Thread by @Stift_und_Bogen

Zimmerstraße in Mitte. Ich will euch von Charlotte #Erxleben (* 1906, † 1981) berichten, die unter dem Naziterror als Bordellbetreiberin bzw. als Prostituierte mehrere jüdische Mitmenschen rettete. Ich kann - leider - keine Gedenktafel posten, denn die gibt es nicht.

#Berlin

Charlotte #Erxleben lebt ab dem Jahr 1939 in Berlin und erwirbt hier vom mütterlichen Erbe in der Zimmerstraße 62 eine Privatpension mit sechs Zimmern auf zwei Etagen. Sie gibt an, als "Zimmervermieterin" zu arbeiten, wobei sie ihren Wohnraum vor allem als Bordell nutzt.

Das Etablissement, in dem auch sie selbst als Prostituierte arbeitet, zählt in Berlin zu den "gehobenen" Salons. Die Betreiberin hilft über mehrere Jahre hinweg verschiedenen Jüdinnen und Juden, die sie in ihrem Bordell (teils wiederholt) versteckt und mit Lebensmitteln versorgt.

Die Zahl der jüdischen Mitmenschen, die sie unterstützt, ist nicht genau bekannt, fünf Namen sind belegt (u. a. Leonhard #Frankenthal und Fritz #Walter) - ebenso wie der Name einer gesamten Familie (Heinz) und die Tatsache, dass Charlotte #Erxleben auch einem Rabbiner hilft.

Der Salon, direkt im Stadtzentrum gelegen und mehrfach von der Gestapo durchsucht, dient zeitweise als Versteck für verfolgte Jüdinnen und Juden, bis er im Jahr 1944 bei einem alliierten Luftangriff zerstört wird. Charlotte #Erxleben verlässt Berlin daraufhin für kurze Zeit.

Der Weg führt zu ihrem Vater nach Greifswald, in ihre einstige Heimatstadt. Charlotte #Erxleben zieht aber schon bald wieder in die Reichshauptstadt, um von einer neuen Bleibe in der Grunewaldstraße aus wiederum zu helfen - mit Lebensmitteln und mit ihrem Wohnraum als Versteck.

Steffi Ronau-Walter, mit ihrer Tochter Rhea vor dem Naziterror von Frau #Erxleben gerettet, beschreibt diese nach dem II. Weltkrieg als selbstlos und besonders mutig. Die Retterin, vom Verlust ihrer einstigen Pension schwer getroffen, lebt inzwischen nahezu mittellos in Berlin.

Charlotte #Erxleben, ab 1953 zeitweise in einem Notstandsprogramm der Stadt Berlin beschäftigt, ist ab 1958 erwerbslos - und ihre ersten Schadensersatzansprüche werden abgelehnt, bevor ihre einstige Hilfe im Jahr 1960 bei der Ehrungsinitiative "Unbesungene Helden" anerkannt wird.

Die Retterin, einst von der Gestapo auch verhaftet und schwer misshandelt, sieht sich gleichwohl gezwungen zu verschweigen, dass sie in der Zimmerstraße 62 ein Bordell betrieb. Prostitution ist in den 60er Jahren gesellschaftlich nach wie vor weithin kaum oder nicht akzeptiert.

Charlotte #Erxleben, der eine kleine finanzielle Beihilfe aus dem "Unbesungene Helden"-Programm zuerkannt wird, stirbt im Jahr 1981 in Berlin - und eine Gedenktafel oder anderweitige Ehrung fehlt bis heute.

Die Zimmerstraße liegt heute vergleichsweise ruhig mitten in der Stadt.

(Literaturtipp zu Charlotte #Erxleben u. a.: Herkommer, Christina: "Rettung im Bordell", in: Benz, Wolfgang (Hg.): "Überleben im Dritten Reich: Juden im Untergrund und ihre Helfer", München 2003 (Verlag C. H. Beck), S. 143 - 152.)