Nicht alles an kommerziellen Algorithmen ist schlecht - ein Thread anlässlich der (lesenswerten & informativen) Studie der @OBSFrankfurt (otto-brenner-stiftung.de/journalismus-i…), die v.a. Schattenseiten von Algorithmen kommerzieller Plattformen im öffentlich-rechtl. Kontext fokussiert. 1/17
Vorweg: ich teile Analyse und v.a. Schlussfolgerungen der Studie (hier von @FantaAlexx für @netzpolitik_org zusammengefasst: netzpolitik.org/2022/ard-und-z…). Es braucht Leitlinien, redaktionelle Unabhängigkeit und öffentlich-rechtliche Ausweichrouten: 2/17
Und: es ist jedenfalls interessant und wichtig, wie Eichler in der OBS-Studie an Hand ganz konkreter Beispiele den Einfluss algorithmischer Logiken auf journalistische Entscheidungsprozesse dokumentiert, zum Beispiel bei Reportagen für YouTube. 3/17
Aber: das Dilemma zwischen journalistischem Anspruch und autonomer Themenwahl auf der einen, und Reichweitenmaximierung auf der anderen Seite, gab es schon lange vor dem Internet und Social-Media-Plattformen (Stichwort: Quotenfixierung). 4/17
Beispiel: Schon 1964 zeigte sich ZDF-Gründungsintendant Holzamer quotenskeptisch: "'Auf die Dauer', ließ er sich unlängst in Mainz vernehmen, 'kann man von der ewigen Jagd nach den ganz großen Zuschauerzahlen nichts gewinnen.'" (spiegel.de/politik/gekuer…)​​ 5/17
Noch ein Beispiel: 1987 kritisierte Der Spiegel die übermäßige Orientierung öffentlich-rechtlicher Anbieter an der Quote: "Seichte Serien überfluten die Kanäle, immer schamloser buhlen ARD und ZDF um die Massengunst" (spiegel.de/kultur/kopflos…) 6/17
Trotzdem: Algorithmen großer Plattformen haben mutmaßlich weitreichendere, jedenfalls aber auch andere Folgen als es Quoten hatten. Zwar sind Wirkmechanismen von Plattformalgorithmen nur tw. transparent, aber auch das hat bereits spezifische Folgen. 7/17
Beispiel: Engagement. Eichler betont in seiner Studie (zu Recht), dass ein Schielen auf Steigerung von Engagement via Kommentare etc. zu Kompromissen mit journalistischer Qualität verleiten kann (z.B. weil Empörung mehr Kommentare produziert, vgl. S. 65) 8/17
Außerdem: Moderation von Community-Beiträgen ist eine (große!) Herausforderung, die (viel) mehr Ressourcen benötigt bzw. benötigen wird.
Auch das belegt Eichler (z.B. 72f.) sehr anschaulich und ist sicher richtig. 9/17
Aber: Kommentare sind auch ein wertvoller Rückkanal für die Redaktionen. So "profitieren funk-Formate stark" von Kommentaren, z.B. über Themenvorschläge: presse.funk.net/pressemeldung/… 10/17
Auch: jenseits von verwertbaren Rückmeldungen für Redaktionen sind moderierte Online-Foren natürlich zeitgemäße, digital-öffentliche Räume, die Meinungsbildungsprozesse ermöglichen. Diese zu unterstützen, war und ist eine zentrale Aufgabe für öffentlich-rechtliche Medien. 11/17
These: Würden Algorithmen sozialer Netzwerke nicht Engagement mit Reichweite belohnen und deshalb Anbieter zur Interaktion mit ihrem Publikum zwingen, ARD&ZDF würden heute noch die Mühsal von Community-Moderation scheuen. 12/17
Zugespitzt: in mancher Hinsicht haben die Algorithmen privater Plattformen bereits heute schon bzw. auch positive Folgen für öffentlich-rechtliche Angebote. 13/17
Ergänzung: auch in anderer Hinsicht sind mit Plattformalgorithmen potenziell positive (z.B. Förderung von Referenzialität über Hashtags und Mentions) und potenziell negative (z.B. Verhinderung von Referenzialität durch Verbot von externen Links) Effekte verbunden. 14/17
Ableitung: für Gestaltung von Online-Angeboten der Öffentlich-Rechtlichen reicht es nicht, auf die Probleme mit privaten Algorithmen zu verweisen. Wir müssen auch deren Stärken besser verstehen. #Fernsehrat 15/17
Fazit: Nutzung von Drittplattformen durch öffentlich-rechtliche Medien sorgt nicht nur für Probleme, sondern macht öffentlich-rechtliche Angebote teilweise auch besser.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Wikipedia noch viel mehr als "Drittplattform" genutzt werden sollte. 16/17
Noch einmal schöner aufgeschrieben in der Reihe "Neues aus dem #Fernsehrat" bei
@netzpolitik: netzpolitik.org/2022/neues-aus…

Noch mehr zum Thema dann morgen bei meinem #rp22-Vortrag zur Demokratisierung öffentlich-rechtlicher Medien: re-publica.com/de/session/wen… 17/17

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May 17
“Wie offen sind ‘offene’ Online-Gemeinschaften?” fragen @loradob und ich in unserem #openaccess verfügbaren Artikel in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie: link.springer.com/article/10.100…

