Thread by @pavel23

Was sich jetzt rächt ist das Schweigen zu den Ergebnissen der #NordStream - Untersuchungen, insbesondere was die Auswertung der von Schweden gesicherten Beweismittel angeht.

Es spielt auch gerade keine Rolle, dass der Artikel von #SeymourHersh sehr wahrscheinlich eine Ente ist. Das Problem ist die Geheimhaltung und das Informationsvakuum, in das Hersh nun mit einer tollen Geschichte gestoßen ist.

https://twitter.com/pavel23/status/1623703213756108802

Den USA ist zwar grundsätzlich jede Schweinerei zuzutrauen, ebenso wie Russland oder China, aber die Geschichte passt einfach nicht und kommt ohne Beweise oder Zeugen daher und ist nüchtern betrachtet nicht mehr als eine Behauptung aus zweiter Hand.

Das Problem ist nur, dass man die Angelegenheit nicht nüchtern betrachten kann, denn wir befinden uns in einem Stellvertreterkrieg und Informationskrieg, in dem weniger zählt, was wahr ist, sondern was geglaubt wird, und offenbar schenken nicht wenige der Geschichte Glauben...

...oder sind verunsichert. Das kann sich fatal auf die Bereitschaft zur Unterstützung der Ukraine auswirken, die nun gar nichts dafür kann. Aus meiner Zeit in der Politik bin ich auch etwas mit den Mechanismen vertraut, wie man auf haltlose Vorwürfe eingeht: Am besten gar nicht.

Wenn man es nicht vermeiden kann, etwas zu sagen, dann bestreitet man alles kurz und kategorisch, und in der Regel kommt dann auch nix nach und das Interesse erlischt. Das wird in dem Fall aber nicht ausreichen, glaube ich, denn die Sache ist bereits zu sehr hochgekocht.

Außerdem besteht durchaus die Möglichkeit, dass da etwas dran ist, so lange es keine veröffentlichten Untersuchungsergebnisse gibt, die glaubwürdige Hinweise auf die Urheberschaft geben - was vielleicht nie der Fall sein wird, siehe unten bei "plausible deniability".

Wofür man Hersh dankbar sein kann ist, dass das Thema #Nordstream nun wieder auf der Tagesordnung ist und wir so vielleicht eine kleine Chance haben, der Wahrheit etwas näher zu kommen.

Nun ist vor allem die deutsche Bundesregierung gefordert, zu liefern, und auch Biden wird sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen müssen, den Kongress umgangen zu haben, denn es steht nun mal im Raum und wird von seinen Gegnern aufgriffen werden.

Es gibt im deutschen Recht die grundsätzliche Pflicht zur Anscheinsvermeidung, also Maßnahmen zu ergreifen, um den Anschein zu vermeiden, dass man eine Straftat begangen hat oder gegen geltendes Recht oder moralische Normen verstößt.

Dies spielt insbesondere bei Amtsträgern eine große Rolle, etwa Beamte, die sich so zu verhalten haben, dass nicht einmal der Anschein entsteht, sie könnten bestechlich sein. Ich sehe die Bundesregierung nun in der Pflicht, den Anschein zu vermeiden,...

...sie wäre an einer Aufklärung nicht interessiert oder gar möglicherweise selbst in diese Straftat involviert. Derzeit gibt es jedenfalls Null Informationen über den Stand der Ermittlungen, und auch die deutsche Presse scheint an einer Aufklärung kein großes Interesse zu haben.

Ich kann verstehen, dass die Bundesregierung kein Interesse hat, den beweislosen und ungeheuren Behauptungen einer Einzelperson zusätzlich Gewicht zu verleihen, aber völlig unabhängig davon gehören die Anschläge mit Nachdruck untersucht und so weit wie möglich aufgeklärt.

Die Schweden dürften zumindest wissen, welcher Sprengstoff und welche Auslösevorrichtung verwendet wurden, und es dürfte Aufzeichnungen von Hydrophonen geben, die Auskunft über etwaige akustischen Triggersignale im Vorfeld geben könnten.

Sollten Sonarbojen zur Auslösung verwendet worden sein, können sie auch nicht spurlos verschwunden sein, denn die haben einen Salzstöpsel im Auftriebskörper, der sie nach Stunden versinken lässt. Und eine Boje hätte eher nicht ausgereicht, die Signale reichen nur rund 25 km.

Wäre ich in die Planung involviert gewesen, hätte ich VLF oder ELF Radioempfänger zur Auslösung vorgeschlagen, wo der Sender überall auf der Welt stehen oder ein Satellit sein kann, und die Sprengsätze von Söldnern anbringen lassen, die nicht wissen, wer ihr Auftraggeber ist.

Oder noch einfacher: Ich hätte konventionelle, zivile Zeitzünder genommen und die Dinger erst angebracht, wenn ich die Entscheidung zum Sprengen getroffen hätte. Und ich hätte eine Privatyacht oder ein Fischerboot genommen, um die Taucher ans Ziel zu bringen.

Die Hersh-Geschichte scheint mir unnötig kompliziert für eine so einfache Aufgabe, und jeder beteiligte Soldat ist ein potentielles Leak, ebenso wie Militärtechnik, wo doch zivile Technik reicht. Die Russen dürften es eher genau so gemacht haben. Plausible deniability.

Des weiteren könnte sich irgendwo noch ein nicht detonierter Sprengsatz an der unbeschädigten Nord Stream 2 - Röhre befinden oder weggeschafft worden sein, denn warum sollte außer Russland jemand ausgerechnet eine Nord Stream 2(!) Röhre absichtlich ganz lassen wollen?

Die Art der Sprengsätze könnte allerdings auch eine absichtlich falsch gelegte Fährte sein, so dass die Russen etwa westliche Technik und Sprengstoff und die USA russische Technik und Sprengstoff eingesetzt haben, ...

...und die Untersuchungsergebnisse könnten deshalb geheim gehalten werden, weil es sich um westliche Sprengtechnik handelt und die Behörden vermeiden wollen, dass die Öffentlichkeit daraus voreilige Schlüsse zieht - oder richtige.

Hersh hat uns der Wahrheit nicht direkt näher gebracht, aber wird vielleicht indirekt dafür sorgen, dass jetzt etwas Schwung in die Sache kommt, sich andere Journalisten damit beschäftigen und unseren Ermittlungsbehörden etwas Druck gemacht wird. Man wird ja noch hoffen dürfen.