Thread by @CathSchmiegel

Erinnerungskultur läuft schief in Deutschland. Beim Mahnen an #rechteGewalt versagt und strauchelt es. Jetzt auch #Hanau. Seit 3 Monaten sollte dort ein Mahnmal den Getöteten des 19.2.20 gedenken. Es steht nicht. Vlt wird es das lange nicht, vlt nie. Warum? Ein #Thread.

DER ZEITPLAN: Im Herbst 2020 schrieb die Stadt einen Wettbewerb für ein Mahnmal aus. 8 Monate nach dem 19.2. Schneller als Köln etwa, wo sich die Stadt 2016, 12 Jahre nach dem Nagelbombenattentat des NSU, für ein Mahnmal entschied (& wo man sich bis Herbst '21 um den Ort stritt).

Geschwindigkeit ist per se nichts Schlechtes. Nur: Welche ist angemessen? Im Herbst '20 & auch heute noch suchen die Angehörigen in Hanau Antworten, wieso niemand diese Tat verhinderte. Weil sie die Jury bilden, mussten sie sich parallel mit Terminen für das Mahnmal beschäftigen.

DER PROZESS: Bei dem Wettbewerb in Hanau ging es in den Sitzungen anfangs vor allem um die Optik der Vorschläge. Das antirassistische Konzept dahinter lässt sich daran nicht ablesen. Doch genau das ist die Aufgabe eines Mahnmals gegen rassistische Gewalt.

DIE PERSPEKTIVE: Beim Gedenken an rechte Gewalt ignorieren Städte oft die Perspektive der Betroffenen. Hanau machte das anders. Der OB schwor sich: Niemand soll die Getöteten jemals vergessen. Und: Auch die Angehörigen sollten über das Mahnmal mitentscheiden.

Er machte sie zur Jury, die auswählen, welcher Entwurf am Ende gewinnen sollte. Er schwor sich auch: Es muss allen Hanauer:innen gefallen. Er setze sich dafür ein, ein Mahnmal zu realisieren, »das sowohl den Angehörigen als auch den Hanauerinnen und Hanauern gefällt.«

Tatsächlich einigten sich Familien & Politiker auf Heiko Hünnerkopfs Vorschlag »Einschnitt«, eine Säule mit den Namen von Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar & Kaloyan Velkov.

Nur eines bleibt offen & das ist das entscheidende Problem: DER ORT: Ein Mahnmal im Herzen einer Stadt heißt, dem #Rassismus darin etwas zu entgegnen. In Hanau ist dieser Ort der Marktplatz. Dort ist seit 700 Jahren Wochenmarkt. Dort steht die Statue der Hanauer Brüder Grimm.

Der Oberbürgermeister der Stadt aber sagt, er sei für die Hanauer:innen durch die Brüder Grimm besetzt. Den Angehörigen ist dieser Ort für das Mahnmal aber genau wegen dieser Bedeutung wichtig.

Çetin Gültekin sagte: »Das Wichtigste auf der Welt ist mir mein Bruder, der wichtigste Platz in Hanau ist der Marktplatz. Wenn ihr das Mahnmal nicht dorthin stellt, werde ich für immer denken, mein Bruder ist ein Mensch zweiter Klasse.«

Hanau hat jetzt also ein Mahnmal, zumindest den Entwurf. Nur ist unklar, ob es jemals stehen wird. Zwischen all dem steht die Frage: Welche Perspektive hat für die Stadt mehr Gewicht: Die, von denen, die von Rassismus & dieser Tat betroffenen sind? Oder denen, die es nicht sind?

Die Geschichte des Wettbewerbs, in denen Hanau diese Perspektiven zu vereinen versuchte, könnt ihr in der Reportage von @kmeyzepp und mir lesen. Der Text steht im Dossier von @DIEZEIT und bei @zeitonline (€) zeit.de/2022/21/mahnma… #SayTheirNames #HanauIstÜberall #Hanau1902. .

Wen das Thema weitergehend interessiert, hier eine (unvollständige) Liste von Expert:innen & Büchern, die uns sehr halfen: @NDeitelhoff vom @HSFK_PRIF. Aleida Assmann: »Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur«.

Tina Dürr, Reiner Becker (Hg.): »Leerstelle Rassismus? Analysen und Handlungsmöglichkeiten nach dem NSU« und Onur Suzan Nobrega, Matthias Quent, Jonas Zipf (Hg.): »Rassismus. Macht. Vergessen.«

Kemal Bozay, Serpil Güner, Orhan Mangitay, Funda Göçer (Hg.): »Damit wir atmen können. Migrantische Stimmen zu Rassismus, rassistischer Gewalt und Gegenwehr«. Habbo Knoch »Geschichte in Gedenkstätten«. »Der weiße Fleck« von @mamjahid.

+ folgt wie Nadia sagt @armin_kurtovic @Hamza_Kurtovic @Etr1sHashemi @BI_FerhatUnvar @BI_FerhatUnvar @TemizUnvar

https://twitter.com/nadia_z/status/1528678481206337537