Einführung "Biopolitik des NS I: #Zwangssterilisierung, 🧵 Nr. 1:

"Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" (Juli, 14. 1933). S. 1 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (1933)
"Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" (Juli, 14. 1933). S. 2 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (1933)
(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.
(2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:

angeborenem Schwachsinn,
Schizophrenie,
zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein,
erblicher Fallsucht,
erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea),
erblicher Blindheit,
erblicher Taubheit,
schwerer erblicher körperlicher Mißbildung.
Was bedeutet dies konkret? Die Fallberichte und Akten dieser Zeit zeigen, dass unter diesen Kriterien eine ganze Reihe von Menschen die als "Anders" in der Biopolitik des NS wahrgenommen wurden entsprechend des GVEN zwangssterilisiert werden konnten.
Städte, Gemeinden, die Polizei, andere staatliche Einrichtungen und die NSDAP machten von den hierdurch gegebene Möglichkeiten teilweise exzessiven Gebrauch. Sehr viele Aerzt*Innen machten sich mitschuldig indem sie entsprechende Gutachten anfertigten.
Eine leichte geistige Behinderung, ein "Tick", sehr viele psychische Krankheiten (die alle unter Schwachsinn subsumiert wurden) konnten, aber auch Homosexualität oder Transsexualität wurden als "Schwachsinn" oder "Irrsein" zum Anlass für die Einleitung des Verfahrens genommen.
Insgesammt wurden nach dem derzeitigen Kenntnisstand etwa 300.000 bis 400.000 Menschen nach einem entsprechenden Urteil der Erbgesundheitsgerichte in lokalen Krankenhäusern oder in Anstalten bis 1945 zwangssterilisiert.
Vielfach wurden diese Menschen dann aber auch, z. B. im Zuge der Aktion T4 in Vernichtungslager überführt. Da die Forschung zu diesem Thema noch nicht abgeschlossen ist gibt es - gerade in der deutschen Geschichtswissenschaft - noch grosse Lücken über die queeren Opfer.
Fest steht aber, dass z. B. sog. "schwere oder tief-renitente Transvestiten" (der damalige Ausdruck für trans Personen, die eben nicht "Männer im Kleid" waren) zu einer der Hauptgruppen der Opfer des Gesetzes zuzurechnen sind.
Allein in den Strafverfolgungsakten und Erbgesundheitsberichten des Landesarchivs Berlin finden sich 80 Fälle von "Transvesiten" die nach dem GVEN beurteilt wurden. 75 von ihnen waren trans Frauen, 5 trans Männer.
Morgen werde ich mithilfe einer Flowchart das Verfahren an sich näher erläutern. Vielen Dank fürs lesen.

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