Wie geht ihr damit um, wenn Menschen in eurer Umgebung die Klimakrise & den planetary clusterfuck noch nicht begriffen haben?

Ich hab bis vor ein paar Monaten immer die Fakten runter gebetet. Inzwischen mach ich das gar nicht mehr. Hier meine Erfahrungen:
Wer es jetzt & hier nicht gecheckt hat, hat sehr wahrscheinlich keinen Mangel an Fakten, sondern steckt evtl in der Leugnung & Verdrängung. Es gibt den Begriff "implicatory denial", der eine Leugnung beschreibt, die sich nicht auf die Tatsachen selbst bezieht, sondern auf die
moralischen, psychischen, politischen & gesellschaftlichen Konsequenzen.

In fast allen Gesprächen, die ich führe, mit Familie, Kolleg:innen und in Aktionen auch einfach Passant:innen, basiert die Leugnung auf drei Lügen/Illusionen, die aufrecht erhalten werden müssen, um
in der Begegnung das Gesicht und die eigene Identität (Lebensführung, Selbstbild, Position in der Gesellschaft) zu wahren. Diese Illusionen direkt zu besprechen, bewirkt in meiner Erfahrung viel mehr als das Rausballern der Fakten (bleibender Eindruck/Effekt ist da ja oft = 0)
Was sind die Illusionen?

1.) Mich betrifft das nicht
2.) Ich kann nix machen
3.) Selbst wenn, (andere) Menschen sind so scheiße, dass das alles nix bringt / wir verdammt sind und das auch verdient haben
1.) Drückt sich implizit aus in Othering "ich finde euer Anliegen ja gut aber" und explizit in raren Momenten kultureller Ehrlichkeit: "tut mir leid um die Kinder, aber ich werd davon nix mehr mitkriegen..", "hier kommt das nicht zuerst an"
Unsere Kultur basiert auf Vorstellungen von Überlegenheit von weißen (#whitesupremacy). Oft zeigt sich das nicht so kackdreist klar wie in diesen Aussagen. Und es gibt analoge Überlegenheitsvorstellungen gegenüber Kindern & künftigen Generationen. Auf die wird von Mehrfach-
privilegierten geradezu exzessiv zurück gegriffen, um eine Art Unantastbarkeit zu konstruieren und sich so selbst vor der Unvorstellbarkeit & existenziellen Überforderung zu schützen, die ein Reinlassen der Klimakrise bedeuten würde.
Diese Illusion in Frage zu stellen, ist recht einfach. *Jedes* Leben ist von der Klimakrise betroffen, wenn auch unterschiedlich schwer. Diese Konfrontation verlangt Empathie ab, weil man likely dem Gegenüber mit dem Realitätscheck nachhaltig unbeschwertes Lebensglück nimmt, aber
auch, weil im Gespräch viel diskursiver Müll rauskommt, ne kaputte neoliberale Ethik "ist doch jeder seines Glückes Schmied" oder eben Überlegenheitsvorstellungen.

Wenn man an diesem Punkt aufhören würde, könnte das regressive Abschottungstendenzen fördern, deswegen wichtig
dann die anderen 2 Illusionen anzugehen, wos um Handlungsperspektiven geht. Also:

2.) In Aktionen ist meist der erste Ausdruck davon "was ihr macht, bringt nix" dann werden Fake Handlungsoptionen aus der Mottenkiste gekramt, um die eigene Untätigkeit als einzige mögliche
Schlussfolgerung vor sich selbst zu rechtfertigen: Petitionen, Wählen, Studieren, Politiker:in werden und dafür sorgen, dass man gewählt wird.

