Warum tu ich mich eigentlich so schwer, #Naturheilkunde und #Phytotherapie (pflanzliche Heilmittel) positiv darzustellen. Nun, nicht weil ich nicht glaube, dass es da gute Sachen gibt, aber schauen wir mal etwas genauer hin, okay? (1/n)
Erstmal: Was ist Naturheilkunde? Tatsächlich ist der Begriff etwas schwammig: Für manche umfasst er vor allem pflanzliche Arzneimittel, für andere auch andere "Naturstoffe" aus Pilzen, Tieren oder Mineralien und zudem eventuell noch allgemeiner gesunde Ernährung und Lebens- (2/n)
führung. Das allein macht es schwierig, "Naturheilkunde" allgemein zu bewerten.
Aber auch bei der Pflanzenheilkunde (Phytotherapie) ist die Sache nicht ganz einfach - die "strengsten" Vertreter verstehen hierunter nur die direkte Verwendung von Pflanzen im frischen oder (3/n)
getrockneten Zustand, andere auch bestimmte "sanfte" Exktarktionsmethoden und im weitesten Fall fällt auch die Nutzung bestimmter aufgereinigter Pflanzeninhaltsstoffe darunter - wenn wir auch chemisch veränderte oder synthetisierte Stoffe, die ursprünglich auf eine (4/n)
pflanzliche Substanz zurückgehen dazuzählen, dann decken wir plötzlich große Teile der Pharmazie ab.
Bei de Begriffe "Natur-" und "Pflanzenheilkunde" sind also schon deshalb schwierig, weil wir eigentlich in jeder Diskussion erstmal klären müssten, wo wir die Grenzen (5/n)
ziehen.
Betrachten wir deshalb im Folgenden mal die "klassische" Phytotherapie, also den Einsatz von Pflanzen oder relativ rohen Pflanzenextrakten (z.B. Tees oder Alkoholauszüge):
Grundsätzlich sind Pflanzen als Lieferanten von Medikamenten spannend, da sie einen so (6/n)
vielfältigen Stoffwechsel haben - und das umfasst eben auch viele Substanzen, die medizinisch wirksam sein können. Oft sind das eigentlich Giftstoffe, aber viele davon können, richtig eingesetzt, nützlich sein:
Ein Gift, das den Blutdruck fallen lässt, kann gegen Bluthochdruck
helfen, eines das normalerweise Nährstoffe bindet und so die Verdauung stört, kann eventuell auch Gifte binden, eins das Durchfall auslöst Verstopfung heilen und so weiter.
Dabei ergeben sich aber zwei Probleme:
Zum einen enthalten Pflanzen immer zahlreiche Substanzen mit (8/n)
ganz unterschiedlichen Wirkungen. Von denen sind aber meist nur einzelne erwünscht - alle anderen sind unerwünschte Nebenwirkungen. Um die gleiche Wirkung wie bei einer Reinsubstanz zu erreichen, riskiert man beim Einsatz eines pflanzlichen Heilmittels also mehr Nebenwirkungen!
Und das wird noch komplizierter dadurch, dass der Gehalt an medizinisch wirksamen Sekundärstoffen natürlichen Schwankungen unterliegt - man spielt also ein gewisses Glücksspiel zwischen Unter- und Überdosierung.
All das heisst nicht, dass man pflanzliche Heilmittel nicht (10/n)
sinnvoll und sicher einsetzen könnte - es bedeutet aber auch, dass meist eher eine niedrige Wirkung sicher ist und genaue Einstellungen schwierig sind. Solche pflanzlichen Heilmittel sind also eigentlich vor allem dann sinnvoll, wenn ein Medikament zwar wünschenswert ist, (11/n)
eine exakte und starke Wirkung aber nicht nötig ist. Man könnte auch überspitzt sagen: Ideal für die "Wohlfühlmedizin", die etwas Linderung auf dem Weg zur sowieso wahrscheinlichen Besserung sucht. Und das soll nicht abwertend gemeint sein! Ein Kamillentee zur richtigen (12/n)
Zeit kann Leidensdruck definitiv senken, ein Kaffee gegen Müdigkeit und Kopfschmerzen helfen, Nelkenöl Zahnschmerzen erträglich machen, ein Chilipflaster die Durchblutung fördern und so weiter - alles nicht nur wertvoll, in normaler Anwendung auch sicher und es gibt (13/n)
PatientInnen Möglichkeiten aktiv mit Erkrankungen umzugehen - und das schließt definitiv das Mildern von Symptomen bei schwereren Erkrankungen ein.
Für die stärker aufgereinigten und genauer dosierbaren Extrakte aus Pflanzen gilt zu Anwendung und Risiken dann das Gleiche (14/n)
wie für alle anderen Medikamente, wir sind dann eindeutig im Bereich "klassischer" Pharmazie.
Klingt soweit doch alles gut, oder? Ja, aber... Und das sind zwei recht große aber:
Zum einen ist da das "Marketing": Die Bezeichnung "rein pflanzlich" ist ohne Frage werbewirksam (15/n)
und wird oft mit "mild" und "nebenwirkungsarm" verbunden - dabei sind die "milden" Mittel, solange sicher eingesetzt, wie beschrieben aber oft wenig wirksam und die wirksamen eben oft nichtmehr nebenwirkungsarm und/oder eigentlich klassische Pharmazie. Es ist sicher nicht (16/n)
grundsätzlich falsch, ein hübsches Blümchen auf eine Packung zu drucken, aber da, wo dann das Bild einer "natürlichen" und "milden" Alternative zur "Chemie" aufgebaut wird, ist das letzendlich irreführend.
Das andere Problem ist ein noch größeres: Es ist für Anwender teils (17/n)
schwer nachvollziehbar, ob ein "pflanzliches Arzneimittel" ein nach den Regeln für andere Medikamente zugelassenes Mittel ist, also klinisch auf Risiken und Wiksamkeit getestet - oder ob es nach den Regeln für "Traditionelle pflanzliche Arzneimittel"

