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Das russische Drehbuch für die Vorbereitung und Durchführung der Invasion und Besatzung wird sichtbar im neuen Sonderbericht von @RUSI_org zu Russlands nicht-konventionellen Aktivitäten und Einsätzen in der #Ukraine. /1

🧵
Die Autoren @Jack_Watling, Oleksandr Danylyuk & Nick Reynolds legen den Schwerpunkt nicht auf 2014-21, sondern 2022-23. Sie erwähnen aber Juli 21 als die Vorbereitungen in R. begannen. Sie bringen Beispiele aus Krim-Annexion,Tschetschenien & verweisen auf sowjet. Kontinuitäten.2
Nebenbei: Am 12. Juli 2021 veröffentlichte Putin sein nationalistisch-imperialistisches Pamphlet zur vermeintlichen "historischen Einheit von Russen und Ukrainern"./3
Der Bericht beschreibt in einem ersten Teil das über Jahre aufgebaute russ. Agentennetz für die nicht-konventionelle Kriegsführung in der #Ukraine und skizziert anschließend genau, wie dieses Netz genutzt werden sollte, um die Besetzung und Annexion der Ukraine zu erreichen./4
Die bevorzugte Methode der russischen Geheimdienste besteht z.B. darin, den Einsatz von Agenten aus Russland so gering wie möglich zu halten und stattdessen hochrangige Agenten (grupovody) vor Ort zu rekrutieren, die ihre eigenen Netzwerke betreiben. /5
Die Methode, solche hochrangigen Agenten einzusetzen, ein Netzwerke von "Kunden" aufbauen, wurde wohl schon in sowjetischen geheimen Handbüchern und Anweisungen des KGB empfohlen. Aber es gibt viele weitere Details im Bericht. /6
Im zweiten Teil wird dann erörtert, wie Russland vor dem Hintergrund des tatsächlichen Verlaufs des Krieges solche Mittel einsetzte, einschließlich der Spionageabwehr in den besetzten Gebieten, Einsatz von Spezialkräften und irreguläre Truppenteile während der Kämpfe./7
Das Interessante am Bericht ist, dass er versucht sich auf Ereignisse (z.B. in den besetzten Gebieten) zu konzentrieren, die allgemeine Muster und Handlungsweisen in den russischen Methoden erklären können und den Gesamtplan für die #Ukraine sichtbar machen./8
Zum Beispiel zeigt er, dass der russ. Aufbau von Filtrationslagern in der Ukraine einheitlich war. Die in Folterkammern verwendete Ausrüstung, einschließlich spezieller Elektroschockgeräte, zeigt, "dass dies ein systematischer Plan und kein improvisierter Sadismus war."/9
Der ganze gescheiterte russische Besatzungsplan wird hier sichtbar, aber man versteht auch, wie die Russen in den besetzten Gebieten "arbeiten". Kadyrow-Einheiten und FSB töten oder verhaften zuerst diejenigen, die auf der Liste als ukr. Nationalisten identifiziert sind./10
Zum anderen wurden ukrainische Beamte in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten ins Visier genommen, die Familienangehörige in den besetzten Gebieten hatten. Viele Druckmittel wurden - nicht überraschend - mit Folter und Gewalt aufgebaut./11
Ohne in alle Details des 35-seitigen Berichts einzugehen, zeigen die Pläne, dass die ukrainische Bevölkerung zum Beispiel in 5 Kategorien eingeteilt wurde: /12
Der Prozess des "Filtrierens" besitzt leider viele Ähnlichkeit mit der (rechtlich nicht verbindlichen) Anweisung 247 des russ. Innenministeriums von 1994, die während des 1. Tschetschenienkriegs das Militär ermächtigte, Filtrationspunkte einzurichten./13
Es gab "kollektive Bestrafungen" als Einschüchterungs- und Unterdrückungsinstrument, etwa für Videos etc. Russen machten Razzien bei Einwohnern. Man durchsuchte Telefone, um festzustellen, ob Infos an das ukrainische Militär weitergegeben wurden./14
Wenn dies der Fall war, wurden diese Personen festgenommen, verhört und oft gefoltert und in vielen Fällen hingerichtet. Die russ. Truppen verhafteten gerne auf Verdacht anstatt Beweise zu finden. Viele unschuldige Zivilisten wurden daher verhaftet, gefoltert und ermordet./15
Der Prozess der Annexion sollte nach dem Krim-Drehbuch ablaufen: 1. Rekrutierung eines Teils der Bevölkerung. Einige wurden auch gezwungen, bei der Führung der lokalen Verwaltung mitzuarbeiten. /16
2. Das Gebiet sollte durch das russ. Militär vor militärischen Bedrohungen und durch harte repressive Maßnahmen vor Widerstandsaktivitäten geschützt werden. 3. Ein solchermaßen 'gesichertes' Gebiet ermöglicht dann das Vordringen des FSB und russ. Staatsapparats./17
4. Ukrainische Kollaborateure in der lokalen Verwaltung werden auf Positionen in ländliche und verstreute Teile Russlands umgesetzt und dann durch Russen ersetzt. /18
Dieser ganze Plan wurde aufgrund der schlechten Fortschritte des russ. Militärs nicht vollständig umgesetzt, aber in #Mariupol und anderen Städten, die außerhalb der Reichweite der ukrainischenAngriffe lagen, begann man mit seiner Umsetzung. /19
Der Bericht untersucht Stärke und Schwächen dieser nicht-konventionellen Kriegsführung. Er unterschätzt die russischen Stärken sicherlich nicht. Bei den Schwächen sind zwei Punkte interessant: Wie in Diktaturen üblich dominieren beschönigende Berichte an die Vorgesetzten. /20
Zudem neige die russische nicht-konventionelle Kriegsführung zur Formelhaftigkeit und sei weniger dynamisch. Wenn sie unter Druck gerät, wird eher auf bewährte Formen und Methoden aus der Sowjetzeit zurückgegriffen, als dass Innovationen entwickelt werden etc./21
Eine Richtschnur der Akteure sei politisch: "Verschärft wird dies durch die politische Dynamik hinter ihrem Einsatz, die sich vielleicht am besten in Ian Kershaws Formulierung ausdrücken lässt, der den Beweggrund des NS-Staats als 'Arbeiten zum Führer hin' beschreibt." /22
Der Bericht fasst erste Erkenntnisse zusammen und ist auf weite Strecken ziemlich bedrückend, weil man einen Eindruck von der schlimmen Situation in den besetzten ukrainischen Gebieten bekommt & vom russ. Agentensystem in #Europa. Hier der ganze Text: /23
rusi.org/explore-our-re…

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