Ich traue mich heute mal, etwas ausführlicher zu sein. Ich bin Ruby, Mitte 20 und #IchBinArmutsbetroffen. Ich habe keine Eltern.

Für den gesamten Thread gilt:
CN Depressionen, #Armut, #notjustsad, ADHD, Neglect 1/22
Ich stamme aus einer armen Familie mit Migrationshintergrund, sehe aber europäisch aus und wurde nie deshalb diskriminiert. Aber ohne Probleme bin ich trotzdem nicht aufgewachsen. 2/22
Ich war in der Grundschule Überfliegerin, habe mich nie für Hausaufgaben interessiert aber trotzdem gute Noten geschrieben. Zu Hause haben sich meine Eltern wenn sie beide da waren gestritten, meine Mutter war viel auf Arbeit und im Bett. 3/22
Ich habe mir ein Zimmer mit meiner Schwester geteilt, Privatsphäre Fehlanzeige. Sie war ab und zu bei Freunden, ich hatte nur oberflächliche Schulkameraden, außerhalb von Geburtstagen war ich zu Hause. 4/22
Ich habe mich daran gewöhnt, auf mich allein gestellt zu sein, habe mir online Freunde gesucht, dadurch auch extrem gut Englisch gelernt, aber nie gute Freunde gemacht. Meine Eltern haben sich um nichts gekümmert und sich dann auch getrennt. Es war mir egal. Dazu später mehr.5/22
In der Mittelstufe wurde das Gefühl von Allein sein immer stärker, aber ich habe die Schuld nur bei mir gesucht. Ab der 9. Klasse hatte ich auch plötzlich schlechte Noten, weil ich keine Hausaufgaben gemacht habe. Hinweise an die Eltern waren zwecklos. 6/22
Meine Mutter vermutete eine Hypothyreose, lag damit goldrichtig und zusammen mit dem Schulwechsel in der Oberstufe ging es mir plötzlich viel besser Ich war wieder ein Überflieger, auch wenn noch immer allein. Ich machte ein exzellentes Abitur, bewarb mich an der Uni. 7/22
Dort studierte ich auch für ein halbes Jahr, aber ich merkte schnell, das Hausaufgaben und Motivation ein Problem waren. Es war eom falsches Studium, ich fiel in meine zweite Episode und zweifelte daran, ob ich für ein Studium gemacht bin. Ich brauchte mehr Unterstützung.8/22
Ich bewarb mich an einer Uni mit mehr Unterstützung, wurde nicht genommen und schrieb mich notgedrungen woanders ein. Dort studierte ich auch, mehr oder weniger erfolgreich. Wenn mich etwas interessiert hatte, habe ich gute Noten geschrieben. Wenn nicht, dann nicht. 9/22
Ich habe nebenbei einen Job angenommen, mir etwas Geld verdient um einen Auszug zu finanzieren, aber auch Essen, weil ich Vegetarierin geworden bin und mein Vater kein Verständnis hatte. Für ein paar Monate ging das auch ganz gut. 10/22
Bis es dann endgültig krachte. Ich konnte mich nicht mehr durch schlängeln, man spricht von Gifted Child Burnout, ADHS, ich konnte mir nicht mehr durchtricksen. Ich landete in der Psychiatrie, versuchte mich aufzurappeln aber es war vorbei. 11/22
Ich verbrachte viel Zeit im Bett, am Nachdenken. Ich hatte mein Coming-Out, eine Bekanntschaft aus dem Studium half mir dabei, mich selbst kennen zu lernen. Ich war unglaublich glücklich. Dann stürzte ich erneut ab und wurde im Krankenhaus aus dem Job entlassen. 12/22
Zwischen Ärger mit dem Arbeitgeber und zwei längeren Krankenhausaufenthalten ging so mein gesamtes Erspartes drauf. Ich war plötzlich wieder mittellos, innerhalb von zwei Monaten waren über 1000 Euro weg. 13/22
Seit dem befinde ich mich in meiner dritten depressiven Episode. Ich habe mein gesamtes Studienumfeld hinter mir gelassen, anderen Support im IRL habe ich nicht. Meinen Eltern habe ich bis heute nichts davon erzählt. 14/22
Mein Vater konnte sich nicht leisten, mich zu unterstützen, wollte mich rausschmeißen weil das Kindergeld gestrichen wird. Ich hatte nie Vertrauen zu ihm, aber ich musste da raus. 15/22
Ich hatte Glück, bin über den SPD in eine WG gekommen. Dachte ich. Das Sozialamt und Jobcenter haben sich Zeit gelassen, ich habe drei Monate auf ALG2 gewartet. 16/22
Mein Vater hat mir Geld geliehen, damit ich mir Essen kaufen kann, während ich auf das Jobcenter warte. Dieses Geld hat das Jobcenter als Einkommen angerechnet und ich habe keine 200 Euro bekommen, bis das aufgebraucht war. 17/22
Ich hatte Existenzängste. Ich habe sie bis heute. Das ich aus Willkür meine Leistungen eingestellt bekomme. Ein soziales Umfeld habe ich nicht, so was kann ich mir nicht leisten. 18/22
Ich lerne immer mehr über mich, meine Kindheit und meine Beziehung zu meinen Eltern. Heute weiß ich, dass das Fehlen von sozialem Umfeld mich psychisch krank gemacht hat. Ich habe keine Bindung zu meinen Eltern, es ist als hätte es sie nie gegeben. 19/22
Ich werde nur immer wieder daran erinnert, das es sie nie gab. Ich habe vieles nie gelernt, was man in der Kindheit lernt. Ich weine, wenn andere von ihren tollen Eltern erzählen. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihnen. 20/22
Aber was geblieben ist, ist die Armut. Meine Garderobe besteht aus Pre-Transition Sachen, die mir nicht passen, dem wenigen was ich mir mal leisten konnte und Geschenken. ich kann große Therapieerfolge machen, aber am Ende hält mich das Geld auf, wieder aufzustehen. 21/22
Ich bedanke mich für jeden, der mir die Zeit geschenkt hat, meine Geschichte zu lesen. Aber wichtiger als meine Geschichte ist, zu verstehen, das Armut krank macht und krank hält. Existenzangst macht ohnmächtig. 22/22
Den ganzen Thread auf Threadreader: threadreaderapp.com/thread/1566495…

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