Heuer ist mein 10. Jahrestag auf Twitter. Angefangen hab ich hier, als es laut Alteingesessenen, schon nicht mehr so gemĂĽtlich war, aber ich fand den Austausch eine willkommene Abwechslung im Alltag.
Es wurde geblödelt und sich getroffen (#Twitkultur). Freundschaften entstanden.
Ich kann keinen Zeitpunkt nennen, wo es gekippt ist. Die von Twitter selbst erzeugte Facebookisierung (mehr Zeichen, Herzen statt Sternchen, "beste statt neueste Beiträge") hat sicher dazu beigetragen, den ursprüngliche Sinn eines Kurznachrichtendiensts zu verzerren. /2
Twitters Stärke war, dass man es immer zuerst erfahren hat: Allerdings sah man bei Ereignissen wie Terroranschlägen und Amokläufen auch schnell die Grenzen - wie etwa Falschmeldungen, die sich wie in Lauffeuer verbreitet haben, und Journalisten ungeprüft übernahmen. /3
Dann sind mehrere weltpolitisch bedeutsame Ereignisse hintereinander passiert, von denen wir heute wissen, dass sie mit Russlands Einfluss zusammenhängen: Große Fluchtbewegung 2015, Brexit, Wahl Trumps - und die daraus erstarkenden Rechtsextremen in westlichen Demokratien. /4
Auf Twitter ist in dieser Zeit der SpaĂź zunehmend gewichen und wurde durch Ernst ersetzt, aber eben nicht nur durch fruchtbare Diskussionen, sondern Polarisierung, durch Pegida, Afd hier, und durch radikal Konservative und FPĂ– dort. /5
Ich beschränke mich auf Österreich, wo ich lebe und der Großteil meiner Twitterblase ihren Lebensmittelpunkt hat. Dort wurde auch polarisiert seit der Machtergreifung von Kurz. @janboehm hat das dankenswerterweise aufgegriffen - denn viele ÖsterreicherInnen checken das nicht. /6
Als sich Kurz dann in die Regierung geputscht hat (man muss das leider so nennen) und eine an sich konstruktive Große Koalition aus Kern und Mitterlehner (die uns genauso in die Energiekrise geführt hätte, muss man sagen) zerstört hat, war auf Twitter Ende mit lustig. /7
Innerhalb von zwei Jahren hat die schwarzblaue Regierung so viele RĂĽckschritte in Ă–sterreich erzeugt, dass ich - auch da hab ich damals gesammelt - eine Liste mit 50 Punkten und mehr hatte, wo soziale Rechte ausgehebelt wurden, Fremdenfeindlichkeit deutlich wurde, etc. /8
Dann kamen Ibiza, Neuwahlen und Grün hat sich den Schwarzen angebiedert. Türkis setzte ihre staats- und demokratiezersetzende Agenda fort - erst unter Duldung der Grünen, später unter deren aktiven Mithilfe (Abdrehen von UA, Mitstimmen im Parlament), nun mit eigener Agenda. /9
Österreich wurde zur Wahldemokratie herabgestuft - das scheint weitgehend in Vergessenheit zu geraten. Wenn man mit Österreichern redet, scheinen das viele als Teil der kulturellen Identität hinzunehmen, das war schon immer so, das wird sich nie ändern. Themenwechsel. /10
Seit Pandemiebeginn gibt es neben der Pandemie selbst zahlreiche Korruptionsskandal bei der Ă–VP, und zahlreiche "ich lass die Hand nicht vom Futtertrog"-Skandale bei den GrĂĽnen, die gegen ihre Ăśberzeugung handeln - mit dem Totschlagargument "wollt ihr lieber die FPĂ–?" /11
Es gilt die Dauerempörung: An Tagen, wo es keine dämlichen Pressekonferenzen zur Pandemie gab, regen Skandale der ÖVP auf, von Chataffären zu Kaufhaus Österreich und anderer Geldverprasserei. Es gibt keinen Tag mehr, ohne etwas, was die Zornesröte auf die Stirn treibt. /12
Man kommt eigentlich nicht mehr zur Ruhe. Seit Jahresbeginn hat sich die Intensität nochmal verschärft. Die Pandemie gerät im vollen Bewusstsein außer Kontrolle, der Krieg beginnt, die Energiekrise verschärft sich ungebremst, dazu Affenpocken und Klimanotstand. /13
Wer sich wie ich viele Experten-Aussagen in thematische Listen zusammengefasst hat, muss erkennen - auch Ärzte und Wissenschaftler kommentieren den Krieg und auch Militärexperten die Pandemie und die Teuerung. Alles vermischt sich. Ein Thema mal ignorieren geht nicht. /14