de.wikipedia.org/wiki/Tradition…
nur registriert wurde - ohne klinische Daten, basierend auf mindestens 30-jähriger Anwendungserfahrung. Während die Sicherheit dabei gegeben sein muss, beruht die Annahme der Wirksamkeit dann teilweise in erster Linie auf einem Binnenkonsens ähnlich wie bei der Homöopathie.(19/n)
Und schaut man bei einigen beliebten pflanzlichen Mitteln mal genauer hin, dann ist die Datenlage oft erstaunlich mies - trotz einiger Forschung (z.B. Baldrian de.wikipedia.org/wiki/Baldriane…, Johanniskraut de.wikipedia.org/wiki/Echtes_Jo… oder Gikgo) -aber, gerade das sind auch die (20/n)
Beispiele mit vielen Erfahrungswerten, bei denen keine einzelnen wirksamen Substanzen identifiziert werden konnten, weshalb das pflanliche Arzneimittel hier tatsächlich wenn, dann als ganzes anzuwenden ist.
Wir finden also letztendlich unter dem Begriff "Phytotherapie" (21/n)
eine schwierig zu fassende Mischung die von Esoterik über Unsicheres aber Plausibles und wenig Wirksames aber Sinnvolles bis zu Hochwirksamem aber zuweilen auch potentiell Gefährlichem reicht.
Insofern sind Pflanzen als Ausgangstoffe für Medikamente wichtiger und spannender (22/
Teil der Pharmazie und in der Selbstanwendung oft wertvolle Hausmittel für kleinere Problemchen - aber manchmal auch Hokuspokus oder zu vieles versprechend. Und deshalb heisst es also auch hier: Im Zweifel genau hinschauen, vor allem, wenn eine Wirkung wichtig ist und (23/n)
auch hier mit Nebenwirkungen rechnen!
Den Versuch, mit Aloe-vera-Extrakt einen Sonnenbrand zu lindern, werde ich persönlich nicht vergessen. Wirklich belegt ist da nämlich nur die abführende Wirkung und als Komplikation die nicht so selten auftretende Hautreizung 😅 (24/n)
Was aber bei aller begründeten Skepsis ganz klar festgehalten werden muss: Phytopharmaka können wirksam sein und sind als echte Medikamente anzusehen, im Gegensatz zu Hokuspokus wir der Homöopathie, die zwar Pflanzen auch als Ausgangssubstanzen nutzt, wo aber nichts (25/n)
mehr drin ist, was wirken könnte, so dass die behandlung nur Placeboeffekte auslösen kann. Aber dann halt auch keine juckende rote linke Körperhälfte (Ja, ich hab das dann einseitig getestet...)

Mäuschen Out 🐭 (26/26)
P.S. Schönes Video zum Thema
P.P.S. Wikipedialinks als Belege wegen der Laienzugänglichkeit, ich schau aber, dass da ordentliche Quellen drin sind - nur falls sich jemand beschweren will 😜

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Sep 14
Wie manipuliert man Umfragen? Ein schönes Beispiel für eine manipulative Fragestellung liefert heute @julius__boehm aus dem Team von @jreichelt:

Warum ist das keine seriöse Fragestellung? (1/7)

