im Auftrag der @fdp-nahen Stiftung @FNFreiheit. Das erwähnen Moderator und Gast kein einziges Mal. Ein Flüchtigkeitsfehler? Unwahrscheinlich, denn das Deckblatt der Studie sieht so aus:

shop.freiheit.org/download/P2@10…

5/x
Den Auftraggeber der Studie nicht zu nennen, kann kein Versehen sein, wenn man das PDF nur einmal geöffnet hat und einem Transparenz am Herzen liegt.

Natürlich sind Studien politischer Akteure interessant, ich würde sie aber niemals benutzen, ohne es zu benennen.

6/x
Schließlich kann man davon ausgehen, dass man das Weltbild des Auftraggebers in der Studie wiederfindet.

Wenig überraschend lauten die Lösungen für nachhaltigen Verkehr im Fazit der Studie: #Technologieoffenheit, #Wettbewerb & Abbau von #Subventionen für #Elektroautos.

7/x
Natürlich kann man weder @FNFreiheit noch Studienautor vorwerfen, dass in ihren Studien liberale Positionen vorkommen. Aber es ist nicht gut, wenn Journalist:innen

a) Auftraggeber nicht benennen
b) nicht selbst recherchieren
c) keine kritischen Nachfragen stellen

8/x
Denn der Gesprächsgast darf in der @dw_deutsch unhinterfragt falsche Dinge behaupten. So sagt Radermacher, seine Studie sei die Erste, die Verkehrssysteme ganzheitlich betrachte (inkl. Infrastruktur und Betrieb). Sonst gehe es immer nur um die Emissionen im Betrieb.

9/x
Nach circa zwei Minuten Recherche finde eine Studie vom @Umweltbundesamt zu dem Thema, die ein Jahr älter ist. Nochmal zwei Minuten scrollen später finde ich eine Grafik, die exakt das zeigt, was im DW-Podcast gerade als Neuigkeit verkauft wird:

umweltbundesamt.de/sites/default/…

10/x
Im Schienenfernverkehr entstehen viele Umweltkosten durch die Infrastruktur. Das ist auch allgemein bekannt. Weder zum behaupteten Neuigkeitswert, noch zu den extremen Beispielen (S21, Gotthard-Tunnel) kommt bei der DW eine kritische Nachfrage.

11/x
So kann der Gast unhinterfragt sein Framing verbreiten: Unsere bisherigen Erkenntnisse über die Nachhaltigkeit von Verkehrssystemen waren nicht ganzheitlich und ganzheitlich betrachtet seien Flugzeug und Auto gar nicht so schlecht.

Und das nicht nur bei der @dw_deutsch

12/x
Beim Luftfahrtmagazin @aeroTELEGRAPH wird der Auftraggeber der Studie ebenfalls weggelassen.

Bei @cicero_online darf seine Studie gleich selbst in einem Gastbeitrag zusammenfassen, immerhin kommt hier die @FNFreiheit vor, Limitationen oder Kritik jeweils nicht.

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Es geht auch anders. Bei der @faznet gibt es gleich zwei Texte über die Studie, die Auftraggeber nennen, einordnen und inhaltlich Kritik üben. Dazu ein Ausschnitt aus dem sehr guten Text von @uweebbinghaus:

faz.net/aktuell/feuill…

14/x
Fazit:

Bei Berichterstattung über Studien politischer Akteure sollten Medien
- den Auftraggeber nennen,
- die Studie lesen,
- einordnen
- und kritisch nachfragen bei Widersprüchen.

Klingt selbstverständlich, ist es leider nicht immer.

15/x

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More from @pmeerkamp

Apr 14
Ich schreibe immer mal wieder über das Verhältnis von #Journalismus zu Wissenschaft und das Thema Framing.

Hier könnt ihr reinlesen, wenn ihr mögt ⬇️

🧵🚨📰
Unpräzise Wortwahl & unhinterfragte Behauptungen rund um #Tempo30:
Virale Pressemitteilung & ungelesene „Studie“ über Corona-Ursprung:
Read 5 tweets
Jan 14
Sowohl @Wissing als auch @TschenPe sprechen sich gegen flächendeckendes #Tempo30 in Städten aus.

Die Geschichte eines Strohmann-Arguments und wie unpräziser Journalismus es ermöglicht.

(Thread)

1/x
"Nicht überzeugt bin ich [...] von einem flächendeckenden Tempo 30", sagt Bundesverkehrsminister @Wissing im Gespräch mit @TspBackgroundMT.

"An Durchgangsstraßen ist es eher weniger sinnvoll." Man solle nicht jede Straße zur 30er-Zone machen.

background.tagesspiegel.de/mobilitaet/die…

2/x
Ähnlich ablehnend äußerte sich Hamburgs Erster Bürgermeister @TschenPe die Tage im @abendblatt.

Dort heißt es: "Forderungen nach 'flächendeckend Tempo 30' bezeichnete er hingegen als 'Scheinlösung'."

abendblatt.de/hamburg/articl…

3/x
Read 18 tweets
Feb 19, 2021
Hier mal der Versuch eines Threads darüber, welche WissenschaftlerInnen der Universität Hamburg sich von der unseriösen Wiesendanger-"Studie" distanzieren (zufällige Reihenfolge).

Ergänzungen willkommen!

1/x
Read 8 tweets
Feb 18, 2021
Die @unihh verbreitet eine "Studie" über den Ursprung der Coronavirus-Pandemie und zerstört damit wissenschaftliches Renomee einer Institution. Der @ndr und co. springen auf.

Thread 1/x
2/x

Was stimmt (geht schnell):
- China hilft bei der Aufklärung nach den Ursprüngen nur zögerlich bis schlecht mit.
- Wie genau das Virus aus welcher Quelle zum Menschen gelangt ist, weiß man bisher nicht.

Gute Zusammenfassung hier @tagesschau: tagesschau.de/ausland/asien/…
3/x

Alles andere an dieser sogenannten Studie ist extrem unseriös.

- Der Autor ist Physiker (und darin vermutlich auch sehr kompetent). Mit Viren hat er vorher anscheinend nicht gearbeitet.

- Die Studie hat weder Theorie noch Methodik, es werden Behauptungen aneinandergereiht.
Read 14 tweets
Jan 14, 2021
Warum herrscht am Arbeitsplatz keine #Maskenpflicht am Platz, im Gegensatz zu z.B. Schulen?

Viele Menschen wundern sich derzeit über sehr unterschiedliche Corona-Regeln für den privaten und beruflichen Bereich. Warum ist das so?

Thread 1/12

#MachtBuerosZu @schwarzblond
2/12

Die übliche Regeln bei der Arbeit: Auf den Fluren #Maskenpflicht, am Arbeitsplatz selbst nicht, dafür viele Plexiglasscheiben. Das lässt sich auch gut beobachten, wenn man in Hamburger Bürovierteln spazieren geht.

So sollen Tröpfcheninfektionen verhindert werden.
3/12

Problem: Es gibt ja noch Aerosole. Die verbeiten sich eher wie ein Dampf im Raum, gerade wenn wegen wenig Lüften und viel Heizen im Winter die Luft zirkuliert.

Das kann also ein Problem sein, wenn man nicht gerade ein Einzelbüro hat.
Read 14 tweets

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