Besonders schlimm bei der Pandemie war seit Jahresbeginn, dass wir aufgeklärten User wussten, was uns bevorsteht und die Regierung entgegen dem wissenschaftlichen Konsens (dem echten, nicht ihrer gekauften Experten) gelockert hat. /15
Das hat die eigene Resilienz geschwächt. Im Laufe der Pandemie konnte man Abwehrmechanismen entwickeln, sich arrangieren mit gewissem Verzicht. Aber seit Jahresbeginn wurden auch die Basis-Schutzmaßnahmen zurückgefahren, in einem Tempo, wo man sich nicht mehr anpassen konnte. /16
In dieser Phase tiefgreifender Ohnmacht sind die Rechten und Verharmloser (die sich selbst nicht als rechts bezeichnen würden, aber sozialdarwinistisches Gedankengut vertreten) - bestätigt durch den Regierungskurs - ermutigt worden, weiter zu gehen, noch lauter zu werden. /17
Sozialdarwinisten aus der Wirtschaft, aber auch aus Gewerkschaften konnten ihre Forderungen immer durchsetzen, während die Forderung nach Schutzmaßnahmen medial keine nennenswerte Aufmerksamkeit erhielt. Rechte strömten aus ihren abgekapselten Netzwerken auch auf Twitter. /18
Auch das ein schleichender Prozess über viele Jahre, der aber durch den Kuschelkurs der Regierung mit Leerdenkern legitimiert wurde, und durch Russland gefördert wird - in der ganzen Brutalität und Verrohung mit Konsequenzen. Jetzt kommt man mit dem Blocken nicht mehr nach. /19
Gerade Ärzten, Pflegern und seriösen WissenschaftlerInnen fehlt der Vorfilter durch ein Social-Media-Team, wie es Politiker mit Reichweite haben. Sie müssen neben ihrem zeit- und kraftraubenden Job alles selbst machen. Verharmloser haben sogar Zeit für Bücher nebenher. /20
Eine Medienschulung fehlt den meisten, oder wie man Trolle erkennt. Gleichzeitig fehlt, wie von @brodnig, aber auch Anwalt Jun hier angefĂĽhrt, die juristische Nachverfolgung und passende Gesetze, um sich gegen Drohungen zu wehren. /21
Es ist also in Summe nicht "nur" der Hass im Netz, der sich ungestraft seinen Weg zu den Opfern bahnen kann, sondern auch das realpolitische Klima, der auf False Balance abzielende Journalismus, der damit Quote erzeugen will und Interessenskonflikte innehat. /22
Jetzt den Hass im Netz in den Fokus zu nehmen, wird dem gesamtgesellschaftlichen Problem nicht gerecht, das wir haben. Genauso wie die Ukraine nur ein Puzzle-Stück von Großmachtphantasien Russlands ist, das nicht Halt macht, wenn es eine Verhandlungslösung geben würde. /23
Viele gesamtpolitische Zusammenhänge sind in @TimothyDSnyder's Buch "Weg zur Unfreiheit" beschrieben, der den russischen Einfluss auf westliche Politik minutiös schildert, die Förderung demokratiezerstörender Parteien in Europa (und den USA). Es geht aber noch weiter: /24
Die "Great-Barrington-Declaration" ist in Österreich defakto nicht existent, weder Name noch Inhalt. Sie wird u.a. von Koch-Industries gefördert, die wiederum geschäftliche Beziehungen zu Russland hat. Ihre Vertreter leugnen Pandemie, Klimawandel und sind pro Russland. /25
Und sind oft radikal konservativ (Buchempfehlung @Natascha_Strobl) oder rechts, fĂĽhren uns bei allen drei Krisen ins Verderben, wenn wir nicht gegensteuern. Great-Barrington, das ist de fakto schwedischer Weg, Tegnell, "Vulnerable schĂĽtzen, Gesunde unbehelligt lassen." /26
Absurderweise die Politik, welche *alle* Parlamentsparteien betreiben. Fokus Intensivstation und Altenheime, sonst "mit Covid leben". Aber focused protection hat nie funktioniert, würde eine objektive Bilanz zeigen. Im 1. Pandemiejahr stammte die Hälfte der Toten von dort. /27
Die Great-Barrington-Ideologie inklusive "Health Supremacy" und "Immune debt/Hygiene-Hypothese" dominiert die politische und mediale Aufmerksamkeit (Diskurs kann man es nicht nennen, er findet nicht statt), in dessen Schatten die gewaltbereiten Rechten Aufwind bekommen. /28
