Die Grünen, die Klimabewegung & die #Luetzerath-Räumung: ein Versuch, die politische Lage halbwegs nüchtern zu sortieren. 1/ Foto: Tim Wagner
Wenn wir jetzt mal die frühere Vorgeschichte (rot-grüne Leitentscheidung zu Garzweiler II etc.) weglassen: Anzuerkennen ist, dass das schwarz-rote Kohleausstiegsgesetz 2020 ein gigantisches Problem darstellt, für das die Grünen nicht verantwortlich sind. 2/
Auch in der Bewegung wird unterschätzt, wie die GroKo das Gesetz für die Ewigkeit gebaut hat, indem sie es parallel in Privatverträge mit den Kohlekonzernen goss. Letztere sind dadurch faktisch Vertragspartner eines Gesetzes (!), müssen sie betreffenden Änderungen zustimmen. 3/
(Oder die neue Regierung mit Grünen müsste sich anders entscheiden, welche sich widersprechenden Verträge sie einhält & welche nicht - Paris oder Kohleausstiegsgesetz. Man könnte sowas zur Bedingung für Koalitionen machen. Man würde dann halt riskieren, nicht zu regieren.) 4/
(Zum selektiven Brechen von Verträgen siehe @Luisamneubauer @CaroRackete:) 5/
spiegel.de/politik/deutsc…
Zudem drückt dieses Kohleausstiegsgesetz natürlich die Kräfteverhältnisse aus, die auch ganz oberflächlich-demokratisch ablesbar sind: Auch 2021 hat 1 Mehrheit wieder Kohle- und Betonparteien gewählt. Dass eine 15%-Partei daran vorbei nicht regieren kann, wie sie will: klar. 6/
Insofern: Ja, die Grünen haben ein Problem geerbt & eine mäßige Verhandlungsposition. Auch damit haben die vagen Formulierungen im Koalitionsvertrag 2021 zu tun (Kohleausstieg "idealerweise" bis 2030, "über Lützerath entscheiden die Gerichte"). 7/
Dummerweise hat man auch im Verkehrssektor, den man der FDP überlassen hat, keinen harten Klimaschutz rausgehandelt. Dazu die Lockerung der jährlichen Überprüfung der Sektorenziele im KSG. Entscheidende Mission war offensichtlich nicht das Klima, sondern eben das Mitregieren. 8/
Nun musste also in NRW für ordnungsrechtlichen Kohleausstieg 2030 mit RWE verhandelt werden. Sicher bietet RWE viele polit. Angriffspunkte, wenn man es als Landesregierung hart angehen will. Aber man hatte sich dort einen konservativen Koalitionspartner angelacht. 9/
Und dreckig spielen lässt man eh nur die anderen.
Hätten die Grünen jetzt noch Lützerath & die Kohle darunter retten können? Wäre wohl schwierig gewesen. Aber sie hätten es zumindest nicht freudig verhökern müssen. 10/
Doch rebellieren wollen die Grünen nun auch nicht, sondern sich als verlässliche Partner beweisen - ggü. Bürgertum, Industrie, FAZ.