Image
Erstaml, das auffälligste: Die "Ja"-Antworten werden mit Begründungen geframet - hier gibt es "aus Überzeugung", was eher ideologische Motivation andeutet, als rationale Überlegungen und "keine Lust auf Maske", was auf die möglichen Regelungen im Winter und Ärger darüber (2/n) Image
abzielt. Die "Nein"-Option dagegen beinhaltet keinen Zwang, sich zu einer von zwei ungünstigen Begründungen zu bekennen.
Außerdem trennt die Umfrage die "Ja"-Antworten in zwei Lager, von denen man eins leicht von der Überzeugung her der (bevorzugten?) "Nein"-Fraktion (3/n)
Read 8 tweets
Aug 27
Was stört eigentlich mich als Wissenschaftler so sehr an der #Homöopathie? Genz ehrlich: Eine Menge und meist wird davon nur ein kleiner Teil überhaupt thematisiert.
Schauen wir das ganze mal an: (1/n)
1) Homöopathie wirkt nicht. Nein, sie wirkt auch nicht über den Placebo-Effekt. Verschiedene Placebo-Effekte wirken bei einer homöopathischen Behandlung, werden aber nicht spezifisch durch die Homöopathie ausgelöst! (2/n)
2) Durch die Inanspruchnahme dieser Placebowirkungen wertet die Homöopathie aber eben die Ursachen dieser Placeboeffekte ab: Psychosomatische Effekte der sprechenden Medizin, Stressreduktion durch Rituale etc. Deren Bedeutung wird nämlich verschleiert, wenn man ihre (3/n)
Read 29 tweets
Aug 24
Im Moment gibt es ein paar Sommerlochschreiberlinge, die über gefährliche Spinnen 🕷️schreiben, die dank Klimawandel oder Handel zu uns kommen.
Das ist Panikmache.
Weltweit können nur wenige Spinnenarten überhaupt durch die menschliche Haut beissen UND haben eine Giftwirkung,(1/n)
die mehr als eine Reizung hervorruft. Einheimisch ist der Ammendornfinger in manchen Trockenwiesen meist etwa so gefährlich wie ein Bienenstich, meist passieren Bisse beim versehentlichen oder absichtlichen zerreissen des Gespinstes.
Auch bei der südeuropäischen schwarzen (2/n)
Witwe sind die meisten Bisse harmlos und es gibt ein Gegengift, Bisse können aber extrem schmerzhaft sein.
Allgemein sind große auffällige Spinnen oft weniger riskant als kleine, da sie, da man sie nicht übersieht. Vogelspinnen haben dabei Kiefer, die sich für kräftige Bisse(3/n)
Read 14 tweets
Aug 22
#Menschen sind so unfassbar nervig. Wir sind eine unerträglich eitle Art, die ihr halbes Leben damit verschwendet, sich selbst als irgendwie außergewöhnlich hinzustellen. Und das nur, weil es uns unfassbare Angst macht, "nur" ein denkender Zellhaufen zu sein, der eines Tages 1/13
verrottet.
Das fängt mit unserer "Intelligenz" an. Ja, wir können einiges besonders gut, aber reicht uns das? Nein, wir versuchen krampfhaft irgendwelche Einzigartigkeiten zu finden, die uns zu was ganz besonderem machen. Erst war das Werkzeuggebrauch, dann sekundärer Werk- 2/n
zeuggebrauch, der Spiegeltest oder die Fähigkeit bewusst zu lügen. Und immer wenn wir das auch bei Tieren finden - oft viel ausgeprägter als erwartet - kommt irgendein gekränkter Philosoph und jammert mit zitternder Unterlippe "Ja, aber nur Menschen können...". Und wenn wir 3/n
Read 14 tweets
Aug 20
Okay, ich versuche mal zu erklären, warum das ein wirklich abgefahrenes Paper ist:
Ein Kernthema der Molekularbiologie ist die Genexpression, also das zur Wirkung kommen eines Gens. Für klassische Gene heisst das, das die DNA des Gens in RNA umgeschrieben wird, diese dann (1/17)
die Anleitung zur Bildung eines Proteins ist und das Protein irgendeinen Effekt hat. Will man verstehen, wie Gene auf Umweltfaktoren oder Entwicklungsschritte des Organismus (z.B. Hitze, Ernährung, Medikamente, Stress, Altern usw.) reagieren, dann muss man also analysieren, (2/n)
wie sich die zum Gen gehörende RNA, das Protein oder dessen Aktivität verändern. Da RNA gut zu quantifizieren ist (zum beispiel über qPCR, kennt ihr von Corona) UND weil eine Veränderung der RNA-Menge als erster Schritt der beschriebenen Genexpression auch das direkteste (3/n)
Read 17 tweets
Jul 31
Sollen wir mal einen kleinen Blick nach #Österreich werfen, auf #Impfquote|n und #Inzidenz|en und auf #Korrelation|en?
Okay, machen wir!
Da sieht es nämlich im Moment so aus, als wären die Inzidenzen dort höher, wo auch die Impfquote höher ist (Quelle: covid2019.at/impfungcompare) /1
Etwas deutlicher wird das, betrachtet man den Anteil nicht-voll-Immunisierter. So richtig stark ist die Korrelation aber nicht. Eigentlich sieht es fast eher so aus, als gäbe es drei Gruppen von Bezirken: 2/n
Den (gelben) Cluster mit eher niedriger Inzidenz (und Immunisierung), den roten mit hoher Inzidenz (und Immunisieerung) und Wien, das als Großstadt auch von der Gesamtzahl der Fälle einfach heraussticht. Innerhalb der beiden Gruppen gibt es so gut wie keine Korrelation mehr 3/n
Read 13 tweets

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