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Aug 28 19 tweets 3 min read
Fühle mich gerade bemüßigt, die Begründung für meinen Ausstieg aus der Wissenschaft zu beschreiben, jetzt, da seit dem Tag der Entscheidung ein paar Monate vergangen sind und ich mich etwas beruhigt habe.
Sollte kurzer #IchBinHanna Thread werden... 1/16
Ich hatte mich schon länger mit dem Gedanken befasst, in die Wissenschaft zu wechseln. Die grundlegenden Probleme sind wahrscheinlich jeder/m geläufig: Unsicherheit, (internationale) Umzüge, Finanzen, Beziehungen, etc. 2/
An der Stelle sollte ich auch noch einwerfen, dass ich nicht an der #WissZeitVG-Schwelle bin, keine Probleme hätte, eine weitere Stelle zu bekommen (sofern ich dafür, z.B. _wieder_ nach England ziehen würde). 3/
Ich bin auch nicht #firstgen. Meine Eltern waren beide promoviert und mein Vater war Professor. Allerdings sind beide verstorben bevor ich 30 war. Ich könnte es mir auch finanziell leisten, es noch ein paar Jahre zu versuchen. 4/
Ich habe einen recht kompetitiven CV mit einer guten Anzahl Publikationen in namhaften Journals, habe Konferenzen organisiert, Lehre, usw. Warum also nicht? 5/
Nun, ich will die Problematik an der Antwort auf eine namhafte Förderlinie illustrieren. Auf die Gefahr hin, dass das etwas wehleidig klingt, will ich daran doch das große Problem der fehlenden Zuverlässigkeit illustrieren. 6/
Die Forderung ist, dass man Drittmittel einwerben muss, um sich eine Perspektive zu erarbeiten. Die Begutachtung der Anhängigen proposals soll dann die Spreu vom Weizen trennen. Soweit so gut. Ich bekam also eine Absage mit folgender Gemengelage: 7/
Gutachter 1 und Gutachter 4 widersprechen einander. Beide liegen bzgl. state-of-the-art falsch. Gutachter 2 fällt insgesamt positives Urteil, lehnt aber ab, weil ich (während Corona) anscheinend nicht ausreichend keynote talks gehalten habe. 8/
Gutachter 3 stellt eine Frage zur Methodologie, die auf einer halben Seite ausführlich diskutiert wird.
Hätte ich die Förderung, wären diese Probleme nicht aufgetreten, bekommen? Ich weiß es nicht. Trotzdem sollte dies zeigen, dass ein Antrag ein Glücksspiel sein kann. 9/
Für mich war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

9a/
In einer Welt, in der solche Förderungen aber ein praktisch notwendiger Teil der Forschung und der Erlangung beruflicher Sicherheit sind, kommt damit der wissenschaftlichen Karriere der Nimbus einer professionellen Spielerkarriere zu. 10/
Fern von einer Bestenauslese bestimmt Glück, wer eines Tages Professor wird und, noch wichtiger, welche Forschung mit welchen Methoden vorangetrieben wird. 11/
Weiters zeigt mir diese Erfahrung, dass es einfach nicht genug erfahrene Wissenschaftler/innen gibt, die als Gutachter (für Artikel und Förderungen) agieren können. Diejenigen, die im System sind, sind entweder überlastet oder nicht ausreichend erfahren. 12/
Der Hang, Wissenschaftler/innen die Entfristung zu verwehren, sobald sie die nötige Erfahrung haben, führt genau zu diesem Problem: Die Erfahrensten sind überlastet und alle anderen sind nicht erfahren. 13/
Und, wie man an @HRK_aktuell-Vorschlag sieht, sind Verbesserungen nicht vorgesehen, sondern die Situation soll eher gezielt verschlimmert werden. 14/
Long story short: Ich finde nicht, dass ich akut aus dem System gedrängt werde. Stattdessen sehe ich, dass meine persönliche Lebenssituation unter der Wissenschaft leidet, das System in sich selbst kaputt ist, seinen eigenen Ambitionen nicht gerecht wird. 15/
Und ich bin nicht bereit, für ein System zu arbeiten oder es zu verbessern, wenn das System an sich mich dafür abstraft.

So, das war meine Reise. Vielleicht bietet das Anderen etwas Perspektive. Vielleicht musste das auch einfach mal raus. Fin. Good night, and good luck. 16/16
Korrektur: AUS der Wissenschaft, natürlich.
PS: Reihenfolge der Gutachter natürlich vertauscht.

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Dec 31, 2021
Guter Punkt und hat mich zum Nachdenken angeregt. Einer der Kritikpunkte an dem ganzen "Qualifikations"argument ist ja, dass nicht klar ist, was diese ominöse "Qualifikation" eigentlich sein soll, für die #IchbinHanna sich bis Mitte 40 auf befristeten Verträgen abrackern soll 1/n
Nehmen wir an, irgendjemand würde die Unis nun zwingen, einen Beispiellebenslauf zu veröffentlichen, dann ist das ein Drahtseilakt. Warum?
Eines der Probleme ist, dass derzeitige Profs teilweise bei schlechterer Quali. berufen wurden als heute von Kandidaten erwartet wird. 2/n
Sind die Anforderungen übertrieben hoch (5 nature paper, ERC grant, Preise für jede Karrierestufe), dann wird jede/r, der/die das nicht mehr erreichen kann, abbrechen. Folge davon -> Das System bricht zusammen, weil die Arbeitskraft für die Daueraufgaben nicht reicht. 3/n
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