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Aug 22, 2022 14 tweets 8 min read Read on X
Die Narrative zu Sparen, Vermögen und Inflation überschlagen und widersprechen sich. Ich will in untersch.🧵 hier versuchen mit Fakten und Zahlen, meist auf Grundlage meiner und unserer Arbeit am @DIW_Berlin, den Diskurs zu den Prioritäten von Entlastungen informieren zu helfen.
Fakten zu #Sparen:

60 % der Menschen in 🇩🇪 können in dieser Krise nicht sparen — so neue Berichte. Das zentrale Problem ist aber ein anderes: 40 % der Menschen haben heute fast keine Ersparnisse, also nichts um sich gegen die hohe Inflation abzusichern.

zdf.de/nachrichten/wi…
Die Deutschen #sparen viel – mehr als andere Europäer*innen. (Nur in der Schweiz ist die #Sparquote noch höher.) Aber viele Menschen in 🇩🇪 haben nur wenige oder keine Ersparnisse. Warum?
Die Sparquote in Deutschland heute ist nicht niedrig, weder im historischen Vergleich, noch im Vergleich mit anderen Industrieländern. Die Sparquote ist lediglich (noch) ungleicher geworden, da jetzt noch mehr Menschen nicht sparen können.
Die Deutschen #sparen viel – aber die Ungleichheit bei der Sparquote ist mit die höchste in Europa. Die unteren 40 Prozent sparen faktisch nichts. Das reichste Prozent spart 35 %.

(N.B. Einige der Statistiken hier sind älter, Zahlen für 2022 sind leider meist nicht verfügbar.)
Das spiegelt sich auch in den absoluten Sparbeträgen wider. Während das untere Einkommensdrittel nichts spart, sondern sich verschuldet, können die obersten 10 Prozent größere Geldbeträge auf die Seite legen.
Vier Gründe erklären vor allem, wieso in einem so reichen Land wie Deutschland so ungewöhnlich viele Menschen nur wenig oder gar keine Ersparnisse bilden können:
#Sparen
1. Wir erleben eine höchst unsoziale #Inflation:

Menschen mit geringen Einkommen erfahren individuell eine 3-4 mal höhere Inflation (weil sie einen viel höheren Anteil ihres Einkommens für Dinge ausgeben müssen, die sich besonders stark verteuert haben).

diw.de/de/diw_01.c.84…
2. #Einkommensungleichheit

Die #Ungleichheit bei den #Einkommen steigt, v.a. weil Deutschland einen ungewöhnlich großen Niedriglohnbereich hat und sehr viele einkommensschwache Haushalte nur (häufig unfreiwillig) mit wenig Stunden in Teilzeit arbeiten.

diw.de/de/diw_01.c.84…
3. das deutsche #Steuersystem

Fast kein anderes Industrieland besteuert #Vermögen so gering und #Einkommen aus Arbeit so hoch, wie Deutschland. Daher ist der Aufbau von Ersparnissen durch Arbeit gerade in Deutschland ungewöhnlich schwer.
Viele realisieren nicht, dass Menschen mit geringen Einkommen in Deutschland sehr wohl Steuern zahlen, und zwar recht hohe Steuern, relativ zu ihrem Einkommen. Dies sind vor allem indirekte Steuern. HT @SBachTax
4. #Erbschaften

Mehr als die Hälfte aller privaten #Vermögen in Deutschland wird heute ererbt und nicht erarbeitet. Menschen mit geringen Erwerbseinkommen erben auch in den allermeisten Fällen wenig bis nichts.
Fazit: Obwohl kaum ein Land so viel seiner Wirtschaftsleistung spart, gibt es gleichzeitig kaum ein westliches Land, in dem die #Ungleichheit des #Sparen so hoch ist.
Das Hauptproblem ist, dass ungewöhnlich viele Menschen in 🇩🇪 nicht sparen können, weil sie jeden Euro ihres Einkommens für den täglichen Lebensunterhalt benötigen.

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Jul 19
Mehr #Freiheit und Erwerbstätigkeit für Frauen — Wirtschaft und Politik klagen über den Arbeitskräftemangel, aber #Frauen wird die Vereinbarkeit von #Familie & Beruf immer noch schwer gemacht. Drei Reformen sind nötig.

Ein 🧵

Meine Kolumne @zeitonline:

zeit.de/wirtschaft/202…
Die #Erwerbstätigkeit von Frauen ist Deutschlands größtes wirtschaftliches Potenzial. Es besteht eine große Diskrepanz zwischen den Arbeitszeitwünschen der Frauen und der Realität im Arbeitsmarkt.
Wenn Politik und Wirtschaft es ernst meinen mit der Lösung des #Fachkräfte problems, müssen sie Frauen den (Wieder-)Einstieg in den #Arbeitsmarkt und den Ausbau ihres Arbeitsvolumens erleichtern.
Read 9 tweets
Jul 10
“Steuerrabatt für Ausländer” ?

