🇦🇹⛓️🇷🇺 "An der #Gasleine Russlands"

Ein #Thread über die Entwicklung der Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas. Hintergrund ist eine gestern veröffentlichte Analyse von @herbert_lechner (@at_AEA). Sie basiert auf öffentlich zugänglichen Informationen.
Vorausgeschickt Pt 1:
In den letzten 60 Jahren ist viel passiert und die 150-Seiten-starke Analyse in einem Thread zusammenzufassen ist nicht leicht.

Wer einen guten Überblick über die Geschichte bekommen will, sollte sich unseren Podcast anhören 👇

Vorausgeschickt Pt 2:
Es geht uns mit der Analyse nicht darum, die Schuld bei einzelnen Personen zu suchen. Anspruch war es, erstmalig das große Ganze darzustellen und Fakten zu verdichten, um Erkenntnisse für eine bessere Energieversorgung abzuleiten.

Aus den @at_AEA Statuten:
Die Analyse ist keine Auftragsarbeit – Motivation und Ressourcen dafür stammen vollständig aus der Energieagentur.

So, jetzt geht’s aber los – die Geschichte der Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas – und was wir daraus lernen können.

Beginnen wir bei den Zahlen.
Seit 1968 wird sowjetisches/russisches Gas nach Österreich importiert. Bis 2020 waren es gesamt 218 Mrd m³ (2.200 TWh).

82 % der Importe stammten damit aus russischen Quellen, im Zeitraum 1968–2020 deckten diese durchschnittlich 64% des 🇦🇹 Gasverbrauchs.

Ist das nicht riskant?
Klar ist das riskant. Wie die historische Aufarbeitung zeigt, wurde auch immer wieder vor dieser einseitigen Abhängigkeit gewarnt.

Wer? Der Nationalrat, die Regierungen, Expert*innen, die EU, Landesverteidigung, Ministerien, Botschafter anderer Länder.

Ein Beispiel aus 1971:
Und diese Abhängigkeit wurde immer wieder auch ausgenutzt. Laut @FOIresearch gab es allein zwischen 1991 und 2006 mind 55 Fälle, in denen Gazprom / Russland Lieferungen stoppte oder zumindest damit drohte.

Der Zwischenfall Anfang 2009 ist vielleicht noch einigen in Erinnerung 👇
Was war? Ein Gasstreit zwischen 🇷🇺 und 🇺🇦 eskaliert, ab 7. 1. 2009 war das russische Gas auch in Österreich ganz weg. 2 Wochen lang.

Die politische Stimmung von damals ist im Podcast nachzuhören oder in diesem Protokoll zur #OeNR-Sitzung nachzulesen:

parlament.gv.at/dokument/XXIV/…
Das Bewusstsein, dass wir an der russischen Gasleine hängen, hat es immer wieder gegeben. Teils auch Versuche, sich unabhängiger zu machen.

Etwa mit der letztlich gescheiterten Nabucco-Pipeline, die Gas aus Aserbaidschan nach Österreich bringen sollte).

diepresse.com/1423006/nabucc…
So richtig gelungen ist ein Schritt in Richtung Diversifizierung nur einmal:

1986 gelang der Austria Ferngas (AFG, gemeinsam mit der ÖMV) ein Vertragsabschluss für norwegisches Gas mit einem Lieferbeginn ab 1993.

Mengenmäßig waren das 20–25 % des russischen Liefervolumens.
Energiegesellschaften der Bundesländer gründeten die AFG 1962 u.a mit dem Ziel, Gasimporte (auch abseits 🇷🇺👇 ) zu erschließen.

Die ÖMV wollte sich auch beteiligen, das Importgeschäft aber dann doch exklusiv für sich.

Die AFG gibt es seit den 2000ern nicht mehr, die OMV schon.
Ein Sprung zurück: Nach Ende des 2.WK beschlagnahmen Sowjets die 🇦🇹 Erdölindustrie, die Sowjetische Mineralölverwaltung (SMV) entsteht.

1955 wurde die SMV gegen 💰 an die Republik übergeben und in die ÖMV umgewandelt.

Diese war geprägt von Sowjet-Management, Kontakten usw.
Und so kam es, dass – obwohl auch die AFG mit der UdSSR verhandelt hat – die ÖMV 1968 den ersten Gasliefervertrag abgeschlossen hat. Eine 🇷🇺 Pipeline nach Bratislava gab es schon, das Verbindungsstück nach Baumgarten war schnell gebaut, die zukünftige „Gasdrehscheibe“ geboren.
Die Achse Wien-Moskau/St.Petersburg (Gazprom-HQ) war all die Jahrzehnte aktiv, der Vertrag wurde sukzessive ausgeweitet und verlängert – zuletzt 2018 bis 2040.

Details zum Vertrag sind geheim, Berichten zufolge kennt sie auch der OMV-Aufsichtsrat nicht: derstandard.at/story/20001389…
Eine rein privatwirtschaftliche Angelegenheit? Den Eindruck hat die Politik in den letzten 60 Jahren oft vermittelt, wie die Analyse von @herbert_lechner zeigt.

