Thread by @hustendoktor

Ein 🧵, nehmt Euch nen Keks, dauert.
Ich bin, wie viele hier wissen, im amerikanisch besetzten Teil von D aufgewachsen. Meine ganze Kindheit über waren die Amis unsere Freunde, alles was cool war kam von da, Klamotten, Musik, Basketball, Skateboards, Fastfood, in meiner

Kindheit war es das Allergrößte, wenn Du nen Hamburger von McD bekommen hast. Auf der anderen Seite wurde uns ein eher undurchsichtiges, gefährliches Bild des Ostblocks vermittelt. Riesige Staatengemeinschaften mit Atomwaffen und wenig zu verlieren. Klar, jetzt alles etwas

überspitzt, aber so kam es bei uns Kids nunmal an und selbst heute sind ,,die Russen“ in Filmen ja doch sehr stereotyp. Ich war einigermaßen überrascht, dass es in Sibirien im Sommer bis 40Grad werden kann und nicht alles aus Gulags im ewigen Eis besteht. Als die Mauer

fiel war ich noch klein und habe das alles noch nicht wirklich verstanden, aber dennoch war auch für uns spürbar, dass sich etwas tut, dass Gespräche stattfinden und der kalte Krieg zu Ende geht. Einige Zeit später war ich mit Freunden unterwegs und wir haben gehört, dass an

diesem Abend Kohl mit Gorbatschow essen gehen würde, bei einem Italiener, bei dem wir auch schon öfter waren. Wir also dahin, es war schon einiges abgesperrt, aber tatsächlich standen wir so ca 3 Meter vom Eingang entfernt um uns das anzusehen. Und tatsächlich, da kamen mehrere

Fahrzeuge mit Personenschützern an und irgendwann auch Kohl und Gorbatschow, nur ein paar Meter neben uns und gingen zum Italiener zum Essen.
Für mich war das, wenn auch politisch damals kaum daran interessiert, eine krasse Erfahrung, denn alles was man uns in unserer

Kindheit so beigebracht hatte mit den bösen Russen, den guten Amis und der Unvereinbarkeit von Ost und West, schien für mich an diesem Abend endlich Vergangenheit zu sein. Zwar immer noch vorsichtig im Umgang miteinander, bestand hierbei für mich definitiv die Hoffnung

auf Freundschaft mit einem Land, dass eine interessante Geschichte, Reich an Kunst und Kultur und ganz sicher auch sehr vielen tollen Menschen beherbergt. Ich hatte auch später russ Arbeitskollegen, mit denen ich unheimlich gut zurecht gekommen bin und hatte noch sehr

lange das Gefühl dieses einen Abends in mir.
Seit Putin dann mit der Jahrtausendwende Jelzin abgelöst hatte, wurden wir schon wieder skeptisch, und sahen über die Jahre, wie aus der hoffnungsvollen Aufbruchstimmung Ende der 90er leider doch wieder so nach und nach die Trennung

von Ost und West festbetoniert wurde. Ich hatte noch in den letzten Jahren trotz Krimannexion in meiner Naivität an eine mögliche friedvolle Koexistenz geglaubt, doch ist jetzt auch den letzten klar geworden, dass mit jedem abscheulichen Kriegsverbrechen und jedem weiteren Tag

dieser Invasion ein Zusammenleben auf Augenhöhe auf sehr, sehr lange Zeit unmöglich gemacht wurde.
Ich komme mir für meine hoffnungsvollen Gefühle als junger Jugendlicher damals so dumm und von Putin so betrogen vor.
#StopRussianAggression
#PutinWarCriminal

Appendix: bitte verschont mich mit Belehrungen, etc. Auch ist mir klar, dass es weiterhin viele Russ:innen gibt, die nicht hinter dieser Politik stehen. Es ging um mein pers Empfinden, was natürlich nichts im Gegensatz der Leiden des ukr Volkes ist. Trolle werden geblockt.