Also sollte ein versöhnlicher Deal her. Den durften die Grünen sogar mit RWE alleine den Medien präsentieren, die Koalitionspartner*innen.... 11/
...in NRW+Bund hielten sich fein raus. (Die Unterwerfung geht also so weit, dass man vor lauter Verantwortungsdrang noch den Mist auslöffelt, den die anderen fabriziert haben. Und natürlich gehört auch ein "robuster" Polizeieinsatz dazu.) 12/
Ergebnis: RWE darf in den nächsten Jahren, wo es sich lohnt, mehr Kohle wegbaggern, & zwar die rentabelste unter Lützerath & verzichtet dafür großzügig auf Verstromung nach 2030. Mit Blick auf die EU war allen Beteiligten klar, dass die sich dann eh kaum noch rentieren würde. 13/
Dazu noch ein paar Subventionen für fossile Gaskraftwerke etc. Das Paket wurde von grüner Seite offensiv als klimapolitischer Durchbruch verkauft und natürlich nicht als das Desaster, das es ist. 14/
Habeck sagt nun, Lützerath sei das "falsche Symbol". Das eigentlich falsche Symbol ist aber natürlich das der Grünen: ihr Wahlversprechen "Kohleausstieg 2030". Fürs Klima ist nicht das Jahr relevant, sondern die Menge an verbrannter Kohle. Die liegt unter Lützerath. 15/
Gleichzeitig bleibt die Wahrnehmung als Klimapartei und als parlamentarische Vertretung der Klimabewegung natürlich ein Pfeiler des elektoralen Erfolgs der Grünen. Ohne FFF wäre sie heute vielleicht nicht in der Regierung. 16/
Daher die Wut über diejenigen Grünen, die sich jetzt vor Ort mit Lützerath solidarisieren. Ich persönlich glaube @KathrinAnna @micha_bloss @xsarahlee @Dzienus, dass sie ehrlich gegen Räumung & Abbaggerung sind & immer waren; sie sind z.T. auch 0 politisch verantwortlich. 17/
Nur: Für die Parteiführung ist diese demonstrative interne Opposition möglicherweise ganz nützlich. So behutsam, wie die interne Differenz sichtbar gemacht wird, wirkt sie kaum zersetzend - aber signalisiert an den wirklich klimaengagierten Teil der Wähler*innenschaft: 18/
Haltet durch, stärkt den Richtigen den Rücken, dann kommt so was in Zukunft nicht mehr vor. Das nährt Illusionen - aktuell ist schwer vorstellbar, dass die wenigen verbliebenen stabileren Kräfte bei den Grünen mittelfristig dominant werden könnten. 19/
Wir reden ja von einer Partei, in der gar keine ernsthaften Flügelkämpfe mehr wahrnehmbar sind, in der der alte Real@/Fundi-Proporz bei den Führungspositionen längst aufgegeben wurde. Es gibt nur noch Zentrist*innen und eine Handvoll Aufrechte, die irgendwie noch mitmischen. 20/
Damit sind die Grünen natürlich nicht Hauptfeind der Klimabewegung (keine Sozialfaschismusthese hier), aber eben auch nicht tragisch-unschuldige Verbündete. Sondern eine ganz normale bürgerliche Partei, die denselben Logiken folgt wie die anderen, mit denen sie gerne koaliert.21/
Für die Klimabewegung bleibt sie dennoch speziell relevant, weil sie durch ihr Klimaprofil als einziges unter Druck zu setzen ist - indem eben ihre Wahrnehmung als Klimapartei bedroht wird. Das geschieht gerade nach Kräften in #Lützerath & das ist auch richtig so. 22/
Dass dieser Druck gerade nicht ausreicht, das Kalkül der Partei so zu verändern, dass sie das Räumungsspiel nicht mitspielt, ist bitter. Hängt natürlich auch daran, dass realer (!) Klimaschutz eine minoritäre Position in D ist (= die drohenden Verluste sind überschaubar). 23/
Und klimapolitisch fehlen offensichtlich parlamentarische Alternativen - es ist so recht schwer, das Label "Klimapartei" zu verlieren, egal was man tut (= Verluste noch überschaubarer).
Also: Mal sehen, wie sehr #LuetzerathUnräumbar an dem Kalkül noch kratzen kann!
24/ENDE
P.S.: Grüne, die es sportlich sehen & ernsthaften Klimaschutz wollen, könnten auch feststellen, dass Bewegungsdruck als Gegenwicht zu Konzerndruck ihre koalitionsinterne Verhandlungsposition stärkt ("Wir können keinen schlechten Deals mehr zustimmen, die steigen uns auf Dach")🤷
Nachtrag: bei @klimareport hatte ich 2020 nach dem Kohleausstiegsgesetz eine Bilanz mit Blick auf die Bewegung gezogen:
klimareporter.de/protest/was-nu…
Und dass keine Missverständnisse aufkommen: Wenn grüne MdBs, *die dem Deal zugestimmt haben*, in Lützerath für Fotos posieren und so tun, als hätte das alles nichts mit ihnen und ihrer Partei zu tun, ist das natürlich lächerlich & wird zurecht lächerlich gemacht.

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