Es gibt gute Gründe für und kein schlagendes, rationales Argument gegen eine steuerliche Entlastung ausländischer #Fachkräfte. Ich befürchte jedoch, dass diese Initiative scheitern wird.
Kurzer 🧵:



zdf.de/nachrichten/po…
zdf.de/nachrichten/po…
Der Grund liegt in der #Selbstwahrnehmung: viele scheinen überzeugt, dass hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland uns mehr brauchen als wir sie. Zu viele haben noch nicht die existenzielle Bedrohung der großen demographischen Schrumpfung für unseren #Wohlstand verstanden.
Für andere geht es um #Identität, sie verzichten lieber auf Wohlstand, um nicht noch mehr #Vielfalt und Zuwanderung akzeptieren zu müssen. Die Befürchtung ist daher, dass eine solche Maßnahme Opfer des #Populismus werden wird,…
Read 4 tweets
May 14
600 Milliarden € beträgt die #Investitionslücke des deutschen Staates, nach Berechnungen von IW Köln und IMK. @SDullien @michael_huether

Einige Anmerkungen zur Einordnung im 🧵:

zeit.de/wirtschaft/202…
diese Entwicklung mit diesen Zahlen ist nichts Neues, wir hatten mit ähnlichen Berechnungen bereits 2013 am DIW Berlin auf die Investitionslücke hingewiesen. Sie ist seitdem noch deutlich größer geworden.
Wie die Studie zurecht anmerkt, so sind die 600 Milliarden € eher eine Untergrenze der Investitionslücke, denn notwendige #Investitionen in das Gesundheitssystem sind nicht enthalten, wie auch viele andere Bereiche beiInnovation, Forschung und Entwicklung.
Read 9 tweets
Feb 23
Der #Sozialstaat-#Populismus spielt verletzliche Gruppen gezielt gegeneinander aus. Er polarisiert die Gesellschaft, macht politische Reformen unmöglich und höhlt die #Demokratie aus. Davon profitiert einzig und allein die #AfD.

Meine neue Kolumne:

zeit.de/wirtschaft/202…
Der deutsche #Sozialstaat ist — trotz vieler Verbesserungsmöglichkeiten — effektiv. Es gibt in vieler Hinsicht heute weniger Bedürftige als vor 15 oder vor 30 Jahren - der Niedriglohnsektor ist geschrumpft, die Arbeitslosenquote ist gering.
Der Anstieg der Sozialausgaben ist primär der Alterung unserer Gesellschaft und nicht einer vermeintlichen Faulheit oder fehlenden Leistungsbereitschaft der Menschen – wie manche Politiker gerne behaupten – geschuldet.
Read 9 tweets
Feb 23
Eine Klarstellung, da ein Zitat von mir zur Bezahlkarte in den sozialen Medien zirkuliert, das von manchen aus AfD und anderen aus dem Zusammenhang gerissen wurde:

Eine schlechte Willkommenskultur, hohe Hürden für die #Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft und … Image
…Kürzungen von Leistungen sind alles „Pull Faktoren“, die vor allem die #Zuwanderung von hochqualifizierten Migrant*innen reduzieren — weil diese Menschen meist eine Wahl haben, ob sie Deutschland oder ein anderes Land wählen — wogegen es die Zuwanderung von Asylsuchenden …
…und gering qualifizierten Migrant*innen dagegen kaum reduziert — weil diese eben meist kaum eine Wahl haben.

Das Folgende sind Zitate aus meiner Zeit-online-Kolumne vom November 2023, die auch Links zu wissenschaftlichen Studien enthält:

zeit.de/wirtschaft/202…
Read 10 tweets
Feb 16
Die anhaltende wirtschaftliche Schwäche Deutschlands ist nicht überraschend und kein Grund zur Panik.

Meine Einordnung zu den neuen Zahlen und Prognosen zur Konjunktur im 🧵:

rp-online.de/politik/deutsc…
Die anhaltende Schwäche der #Wirtschaft Deutschlands ist nicht überraschend und kein Grund zur Panik. Sie ist vor allem das Resultat des #Ukraine-Kriegs, denn die hohen Kosten für #Energie und Lebensmittel bremsen den privaten Konsum und auch Exporte und #Investitionen.
Die Schwäche #China|s und die hohe geopolitische Unsicherheit durch die Kriege in der Ukraine und im Mittleren Osten treffen die deutsche Exportwirtschaft hart. Das Gerede von Deutschland als „kranker Mann Europas“ sind fehl am Platz, denn Deutschland leidet stärker …
Read 8 tweets

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