Aber es war eine Kombi aus vielen Dingen, die dazu geführt hat, dass die Abhängigkeit so groß wurde, und kaum kleiner.
Ein weiterer Aspekt: Neue Recherchen in sowjetischen Archiven zeigen, dass es von Beginn an Strategie der Russen war, Österreich in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu drängen. Auf der Tonspur, @herbert_lechner über Chruschtschow:

oe1.orf.at/player/2023022…
Anfangs war unklar, ob die UdSSR überhaupt liefern kann. Um 1968 die Mindestverpflichtungen zu erfüllen, wurden Mengen vor allem für die Ukraine, aber auch für baltische Staaten, gekürzt.

Zeitweise konnten Haushalte wochenlang nicht beheizt werden, Betriebe mussten schließen.
Exkurs: Ihr erfahrt im Podcast, wie 🇦🇹 in den 60ern die Umgehung eines Embargos auf Gaspipelines ermöglicht hat und welchen Einfluss die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings im Aug 1968 auf den Beginn der 🇷🇺 Gaslieferungen im Sep 1968 ins neutrale 🇦🇹 hatte (keinen).
Mittlerweile wurde und wird der Einsatz der „Gaswaffe“ immer wieder dokumentiert – zuletzt auch gegenüber „unfreundlichen Staaten“ in der EU.

Wobei, die große Macht der Waffe ja in ihrem Drohpotenzial liegt, wie auch Herbert Lechner im Podcast erzählt:
Trotz Bedenken wurden die Risiken aber stets verharmlost. Gleichzeitig wurden Argumente *für* russisches Gas Jahrzehnte lang ohne zu hinterfragen tradiert.

Es waren vor allem vier immer wiederkehrende Argumente, die schließlich quasi zu Dogmen wurden:
1⃣ „Russisches Gas ist alternativlos für Österreich“

#debunked | Das letzte Jahr hat deutlich gezeigt, dass entschlossenes politisches Handeln (sowie tatsächliche Gaslieferstopps) neue Realitäten schafft.
2⃣ „Russland ist ein zuverlässiger Lieferant“

#debunked | Auch schon vor 2022 waren Länder immer wieder von politisch motivierten Lieferunterbrechungen betroffen. Selbst Österreich im Jahr 2009.
3⃣ „Zwischen Russland und Österreich besteht eine gegenseitige Abhängigkeit“

#debunked | Es besteht eindeutig eine Asymmetrie in der Beziehung. Während 🇷🇺 einfach Lieferungen stoppen kann, kommt/kam 🇦🇹 kurzfristig nicht ohne russische Energie aus. Ein Land an der Gasleine.
4⃣ „Russisches Gas ist billig“

#debunked | Verfügbare Daten und Studien lassen den Rückschluss zu, dass Österreich – ähnlich wie Deutschland – tendenziell im europäischen Durchschnitt sogar mehr für Gas bezahlt hat.

Aus Fehlern kann man lernen. Es braucht ein klares politisches Bekenntnis für den Ausstieg aus russischem Gas und eine Gasimport-Roadmap, die konkret operationalisiert, wie man das Bekenntnis umsetzt. Für Erdgas, aber auch erneuerbare Gase wie grünen Wasserstoff.
Mit neuer Risikobewertung: nicht nur technische und ökonomische Risiken, sondern auch strategische, demokratiepolitische und menschenrechtliche Aspekte sind zu integrieren.

Die Energiewelt ist gerade im Umbruch, jetzt gibt es die Chance, Abhängigkeiten vorneweg klein zu halten.
Welche energiepolitischen Handlungsoptionen mit Blick auf die Klimaneutralität 2040 hat Österreich da? Wir haben sie im April 2022 skizziert 👇🏼.

Details in diesem Thread oder unter diesem Link: energyagency.at/aktuelles/anal…

Das Spannungsfeld, in dem sich konkrete Lösungen für den RUXIT abspielen, skizziert @WBoltz_Energy in einem interessanten Interview im Morgenjournal.

Um den Ausstieg auf den Boden zu bringen braucht es zusätzliche politische Maßnahmen, wie z.B. Quoten

oe1.orf.at/player/2023022…
Das war der Thread. Hier gibt es noch mehr Infos und ein zusammenfassendes Video sowie die Executive Summary zur Analyse. Wer die vollständige Analyse haben will – gerne bei mir melden und ich schicke sie.

energyagency.at/aktuelles/an-d…

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More from @chri_gru

Feb 21
Eine neue ganz besondere Folge von @PetajoulePod: Es geht um @herbert_lechner's 150-Seiten starke Analyse zur Geschichte der Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas.

Vielleicht schaff ich heute noch einen #Thread, vorerst aber mal der Podcast mit viel Kopfschüttelpotenzial.
Gut getimed, die gleiche Geschichte wie die @at_AEA, aber hier geht es um die (ehemalige) Abhängigkeit Deutschlands von Gaslieferungen aus Russland.

Wann machen wir in Österreich unsere Abhängigkeit "ehemalig"?

