Max Weber setzte 1904 in »Die "Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis« den zentralen Begriff unter Anführungszeichen. Darauf bezieht sich der Titel meines @APuZ_bpb-Beitrags über Wissenschaft & Aktivismus: bpb.de/shop/zeitschri…
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Aktivismusvorwürfe gegen Wissenschaftler:innen (“ein Greuel”) wie Journalist:innen (Abschied von “kritischem Journalismus”) boomen. Aber ist es ein Problem, wenn diese sich aktivistisch, also mit normativen Überzeugungen in öffentliche Debatten einmischen? 2/13
Die Frage nach der Rolle von Wert(haltung)en in der Wissenschaft ist so alt wie die moderne Sozialwissenschaft. Auch im Journalismus ist die Frage nach der Rolle und Offenlegung politischer Überzeugungen keineswegs neu. 3/13
Weitgehende Einigkeit besteht in Wissenschaft und Journalismus darin, dass die Wahl der Forschungsfrage bzw. des Themas aus einer unendlichen Zahl an Möglichkeiten immer und zwingend normativ ist. 4/13
(Themenwahl ist übrigens auch dann normativ, wenn sie sich an sogenannten Nachrichtenfaktoren orientiert, die selbst bzw. deren Auswahl, Gewichtung & Effektivität wiederum normativ geprägt sind: nomos-elibrary.de/10.5771/1615-6…) 5/13
Aber der normative Charakter endet nicht bei der Wahl eines Themas. Normativ zu beantwortende Fragen ziehen sich durch den gesamten Forschungs- bzw. Erkenntnisprozess. 6/13
Erfreulicherweise sind normative Einschätzungen – allgemeine wie spezifische – aber auch einer rationalen Diskussion zugänglich. Einfach so zu tun, als gäbe es die “reine Vernunft” ohne sittliches Element, kann keine rational überzeugende Antwort sein. 7/13
Wenn sich Normen und Werte aber nicht aus wissenschaftlichen und journalistischen Tätigkeiten verbannen lassen, dann ist es auch unmöglich sich nur auf “die Fakten” zurückzuziehen. Oder wie es @astefanowitsch so treffend formuliert hat (8/13):
Entscheidend für wissenschaftliche wie journalistische Glaubwürdigkeit ist deshalb nicht der Verzicht auf Aktivismus, sondern Transparenz hinsichtlich möglicher Interessenskonflikte, verwendeter Daten, Methoden und Quellen. #OpenScience 9/13
Wenn Aktivismus Verletzung von Qualitätsstandards befördert bzw. dazu führt, dass nicht sauber journalistisch oder wissenschaftlich gearbeitet wird, dann ist das natürlich ein Problem und muss kritisiert werden – nicht aber die klare weltanschauliche Positionierung. 10/13
Umgekehrt kann Aktivismus Wissenschaft und Journalismus auch besser machen. Z.B. wenn @PluralEcon pfadabhängige Paradigmatik in der Ökonomie aufbrechen hilft. Oder wenn @klimajourno#falsebalance und andere Probleme in der Klimaberichterstattung aufzeigt. 11/13
Fazit: Wissenschaft & Journalismus sind immer normativ, Aktivismus ist deshalb nicht per se ein Makel von Erkenntnisproduktion. Das eigentliche Problem ist Verletzung von Qualitätsstandards. Dagegen hilft v.a. allem mehr Offenheit und mehr inhaltliche Auseinandersetzung. 12/13
Normativer Nachsatz: Angesichts von Problemen wie dem Klimakollaps könnte aktivistische Wissenschaft jene Form von Wissenstransfer (“Third Mission”) sein, die der Relevanz und Dringlichkeit der Probleme noch am ehesten gerecht wird. 13/13
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Nicht alles an kommerziellen Algorithmen ist schlecht - ein Thread anlässlich der (lesenswerten & informativen) Studie der @OBSFrankfurt (otto-brenner-stiftung.de/journalismus-i…), die v.a. Schattenseiten von Algorithmen kommerzieller Plattformen im öffentlich-rechtl. Kontext fokussiert. 1/17
Vorweg: ich teile Analyse und v.a. Schlussfolgerungen der Studie (hier von @FantaAlexx für @netzpolitik_org zusammengefasst: netzpolitik.org/2022/ard-und-z…). Es braucht Leitlinien, redaktionelle Unabhängigkeit und öffentlich-rechtliche Ausweichrouten:
Und: es ist jedenfalls interessant und wichtig, wie Eichler in der OBS-Studie an Hand ganz konkreter Beispiele den Einfluss algorithmischer Logiken auf journalistische Entscheidungsprozesse dokumentiert, zum Beispiel bei Reportagen für YouTube. 3/17
“Wie offen sind ‘offene’ Online-Gemeinschaften?” fragen @loradob und ich in unserem #openaccess verfügbaren Artikel in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie: link.springer.com/article/10.100…
Selbst kommerzielle Plattformen wie Facebook, Twitter oder YT sind, verglichen mit traditionellen Medien, offen, weil sie Filterlogiken traditioneller Medien zumindest partiell umkehren. Sie ermöglichen verschiedenen Formen von Gemeinschaftsbildung. 2/11
Manche dieser Gemeinschaften setzen bewusst auf Exklusivität (z.B. geschlossene FB-Gruppen), andere setzen auf offenheitsorientierte Zugangsregeln, verschreiben sich also einer Offenheitsprogrammatik (z.B. im Kontext von Open Source, Open Strategy oder Open Data). 3/11
Zunächst einmal führt überhaupt kein Weg daran vorbei, die öffentlich-rechtlichen Mediatheken "social" zu machen. Zumindest eine Kommentarfunktion wird über kurz oder lang implementiert werden müssen. 2/12 #Fernsehrat
Wer heute öffentlich-rechtliche Inhalte kommentieren oder sonstwie direkt Rückmeldung (z.B: via Like) geben will, muss diese inhalte auf YouTube oder anderen kommerziellen Plattformen suchen, weil das nur dort möglich ist. Das ist absurd und kann keine Dauerlösung sein. 3/12
Bei aller teilweise berechtigter Kritik an öffentlich-rechtlichen Medien: zumindest kann nicht irgendein reicher Dude morgen daherkommen, und ein Übernahmeangebot legen. Ein #Fernsehrat-Thread. 1/10
Darin liegt eine Stärke eines reichweitenstarken (=relevanten) öffentlich-rechtlichen Angebots im Zeitalter digitaler Plattformen: es folgt keiner Börsen- oder Profitlogik. 2/10
Klar, deshalb müssen die Inhalte noch lange nicht besser sein. Sind sie teilweise auch nicht. Aber dass es (auch) relevante Teilöffentlichkeiten gibt, die primär einem demokratischen Auftrag verpflichtet sind, ist eine Errungenschaft - heute wichtiger denn je. 3/10
In der FAZ gastkommentiert der Dokumentarfilmer David Bernet gegen Wikipedia-kompatible Lizenzen für öffentlich-rechtliche Inhalte (zeitung.faz.net/faz/medien/202…).
Ein kurzer #Fernsehrat-Thread, warum und wo Bernet hier falsch liegt. (Spoiler: fast überall.) 1/13
Frei lizenzierte, öffentlich-rechtliche Inhalte sind keine bloße Nettigkeit, kein Geschenk an die Wikipedia & deren Leser:innen (also uns alle). Denn öffentlich-rechtliche Medien erreichen so neue Zielgruppen und erfüllen so ihren Auftrag im digitalen Zeitalter. 2/13
Wie gut das funktioniert, belegen die über 1 Million Abrufe/Monat, die kurze Clips der ZDF Doku-Reihe Terra X inzwischen via Wikipeda erzielen. Gut für Wikipedia. Gut für die Zuschauer:innen. Gut für die Reichweite von Terra X. 3/13
Aus aktuellem Anlass: die Frage, ob Patentrechte während einer Pandemie ausgesetzt werden sollten, hat nichts damit zu tun, ob man für oder gegen Marktwirtschaft bzw. die Pharma-Industrie ist. Selbst die Folgen für Innovationsdynamik können sogar positiv sein.
Ein Thread. 1/17
Innovationsfördernden Aspekten von Patenten wie Investitionsschutz und Offenlegungspflicht stehen auch innovationshemmende gegenüber. Die drei wichtigsten sind (1) Erschwerung rekombinatorischer (Folge-)Innovation, (2) strategisches Patentieren und (3) Patent-Trolle. 2/17
Ad Rekombination: Innovationen bauen aufeinander auf. Klärung von Rechten sowie Kosten für Lizenzierung (sofern überhaupt lizenziert wird) können Innovation stark erschweren, Heller&Eisenberg sprechen hier von Anticommons-Problemen: science.org/doi/abs/10.112… 3/17