Da klappts eigentlich immer ganz gut, sich die Geschichte progressiver Entwicklungen anzusehen und dass das was die Leute damals gemacht
haben eigentlich auch im Hier und Jetzt klappen kann. Viele Leute haben aber in irgendeinem Winkel ihrer Seele ne Vorstellung davon, was sie doch irgendwie machen können, die sie evtl sogar mit einem teilen, wenn sie sich im Gespräch nicht verurteilt fühlen
"Ich kann Verantwortung für die Situation übernehmen" scheint auf jeden Fall ne Schlüsseleinsicht zu sein, die für viele erst noch kommen muss, bevor sie die Situation an sich ranlassen (können). Bei mir wars auch so.
Kommen wir zu 3.) Menschenhass. Auch sehr ugly und dafür trotzdem krass verbreitet. Für mich der unerträglichste Part im Gespräch, aber auch wichtig, weil die letzte Bastion der Leugnung. Kommt als Rassismus "die xx werden niemals mitmachen", Überbevölkerungsblabla,
Oder in der Variante "Überkonsum & Egoismus im Westen bestätigt mein verkommenes Menschenbild empirisch". Im Prinzip stabilisiert diese Betrachtung das Wohlfühlen in der eigenen Ohnmacht, weil ja eh jede Bemühung von der Schlechtigkeit anderer kaputt gemacht werden würde. Now,
für mich funktioniert da der Hinweis auf Solidarität & kooperatives Verhalten als ne krasse Universalie, die sich nicht oft aber ab und zu immer wieder zeigt, selbst in unserer strukturell komplett auf Selbstoptimierung & Konkurrenz ausgerichteten neoliberalen Kultur.
Für die Argumente hat mir Literatur geholfen, v.a."Gegenseitige Hilfe" von Kropotkin & "Wege aus der kranken Gesellschaft" von Fromm. Long story short: Menschen haben die Kapazität für beides: Kooperation/Hilfe & being complete dicks. Es geht nicht um Idealisierung "des Menschen"
sondern darum, aufzuzeigen, dass 1. eine deterministische Vorstellung "it will go to shit, because humans are shit" totaler Quatsch ist und dass 2. Menschen sich immer ihre kollektiven Umgebungen geschaffen haben und dass unterschiedliche Umgebungen unterschiedliches fördern.
Gibts noch mehr Illusionen? Habt ihr Gesprächshacks entdeckt oder Feedback? Lasst gern diskutieren
Kari Norgaard hat ein Wahnsinnsbuch über implicatory climate denial in einer norwegischen ländlichen Gemeinde geschrieben ("living in denial"). Sie hat den Begriff wiederum von einem britischen Soziologen (Stanley Cohen, 2001)

PS: es macht nen großen Unterschied, wer das Gegenüber ist. Die Verweigerung & Leugnung durch Politiker:innen ist natürlich eher kriminell als alles andere, da hab ich weder Geduld noch Verständnis. Ähnlich CEOs. Hatte eher Alltagsbegegnungen im Kopf.

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So much loss could have been avoided if governments would have acted sufficiently back then.
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Mar 26
Klimakrisen-Takes, die niemand braucht, heute:

Victim blaming, aka das "Was hatte sie an?" der Klimakrise. Gerade in der @zeitonline nachzulesen.

zeit.de/kultur/2022-03…
Was ist falsch daran?

1. Er leugnet dass die Mehrheitsverhältnisse da sind.
Sie waren es 2019
dw.com/de/klimaschutz…
Auch 2020 inmitten einer sich entfaltenden globalen Pandemie
br.de/nachrichten/de…
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Feb 28
Mit Erscheinen des #IPCC-Berichts ist heute einer der seltenen Tage, an denen die #Klimakatastrophe, ihr Ausmaß und die notwendigen politischen Maßnahmen ein klein wenig mediale Aufmerksamkeit bekommt.

Aber make no mistake: Die gleichen Medienhäuser, die uns heute vermitteln,
dass "sofortige und ehrgeizigere Maßnahmen zur Bewältigung der Klimarisiken" dringend geboten und "halbe Sachen keine Option mehr sind" (#SPM) werden in 1-2 Tagen wieder zu ihrem eigenen Business as usual übergehen.
Dann kriegen wir wieder bescheuerte Coverstories zur "Kostenfalle Klimaschutz" und völlig realitätsentkoppelte "konservative" Kolumnen, in denen steht, dass pariskonformer Klimaschutz demokratiefeindlich und sowieso völlig unmöglich wäre.
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