Warum man in der Philosophie keine Aufsätze in hochrangigen internationalen Zeitschriften unterbringt:
– der Reviewer bemängelt, man habe einen wichtigen Beitrag nicht genannt: die eigene Diss
– der Reviewer bemängelt überhaupt nichts, das Paper wird einfach abgelehnt
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– der Reviewer bemängelt, dass man sich in der Kritik des einen Paradigmas nicht auf Voraussetzungen desselben Paradigmas berufen hat
– der Reviewer liest das Paper nur flüchtig und beklagt das Fehlen von Passagen, die er überlesen hat /2
– der Reviewer lehnt das Paper ab, weil es nicht seine eigene Position zum Thema widerspiegelt
– der Reviewer bemängelt, dass eine nicht existente Forschungsdiskussion nicht abgebildet wurde
– der Reviewer denkt sich Kritikpunkte einfach aus, die es nicht gibt
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– der Reviewer fordert die umfangreiche Umarbeitung des Textes zu einem ganz anderen Text
– der Reviewer hält am Forschungsstand von 1982 fest, lehnt aber den Text ab, weil ein hastig gegoogelter Artikel von 2022, der mit dem Thema nix zu tun hat, fehlt /4
– der Reviewer findet das Thema nicht wichtig
– der Reviewer bemängelt, dass nicht nach einer philosophischen „Standardmethode“ (TM) vorgegangen wurde
– der Reviewer beurteilt das Paper polemisch nach einem doxographischen / geschichtsphilosophischen Vorurteil
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– der Reviewer fordert, dass die Diskussion des Themas einzig in Begriffen seines eigenen Paradigmas stattzufinden habe
– der Reviewer bemängelt fahrig und vage „Form und Gestalt des Textes“, ohne Details
– … /6
Warum ist das so?
(1) Die Philosophie kennt keine Standardthemen, -methoden, -begriffe. Das macht Argumente im Peer Review beliebig. (2) Die Journals ertrinken in einer Flut von Anfragen, seit Beiträge in englischsprachigen Peer-Reviewed-Journals immer mehr /7
zum Goldstandard für Stellenbesetzungen geworden sind und andere VÖ sogar als Minuspunkte gelten, darunter die Monographie (3) Die Konkurrenz ist entsprechend überwältigend, so überwältigend, dass Unsitten wie ‚pay to be published‘ und ‚desk rejections‘ immer häufiger werden /8
(4) Entsprechende VÖ sind auch Goldstandard bei der Vergabe von Drittmitteln, insbesondere bei vom Stelleninhaber selbstständig einzuwerbenden Stellen (5) Die Editorial Boards sind häufig einseitig besetzt und winken nur noch Beiträge durch, die das vorherrschende Paradigma /9
bestätigen (6) Entsprechende Journal-VÖ sind auch bei der Mittelvergabe an die Universitäten selbst bzw. die Fakultäten entscheidend, was den Druck zusätzlich erhöht, Selektion fördert und damit Scholastik als pragmatisches Kriterium (7) Es gibt Netzwerke und /10
Zitierkartelle, in denen Entscheider für Finanzierungen, Mitherausgeber von Journals und ihre Mitarbeiter und Doktoranden sich im Kreis zitieren und veröffentlichen (8) Weil Peer Review ‚Wissenschaftlichkeit‘ suggeriert, kann man all das als normalen wissenschaftlichen /11
Selektionsprozess kaschieren – so wie das BMBF seine repressive Stellenpolitik und das ausbeuterische Wissenschaftssystem durch die Schlagworte ‚Innovation‘ und ‚Wissenschaftliche Leistungsfähigkeit‘ kaschiert #IchbinHanna#IchbinReyhan /12
Q. e. d.: Analytiker, profitiert vom PR-System, muß daher den Thread als „pauschalen Frust-Rant“ – also explizit ad personam – diffamieren. Danke, Tobias.
Es gibt Kriterien, die Philosophie von Nichtphilosophie unterscheiden, z. B. die Art des Fragens oder des Antwortens.