#1paper1meme und ein Thread 🧵 1/11
Selbst kommerzielle Plattformen wie Facebook, Twitter oder YT sind, verglichen mit traditionellen Medien, offen, weil sie Filterlogiken traditioneller Medien zumindest partiell umkehren. Sie ermöglichen verschiedenen Formen von Gemeinschaftsbildung. 2/11
Manche dieser Gemeinschaften setzen bewusst auf Exklusivität (z.B. geschlossene FB-Gruppen), andere setzen auf offenheitsorientierte Zugangsregeln, verschreiben sich also einer Offenheitsprogrammatik (z.B. im Kontext von Open Source, Open Strategy oder Open Data). 3/11
Read 13 tweets
Apr 26
Wie "illusorisch" sind öffentlich-rechtliche Social-Media-Alternativen und ist "der Zug abgefahren", wie @horn & @JanAlbrecht gestern () mit Bezug auf meinen Thread () zum Thema argumentiert haben.

Lasst uns konkret werden. 1/12
Zunächst einmal führt überhaupt kein Weg daran vorbei, die öffentlich-rechtlichen Mediatheken "social" zu machen. Zumindest eine Kommentarfunktion wird über kurz oder lang implementiert werden müssen. 2/12 #Fernsehrat
Wer heute öffentlich-rechtliche Inhalte kommentieren oder sonstwie direkt Rückmeldung (z.B: via Like) geben will, muss diese inhalte auf YouTube oder anderen kommerziellen Plattformen suchen, weil das nur dort möglich ist. Das ist absurd und kann keine Dauerlösung sein. 3/12
Read 13 tweets
Apr 25
Bei aller teilweise berechtigter Kritik an öffentlich-rechtlichen Medien: zumindest kann nicht irgendein reicher Dude morgen daherkommen, und ein Übernahmeangebot legen. Ein #Fernsehrat-Thread. 1/10
Darin liegt eine Stärke eines reichweitenstarken (=relevanten) öffentlich-rechtlichen Angebots im Zeitalter digitaler Plattformen: es folgt keiner Börsen- oder Profitlogik. 2/10
Klar, deshalb müssen die Inhalte noch lange nicht besser sein. Sind sie teilweise auch nicht. Aber dass es (auch) relevante Teilöffentlichkeiten gibt, die primär einem demokratischen Auftrag verpflichtet sind, ist eine Errungenschaft - heute wichtiger denn je. 3/10
Read 11 tweets
Jan 18
In der FAZ gastkommentiert der Dokumentarfilmer David Bernet gegen Wikipedia-kompatible Lizenzen für öffentlich-rechtliche Inhalte (zeitung.faz.net/faz/medien/202…).
Ein kurzer #Fernsehrat-Thread, warum und wo Bernet hier falsch liegt. (Spoiler: fast überall.) 1/13 Image
Frei lizenzierte, öffentlich-rechtliche Inhalte sind keine bloße Nettigkeit, kein Geschenk an die Wikipedia & deren Leser:innen (also uns alle). Denn öffentlich-rechtliche Medien erreichen so neue Zielgruppen und erfüllen so ihren Auftrag im digitalen Zeitalter. 2/13
Wie gut das funktioniert, belegen die über 1 Million Abrufe/Monat, die kurze Clips der ZDF Doku-Reihe Terra X inzwischen via Wikipeda erzielen. Gut für Wikipedia. Gut für die Zuschauer:innen. Gut für die Reichweite von Terra X. 3/13 Image
Read 13 tweets
Dec 6, 2021
Aus aktuellem Anlass: die Frage, ob Patentrechte während einer Pandemie ausgesetzt werden sollten, hat nichts damit zu tun, ob man für oder gegen Marktwirtschaft bzw. die Pharma-Industrie ist. Selbst die Folgen für Innovationsdynamik können sogar positiv sein.

Ein Thread. 1/17
Innovationsfördernden Aspekten von Patenten wie Investitionsschutz und Offenlegungspflicht stehen auch innovationshemmende gegenüber. Die drei wichtigsten sind (1) Erschwerung rekombinatorischer (Folge-)Innovation, (2) strategisches Patentieren und (3) Patent-Trolle. 2/17
Ad Rekombination: Innovationen bauen aufeinander auf. Klärung von Rechten sowie Kosten für Lizenzierung (sofern überhaupt lizenziert wird) können Innovation stark erschweren, Heller&Eisenberg sprechen hier von Anticommons-Problemen: science.org/doi/abs/10.112… 3/17
Read 18 tweets
Jun 24, 2021
Die von Milliardären gegründete Plattform @propublica berichtet über Steuererklärungen von Milliardären ().
Die Zeitung @oe24 gründet ein Wettbüro und berichtet über Wettquoten ().

Ein Thread über 7 Typen von Medienabhängigkeiten.
Es gibt keine völlig unabhängige Medien. Was es aber durchaus gibt, sind unterschiedliche Typen von Abhängigkeiten. Gleiche Formen der Abhängigkeit bedeuten aber noch lange nicht gleiche Qualität. Am Ende zählt, wie Medien mit ihren jeweiligen Abhängigkeiten umgehen.
#1 Primär via Werbung finanzierte, private Medien (z.B. Gratiszeitungen). Abhängigkeit besteht vor allem von großen Werbekunden, in Ö damit auch von Bundes- und Landesregierung(en). Private Eigentümer beeinflussen durch Personalauswahl die politische Ausrichtung.
Read 25 tweets

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