Wer jetzt die Fehler der Regierung aufzeigt (oder von mit Preisen überhäuften Journalisten), wird geblockt, niedergemacht und anschließend stellen sich die Akteure als Opfer von "Hass im Netz" dar und betreiben damit erneut FalseBalance. /29
Das macht es auf Dauer ziemlich ungut, sich hier überhaupt noch zu äußern, es macht selbst (zu Recht) wütende Protestaktionen schwierig, denn es bestätigt die Narrative der sich als Opfer inszenierenden, die dann sagen "ihr seid so wie die andere Seite". 29/31
Ich hab keine Lösung anzubieten, außer zu versuchen, jene zu finden, die überhaupt noch bereit zu einer Diskussion sind, diese besser privat als öffentlich auszutragen, und weiter Überzeugungsarbeit zu leisten - so gut man das schafft. Eine Alternative gibt es nicht. 30/31
Denn auch jene, die sich jetzt von Twitter verabschieden, holt die Realität letzendlich ein, dass wir in eine lange, dunkle, undemokratische Zeit abrutschen, von der wir geschworen haben, dass sie "Nie wieder!" kommen darf. 31/31
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Ich seh auch die nächsten 2-3 Wochen nicht mal ansatzweise Chancen für flächendeckenden Niederschlag in ganz Europa.
Biblische GrundwasserdĂĽrre.
Das einzige, was momentan die planetaren Welle zur Verlagerung/Mäandrierung anregen könnte, wären Hurrikane. Aber dort, wo die normalerweise entstehen, ist das Wasser eher zu kühl, die Atmosphäre zu stabil und vor allem viel zu trocken.
Alles steht und fällt mit a) Frischluftzufuhr und b) dichte Masken (Wirt und Empfänger).
1. Beim Aufsperren in der FrĂĽh haben vorher Mitarbeiter Ware geschlichtet und dabei mehr Aerosole exhaliert.
2. Im Tagesverlauf akkumulieren sich Aerosole von infizierten Mitarbeitern, die ihre Maske nicht korrekt tragen (Aufenthaltsdauer).
3. Akkumulation von Aerosolen maskenloser Kunden und short range transmission bei Gedränge bzw Mitarbeiterkontakt.
Empfehlungen:
1. Online bestellen, was geht.
2. Am besten FFP3 Masken verwenden und mit CO2 Messgeräten Luftqualität überprüfen. Aufenthaltsdauer so kurz wie möglich (Einkaufszettel!), möglichst in der Früh einkaufen.
Hoffe es ist jedem klar, der in Europa und ganz besonders im Kinder hassenden Shithole Ă–sterreich seine Kinder aufwachsen lassen will, dass damit 3-4x Covid im Jahr einhergehen werden.
Danke @lungendoc fĂĽrs Ansprechen, dass die Regierung die Forderungen der Impfgegner und Covidleugner erfĂĽllt hat.
Klartext @brodnig - es werden keine Gräben zugeschüttet, sondern Fehler unter den Teppich gekehrt. "Terror von der Impfgegnerszene unterwandert von Rechtsextremen" - Pandemie eben nicht vorbei für Ärzte, die als einzige noch warnen.
Einige PolitikerInnen, Ärzte, Wissenschaftler drücken jetzt ihre "Betroffenheit" aus, während sie die letzten Jahre geschwiegen, selbst geschwurbelt oder in die Talkssendungen zu den Schwurblern gegangen sind. Ich finde das zum Kotzen, wenn keine Selbstreflexion erkennbar ist.
"die andere Seite argumentiert genauso"
Die andere Seite bedroht Ă„rzte nicht mit Umbringen, blockiert Rettungszufahrten, schlitzt Autoreifen von Ă„rzten auf, schreibt Drohbriefe, spuckt Leute an, etc.
Was man zwischen den Zeilen liest, ist, wie sich die derzeitigen Grünen über die "NoCovid-Anhänger" lustig machen. Herablassung, fast Schadenfreude darüber, dass *wir* den neuen Verordnungen gegenüber ausgeliefert sind, ob wir wollen oder nicht.
"Dafür bin ich nicht zuständig" - könnte ich noch gelten lassen, wenns der grüne Bezirksrat irgendeines random Bezirk in Österreich antwortet, aber nicht vom Kabinettmitarbeiter, der Referent für die Zivilgesellschaft ist. Die Pandemie politisch zu beenden betrifft ALLE.
Reife Leistung vom Referent fĂĽr Zivilgesellschaft.