Read 4 tweets
Feb 15
Der Entwurf des Erneuerbaren-Gas-Gesetz #EGG 🥚 ist da. Ein paar Fakten, Ansichten und Einordnungen dazu in einem #Thread 🧵
Essenz: Gasversorger müssen 2030 min. 7,5 TWh der von ihnen in diesem Jahr an Endverbraucher verkauften Gasmengen durch in Österreich produzierte erneuerbare Gase substituieren. 2040 sollen es min. 15 TWh sein.

Wie sie das machen (eigene Anlagen, Einkauf..) ist ihnen überlassen.
Was ist erneuerbares Gas (eGas)?

💩 #Biomethan, erzeugt aus biogenen Reststoffen. Wird bis 2030 den Großteil des eGas ausmachen.

💦 grüner #Wasserstoff, gewonnen aus Wasser mittels erneuerbarem Strom, und synthetisches Gas, das aus grünem Wasserstoff und CO2 erzeugt wird
Read 14 tweets
Aug 28, 2022
Energielieferanten haben Lieferverpflichtungen. Um die Verpflichtungen decken zu können und Preis-/Mengenrisiken zu minimieren kaufen Lieferanten im Vorhinein Energie ein. Sowohl über langfristige bilaterale Verträge als auch über die Börse, so genannte Futures. #thread 🧵
Am bekanntesten sind Jahres-, Quartals- und Monatsfutures. Wer einen Jahresfuture (Base 2023) kauft, beschafft für jede Stunde des Jahres 2023 eine Megawattstunde Strom. Peak heißt, dass der Strom zur "Rush Hour" geliefert wird (also Mo - Fr, 08:00 bis 20:00).
Am Spotmarkt (kurzfristiger Markt = Day Ahead oder Intraday) werden dann Restmengen gekauft oder verkauft.

Die Mischung aus diesen unterschiedlichen Produkten nennt man "Beschaffungsstrategie".

Dass Energielieferanten das machen ist normal und wichtig (ad "Spekulationen").
Read 13 tweets
Aug 22, 2022
Es gibt aktuell massive Knappheiten im Energiebereich. Besonders in Europa, und damit auch in Österreich. Aber weil Energie- und Rohstoffmärkte global zusammenhängen, gibt es die Knappheiten nicht nur bei uns.

Eine schnelle Übersicht im #Thread 🧵
Es gibt massive Knappheiten bei Gas.

Russland hat seit Februar 2022 große Mengen Gas vom Markt genommen (speziell in 🇪🇺, mit 🌎 Effekten).

Sie machen das schon länger: Seit Sommer 2021 hat die Gazprom trotz hoher Preise kein zusätzliches Gas über kurzfristige Märkte verkauft.
Also stürzen sich alle auf LNG. Die Kapazitäten für die Verflüssigung, Transport und Regasifizierung sind aber begrenzt.

Zumal sie wegen eines Zwischenfalls in den USA die Kapazitäten nochmal kleiner wurden (zweitgrößter Exporteur der USA)

houstonpublicmedia.org/articles/news/…
Read 16 tweets
Aug 19, 2022
🇩🇪 Deutschland (@BMWK) bereitet eine Energiespar-Verordnung vor, die ab übernächster Woche in Kraft treten und bis Ende Februar gültig sein soll.

Die laut Entwurf geplanten Maßnahmen zeigen die Dringlichkeit der Situation auf.

#Thread 🧵
🌡️ Maximale Beheizung von Nicht-Wohngebäuden je nach Tätigkeit

- schwere körperlicher Arbeit: 12°C

- mittelschwere Tätigkeit im Stehen (16°C), Sitzen (17°C)

- leichte Tätigkeiten im Stehen (18°C), Sitzen (19°C)

Ausnahmen für Spitäler, Altenheime, Kindergärten, Schulen.
Gemeinschaftsflächen und Flure (in diesen Gebäuden) sollen gar nicht mehr beheizt werden, Durchlauferhitzer fürs Händewaschen sollen in öffentlichen Gebäuden ausgeschaltet werden.
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Aug 9, 2022
⚡️ Einige Menschen haben wenig Überblick, was ihren Stromverbrauch betrifft - immer wieder (und aktuell leider häufiger) gibt es dann bei der Endabrechnung bösen Überraschungen.

Um ein Gefühl für den eigenen Verbrauch zu bekommen gibt es eine simple Methode #servicethread 🧵👇
1⃣ Zählerstand am Stromzähler ablesen, auf einem Zettel notieren, Tag und Uhrzeit dazu schreiben

2⃣ Zählerstand am nächsten Tag noch einmal ablesen, am besten zur gleichen Uhrzeit.
Je nachdem wie viele Menschen hinter dem Zählpunkt wohnen sollte der Zählerstand nicht mehr als die folgenden Durchschnittswerte gestiegen sein:

👍 1P | 4 bis 5 kWh pro Tag
🤘 2P | 6 bis 8 kWh pro Tag
🤟 3P | 9 bis 11 kWh pro Tag
✌️✌️ 4P | 10 bis 13 kWh pro Tag
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