Es gibt aber keine Standardmethoden, Standardthemen, Standardbegriffe. Jede Methode, jedes Thema, jeder Begriff ist problematisch. /1
Nun gibt es philosophische Schulen, die sich z. B. auf das methodische, begriffliche usw. Vokabular eines Philosophen beziehen und behaupten, das sei das Vokabular von Philosophie überhaupt. Der Grund: Diskurshoheit. /2
Eine Schule, die bestimmen kann, was philosophisch ist und was nicht – weil es den von der Schule festgelegten Standards nicht folgt –, kann Sichtweisen, die ihr widersprechen, ausschließen. Die Grundlage: Ihr Dogma von der Standardmethode, von Standardbegriffen usw. /3
Es gibt eine Darstellung von Theorie im Allgemeinen & Philosophie im Besonderen, die weit verbreitet ist. Sie wird von Gesprächsformaten, Feuilleton und populären Wissenschaftsdarstellungen mitbestimmt:
Theorien verhalten sich zueinander wie starke Meinungen. /1
Man stellt sich dabei Theoretiker nicht selten wie Streithansel vor, wie Ringkämpfer oder Boxer, die einander „beharken“, bis einer die Oberhand behält oder es unentschieden ausgeht.
Diese Vorstellung ist nicht nur ein Schein. Sie ist Ergebnis einer Aneignung. /2
Das Grundmuster dieser Vorstellung ist der alltägliche, öffentliche Meinungsstreit. Dieser Meinungsstreit ist aber keineswegs so ideell gestaltet wie es sich anhört: Große Teile des öffentlichen Diskurses besteht nicht aus einem Austausch von Meinungen, sondern aus der /3
@a_nnaschneider, „Chefreporterin Freiheit“, gibt auf Twitter den Inbegriff dessen, was @CAmlinger und @onachtwey „libertären Autoritarismus“ nennen: Mal ist der Staat ein Räuber („Steuern sind Raub“), eine kriminelle Organisation. Dann wieder ist Frau Schneider eine glühende /1
Demokratin, die politischen Aktivismus der Gegenseite als Demokratieverachtung brandmarkt – und es feiert, wenn ein staatlicher Vertreter im TV Journalisten zurechtweist (danke @vicijlo). Staat an / aus – je nach Lage: Libertarismus ist Willkür. Mehr nicht. /2
(1) Der Text ist Ausdruck einer Aussageabsicht seines Autors, die durch Auslegung ermittelt werden soll.
(2) Der Text ist selbst Gegenstand der Auslegung, ohne Umweg über Autor und Absicht. /1
Folgt man Option (1), konstruiert man eine Hinterwelt des Textes, die zugleich durch den Text als solche allererst aufgewiesen werden muss. Da die Annahme einer solchen Hinterwelt – einmal gemacht – persistent ist, gerade bei schwierigen Texten, die oft ausgelegt werden, /2
entstehen a) ein Konflikt möglicher Auslegungen dieser Hinterwelt und b) ein Regress der Kommentierung. Denn jede Auslegung beansprucht natürlich, die richtige Textauslegung zu liefern, also den richtigen Textsinn zu treffen und dieser Textsinn ermöglicht es dann wieder /3
Wer behauptet, es sei in den Geisteswissenschaften ein „Prinzip“, Texte „karitativ“ zu lesen, also so, dass man ihnen einen „guten Sinn“ unterstellt, damit man etwas „lernen“ kann, versucht, eigene Beweislasten seinen Kritikern aufzubürden. #servicetweet@philpublica@romyjaster
Schon die Formulierung „karitativ“ ist in diesem Zusammenhang irritierend: Dem Kritiker eines Textes wird die moralische Pflicht zur „Wohltätigkeit“ und „Nächstenliebe“ aufgebürdet, während man Texte unter der Hand zu Lehrmaterialien macht, aus denen man etwas lernt.
Ärgerlicher ist dabei, dass eine vulgäre Texthermeneutik, die Texten einen Hintersinn unterstellt und sie nur als Ausdruck von Gemeintem verstehen kann, sich zum moralischen Kriterium für Diskurse erhebt. Dem ist zu entgegnen: Nur, weil Ihr in Euren Seminaren keinen